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Europa: „Sozial-Ökologische Leitbilder statt kurzfristiger Erfüllungspolitik"
Archiv - Politik
ImageIm Schloss Seggauberg wurde im Mai zum zweiten Mal der Pfingstdialog „Geist und Gegenwart" zum Thema „Europa was nun?" abgehalten. Die südsteirische Region bietet sich für eine solche Veranstaltung wie kaum eine zweite an, liegt sie doch an der Schnittstelle von vier großen Kulturkreisen. Der diesjährige Untertitel „Träume und Traumata" deutete bereits im Vorfeld auf die zentralen Fragen für eine friedliche und wirtschaftlich gedeihliche Zukunft unseres Kontinents hin, die über drei Tage hinweg in einer wahren Vielzahl von Vorträgen und Diskussionen erörtert werden sollten.

ImageBernhard Pelzl (Mitte) moderierte die Zusammenfassung der Insieme-Gruppen mit den Journalisten Michael Fleischhacker, Rudolf Mitlöhner, Ernst Sittinger und Alfred Payrleitner.

Seit dem Jahr 2005 wird das international hochkarätig besetzte Symposium im zweijährigen Rhythmus abgehalten und der organisatorische Rahmen von der Forschungsgesellschaft JOANNEUM RESEARCH betreut. Die von den Ressorts Bildung, Wissenschaft und Tourismus des Landes ImageSteiermark und zahlreiche Sponsoren aus der Wirtschaft finanzierte Veranstaltung soll über die rein intellektuelle Auseinandersetzung des Augenblicks hinaus als ständiges Dialogforum über die mit dem europäischen Einigungsprozess verbundenen Herausforderungen und Prozesse dienen.

Die bestehenden Strukturen auf dem Prüfstand. Im heurigen Frühjahr hat die Europäische Union den 50. Jahrestag ihrer Gründung gefeiert. Viele neue Staaten, insbesondere Osteuropas, sind in den vergangenen Jahren der EU beigetreten und machen die Entwicklung von neuen Strukturen Imageund Denkmodellen über kurz oder lang unumgänglich. Das vorläufige Scheitern der EU-Verfassung hat den verantwortlichen Politikern bewusst gemacht, dass die Idee der europäischen Einheit und die Relevanz für ihr Leben den Menschen anschaulich näher gebracht werden muss. Die EU ist auf internationaler Ebene „das wohl innovativste politische Gebilde, das sich finden lässt", betonte der Soziologe Manfred Prisching einleitend, aber man dürfe sich dabei „nicht allein auf die wirtschaftliche Ebene beschränken, sondern müsse alle Bereiche des menschlichen Daseins" in die europäische Vision einbeziehen.

Aufbruch statt Stagnation. In seinem Auftaktvortrag forderte auch der amerikanische Visionär Jeremy Rifkin dazu auf, das Projekt Europa im Bewusstsein der großen Chancen, die es bietet, mit Enthusiasmus anzupacken. Die große Herausforderung der kommenden Jahrzehnte lautet, „Wie lässt sich das ‚neue Europa‘ so gestalten, dass die Länder und die Völker erfolgreich die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – auch im Wettbewerb mit anderen Kontinenten – bestehen?"
Im Hinblick auf die langfristige Dimension dieser Prozesse war es erfreulich, dass sich unter den rund 250 Gästen der Veranstaltung viele junge Menschen befanden, die sich an den Diskussionen und Gesprächskreisen überaus rege beteiligten. Von den rund 70 Studenten, die ihre Teilnahme meist über Stipendien finanziert erhielten, stammte rund die Hälfte aus den neuen EU-Ländern Osteuropas sowie aus Kroatien und Bosnien-Herzegowina.

Kulturelle Diversität als Reichtum.
Im Forum „Kultur" diskutierten Alida Bremer, György Dalos, Veit Heinichen, Michael Krüger und Lojze Wieser über den vieldeutigen europäischen Text, der einer unfassbaren Vielfalt von fast 200 Sprachen Ausdruck verleiht. Die Literaturwissenschaftlerin Bremer beschrieb den westlichen Blick auf die exotische Welt des Balkans, der sich bis heute als hartnäckiges Klischee in der Reiseliteratur erhalten hat. Der ungarische Autor Dalos sprach die Rolle der Literatur an, die es sich zur Aufgabe macht „Gedanken auszusprechen, die die Politik nicht auszusprechen wagt" und so vor allem in den osteuropäischen Ländern zu einem Forum der Meinungsäußerung geworden ist. Krimiautor Veit Heinichen zeigte anhand seiner Wahlheimat Triest den Reichtum der kulturellen Diversität, der sich im Prototyp einer europäischen Stadt entfalten kann. Der Verleger Wieser forderte dazu auf, die Gefahr des Nationalismus durch regere kulturelle Austauschprozesse zu bannen, so sei es bedauerlich, dass etwa „polnische Historiker seit längerer Zeit nicht mehr ins Deutsche übersetzt werden. Aus diesem Grund müsse man den Unterricht von osteuropäischen Sprachen in den Schulen zum Pflichtfach machen, verlangte der Verleger Krüger, der zudem für Europa die „Wiedergeburt der großen Erzählung", etwa am Motiv der Biosphäre, beschwor.

Neue politische Leitbilder. Eine Renaissance der politischen Kultur wurde in der Insieme-Gruppe Politik, Staat und Ökologie vom deutschen Politologen Warnfried Dettling gefordert: „Die kurzfristig orientierte Erfüllungspolitik muss einem an sozial-ökologischen Paradigmen orientierten Modell Platz machen." Nur durch das Aufzeigen von positiven Leitbildern, wie sozialem Zusammenhalt, könne das Vertrauen in die Politik wieder hergestellt werden. Der Diplomat Emil Brix plädierte für eine Mobilisierung der Zivilgesellschaft, „wenn das nicht gelingt, dann ist eine Rückkehr des Nationalstaates abzusehen". Andererseits erfülle dieser als Übergangsmodell immer noch eine wichtige Aufgabe, daher müsse die individuelle Geschwindigkeit der Entwicklung in den einzelnen Ländern prinzipiell möglich sein. Auch müsse es diesen ermöglicht werden, ihre eigenen Erfahrungen einzubringen, sonst bleibe „die EU ein westeuropäischer Club, der sich nach Osteuropa ausgebreitet hat".

Konsolidierung oder Wachstum? Die Skepsis am „europäischen Superstaat" sei, wie die Verfassungsabstimmungen zeigen, nicht von der Mehrheit erwünscht, betonte der Politologe Wolfgang Petritsch. Als Alternativen dazu böten sich das kanadische Modell mit seinem „Miteinander der Unterschiede" oder ein Festhalten am Status quo an. Letzterer, die Brüsseler Eurokratie, kranke aber daran, dass sie nur mangelhaft demokratisch legitimiert sei.
In welche Richtung die Entwicklung gehen soll, wurde bei der prominent besetzten Europadiskussion am Schlusstag diskutiert. Hans-Gert Pöttering, Präsident des EU-Parlaments, zweifelte am Zustandekommen einer europäischen Verfassung in der vorgesehenen Form. Realistischer sei ein Vertrag über die gemeinsamen europäischen Werte als Ziel. Während man sich darüber einig war, dass Kroatien bald Mitglied der EU werden soll, wurde eine weitere Erweiterungswelle mit Skepsis gesehen. ORF-Korrespondentin Susanne Scholl betonte, dass im Falle der Balkanländer noch viele Traumata als Folge der Kriege aufgearbeitet werden müssten.
Josef Schiffer

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