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Dalos: „Europa muss wieder dezentraler werden"
Archiv - Politik
ImageGyörgy Dalos: „Regionale Zentren innerhalb der EU würden eine schnellere Integration der neuen Staaten möglich machen."

Zu den interessantesten Gästen in Seggauberg zählte zweifellos der ungarische Schriftsteller und Historiker György Dalos. Er gehörte 1977 zu den Mitbegründern der demokratischen Oppositionsbewegung in Ungarn, lebt seit 1987 als freier Publizist in Berlin und ist Mitherausgeber der deutschen Wochenzeitung Freitag.

Er nahm in Seggauberg am „Forum Kultur" der Pfingstgespräche teil und sich auch Zeit für ein KORSO-Gespräch mit Josef Schiffer.

Wie haben Sie die Anfänge der europäischen Einigung erlebt?
In Ungarn hat man bereits vor der Wende über unser Verhältnis zu Europa nachzudenken begonnen, ich nenne hier nur stellvertretend György Konrad. Damit begann im Osten eine Renaissance des Mitteleuropakonzepts. Dieses setzte sehr stark auf die einigende Kraft der gemeinsamen Tradition, während in Westeuropa die Integration in die westliche Sphäre bereits weit vorangeschritten war. Ich habe 1985 für das Westberliner Kursbuch das Szenario einer Auflösung des Ostblocks entworfen. Wir Literaten haben uns also bereits vor den Politikern damit auseinandergesetzt.

Zu dieser Zeit erschien das freilich auch als utopische Vorstellung.
Die parallele Existenz der Gesellschaftssysteme in Europa hat gewiss zur sozialen Stabilität auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs beigetragen, der auch eine Funktion als Spiegel für die Blöcke hatte. Die Mängel der westlichen Demokratien wurden damit entschuldigt, dass die Bedingungen im Ostblock noch viel schlechter seien. Eine gewisse Stabilität herrschte im Osten auch, weil man im Grunde wusste, dass der Westen nicht von sich aus angreifen würde, nicht zuletzt, weil man wusste, dass es im Atomzeitalter keinen Sieger geben konnte.

Wie nehmen Sie Europa in seiner gegenwärtigen Befindlichkeit, etwa das Phänomen des Liberalismus, wahr?
Das Verschwinden des Staates in den ehemaligen Ostblockländern ist eine bedenkliche Entwicklung. Es hat dort eine gewaltige Umverteilung, v.a. zugunsten der alten kommunistischen Eliten stattgefunden. In der zweiten Hälft der neunziger Jahre hat sich der Rechtsstaat in diesen Ländern trotzdem verfestigt und auch die soziale Situation hat sich gebessert. Aber auch viele Schichten, wie alte Menschen oder Roma sind durch den Rost gefallen und sind sozial stark benachteiligt. Es ist eine eine Zweidrittelgesellschaft entstanden und eine Armut, die es früher so nicht gab. Die Gewerkschaften spielen nur mehr eine geringe Rolle und können nichts mehr bewegen.

Welche Konzepte braucht Europa, um die Zukunft zu bewältigen?
Mit dem EU-Vertrag sollte man noch warten, bis alle weiteren Länder auf der Warteliste beigetreten sind. Mit einem Beitritt der Türkei müsste sich die Struktur der EU ohnehin gänzlich ändern. Vernünftig wäre die Bildung von regionalen Zentren innerhalb der EU, etwa in Polen und Rumänien, um die beitrittswilligen Länder möglichst schnell zu integrieren. Dieselbe Rolle könnte etwa Slowenien für den Balkan übernehmen. Es wäre eine zielführende Strategie, verschiedene Stufen der Integration für die neuen Staaten einzuführen, die von diesen regionalen Zentren effektiver bewirkt werden könnten. Ich befürchte, wenn wir das nicht schaffen, werden sie stärker in die Einflusssphäre eines expansiven, „zaristischen" Russland geraten.

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