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Der beste Leistungsnachweis ist ein großbürgerlicher Hintergrund |
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Michael Hartmann: „Herkunft aus dem großbürgerlichen Milieu verzehnfacht die Aufstiegschancen"
„Geborene Eliten": Der deutsche Soziologe Michael Hartmann entlarvte beim „Science Talk" in der Neuen Galerie den Mythos von der persönlichen Tüchtigkeit als entscheidendem Aufstiegsfaktor. Leistung zählt – aber sie ist nicht entscheidend für den Aufstieg in eine Elite: Die soziale Herkunft spielt dabei die entscheidende Rolle. Der deutsche Soziologe Michael Hartmann erforscht seit Jahren Eliten und wie sie ihre Angehörigen rekrutieren. „Elite ist weder ein Leistungs- noch ein Klassenbegriff, hat aber mit beiden zu tun", erklärte der Professor der TU Darmstadt Ende Mai in der Neuen Galerie in Graz. Elite-Angehörige seien zwar „Menschen, die etwas können – aber es gibt eine Reihe anderer, die das Gleiche können", betonte Hartmann beim „Science Talk" unter dem Titel „Von wegen Leistung. Geborene Eliten". Eigentümer großer Unternehmen z.B. gehören gleichzeitig der Elite und auch einer bestimmten Klasse an. „Was denen fehlt, die es nicht schaffen, ist der großbürgerliche Hintergrund", sagte Hartmann. Selbstbewusster Umgang mit den herrschenden Regeln. „Eine Elite ist es gewöhnt, Macht auszuüben. Und sie gewöhnt sich daran, Entscheidungen immer mehr nach eigenen Interessen zu fällen. Dabei glaube ich nicht, dass die Leistung gravierend darunter leidet. Was aber leidet, ist das Gefühl für Gerechtigkeit." Natürlich gebe es auch so etwas wie Elite-Menschen „auf Zeit", die seien häufig in der Politik zu finden, sagte der Soziologe und nannte Rudolf Scharping als ein Beispiel: „Er war einmal deutscher Ministerpräsident und ist jetzt Präsident des Bundes deutscher Radfahrer. Er hat sich nicht etablieren können." Es gebe „reichlich Typen wie Scharping". Auch in der Wirtschaft finde man Aufsteiger, aber: „Wo es einer schafft, sorgt ein mächtiger Aufsichtsrat dafür, dass nichts aus dem Ruder läuft." Diejenigen, die nicht in einem entsprechenden Milieu aufgewachsen seien, würden sich auf elitärem Gebiet „nicht richtig bewegen", sie hätten keinen selbstbewussten Umgang mit den herrschenden Regeln, erklärt Hartmann. An Kleidung, Haltung und den Aussagen der Betroffenen könne man erkennen, dass sie nicht von Klein auf Werte und Lebenshaltungen der groß- bzw. bürgerlichen Welt verinnerlichen konnten. Elite-Unis erleichtern die Homogenisierung von Eliten. In seinem Buch „Der Mythos von den Leistungseliten. Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft" (Frankfurt/Main 2002) analysierte der Soziologe die Biographien von rund 6.500 Promovierten der Jahrgänge 1955, 1965, 1975 und 1985 in den Wirtschafts-, Rechts- und Ingenieurswissenschaften, um herauszufinden, ob bei ihnen die soziale Herkunft eine Rolle beim Aufstieg in die Elite spielte. „Wenn zwei im gleichen Jahr im gleich Fach promoviert haben, hatte derjenige, dessen Vater in einer leitenden Funktion war, zehn Mal bessere Chancen und bei dem, dessen Vater in einem Vorstand war, stieg die Chance um das 17-Fache", berichtet Hartmann. Wichtig seien die besuchten Universitäten: „Elite-Bildungsstätten sind zwar kein Must, aber sie erleichtern die Homogenisierung von Eliten." Hartmann betrachtet diese Entwicklung als „sehr kritisch, weil sie für eine weitere Abschottung sorgen wird." In Österreich seien noch alle Universitäten „halbwegs gut ausgestattet": „Das werden Sie in Frankreich vergeblich suchen. Es gibt eine deutliche Spaltung bei den Universitäten – und somit auch eine soziale." Verlierer würden das Prinzip akzeptieren, ihr Niveau von Jahr zu Jahr sinken und eine Abwärtsspirale einsetzen: „Weniger Ansehen, weniger Geld, schlechtere Professoren – und irgendwann streitet man sich mit Fachhochschulen auf einer Ebene", meinte Hartmann, der einen „relativ direkten" Zusammenhang zwischen Einkommen, Armutsquote und Elite in einem Land sieht. Den Aufbruch zur Elite gebe es in Deutschland und ähnlich auch in Österreich seit Anfang der 90er Jahre. Gründe dafür seien, dass „in krisenhaften Zeiten die Neigung besteht, von führungshaften Männern und Frauen Heil zu erwarten". Und schließlich seien Eliten in den Medien stark präsent, weil Medienmenschen gerne selbst zu den Eliten zählen würden. Michael Hartmann, geb. 1952, ist Soziologieprofessor an der Technischen Universität Darmstadt. Neben Eliteforschung zählen Management-, Industrie- und Organisationssoziologie zu seinen Arbeitsschwerpunkten. Sein aktuellstes Werk ist „Elitesoziologie" (2004), weitere seiner bekannten Publikationen sind z.B. „Topmanager - Die Rekrutierung einer Elite" (1996) und „Juristen in der Wirtschaft" (1990).
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