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Eine Sommergeschichte |
Archiv - SONDERTEIL: Die ersten zehn Jahre | |
von Ernst Marianne Binder ´
Ist Ihnen schon aufgefallen, dass es keine vierblättrigen Kleeblätter mehr gibt? Oder kaum noch welche, aber auf jeden Fall weniger. Ich frage mich oft, suchen sich die die Menschen aus, von denen sie gefunden werden wollen. Oder ist es das Alter, welches die Suche nach dem Glück im Lauf der Jahre relativiert hat. Und die Tage der Suche danach nicht mehr unterordnet. Die Sternschnuppen, die gibt es noch immer, also die Hoffnung ist noch vorhanden. Vor allem lässt sie sich nachts besser imaginieren. Ich könnte nicht sagen, dass ich heute weniger oft nach vierblättrigen Kleeblättern Ausschau halte wie früher. Freilich nicht mit derselben Dringlichkeit wie vor 20, 30 Jahren. Früher, als das Leid noch groß und die Verzweiflung einem die Luft zum Atmen nahm, da gab es zwei Möglichkeiten: hinaus aufs Feld und ins Grün schauen, das mit dem CO2 auch die Seelennot inhalierte, oder sich Ansaufen. Im Lauf der Jahre entschied ich mich immer öfter fürs zweite. Weil es verwegener schien und heroischer, sich selbst als Herr über Sein oder Nicht-Sein zu gebärden. Das endete schon mal (und immer öfter) damit, dass ich irgendwann im Suff vom Stuhl kippte und am nächsten Tag zwischen Scherben aufwachte. Der Himmel eine Zimmerdecke und die Sonne blind. Und auch sonst der Morgen vor der Dämmerung in Trümmern. Heute, wo die Leber kaputt, und die Unrast mich nicht mehr von Gedanken zu Gedanken treibt, bevorzuge ich wieder jene stillen grünen Inseln, wo es nichts gibt außer Nichts. Aber nicht nur aus Gründen der Erholung, sondern auch als kleines privates Home-Roulette, wo man zwar nicht gewinnen kann, aber auch nicht verlieren und sich in jedem Fall erleichtert vom Tisch und aus dem Traum erhebt in dem Bewusstsein, sich und den Lebensumständen zu genügen. Oft finde ich in alten Büchern gepresste und im Lauf der Jahre ausgetrocknete vierblättrige Kleeblätter, die ich als eine Art Voodoo-Gegenzauber zwischen die Seiten legte: Bücher, die mir gefährlich erschienen, mich darin zu verlieren: „Draußen im Dunkel" von Cormac McCarthy zum Beispiel, oder „Die Reise" von Bernward Vesper. Auch die Suche nach vierblättrigen Kleeblättern kann abhängig machen. Und wie bei jeder Abhängigkeit beginnt sie erst ihren wahren Reiz zu entfalten, wenn man merkt, dass man nicht mehr davon loskommt. Dass man von ihr beherrscht wird. Dass nicht man selbst der Chef ist, sondern ein merkwürdiges Ausgeliefertsein an etwas, das man Zufall nennt, die eigene Befindlichkeit bestimmt. In Ermangelung eines Beweises und doch wider besseres Wissen fordert man dem Leben eine Euphorie ab, was wiederum der Welt den Vorwand liefert, sich aus der Verantwortung zu schleichen und sich einen Dreck darum zu scheren, wie es einem denn nun geht dabei. Heute ist ein Sonn- und Sonnentag und ich bin gerade von einer Expedition zurück gekehrt. Ohne Kleeblatt. Aber mit der Vorstellung von einem Grab im Grünen. Natürlich will ich nicht, dass mein Kadaver dort verscharrt wird. Die Asche soll auf ein Kukuruzfeld gestreut werden: auf einen kleinen Flecken im Irgendwo. Den man sich ausdenken kann, wenn jemand mir denn schon einen Besuch abstatten wollte. Da ist es dann auch egal, wo man sich befindet. Nun ja, ein Kukuruzfeld sollte es schon sein. Eins, wo der Bauer dann im Herbst bei der Ernte vielleicht eine Staude stehen lässt. Über November und Winter, mitten im umgepflügten Feld. Zerzaust vom Wind würde sie geduldig den Unbillen des Wetters trotzen. Und die Leute würden vorbeigehen und sagen: „Schau, da haben sie eine Kukuruzstaude auf dem Feld vergessen." Und zu den Kindern: „Die arme muss jetzt ganz allein." Archaisch würde sie sich Morgen für Morgen aus den Nebel des Avalon schälen, eine schwarze Silhouette wider das Vergessen. Sie würde so zerfleddert aussehn wie ich im Lauf der Jahre. Nein, keine Vogelscheuche. Vor ihr wie vor mir sollte kein Lebewesen Angst haben. Wenn ich schon nutzlos herumstehe da in der Landschaft, dann zumindest als ein Zeichen von Friedfertigkeit. Kinder sollten sich hinter mir verstecken können. Liebende gerade soviel Platz auf meinem Stamm finden, ein Herz hinein zu ritzen. Und wenn einer mit einer Menge Probleme auf dem Buckel ankäme, um hier eine kurze Rast einzulegen, sollte zwischen seinen Beinen ein vierblättriges Kleeblatt wachsen. So über die Minuten der Rast hin. Er könnte den Kopf auf die noch feuchte kalte Erde legen und sich die erste Frühlingssonne ins Gesicht. Was blau ist heute doch der Himmel! Und ihn blau sein lassen, einfach lassen. Früher, wenn der Wind ums Haus als ob er aus der Haut, dann zwang er ihn, indem er auf die Schwelle trat. Tief durchatmete. Mit einem Mal war Stille. Selbst die Bäume und die Sträucher hielten inne, auch wenn ein unerfüllter Wunsch an ihnen zerrte und sie beugte und zerzauste. Die Zeit stand still. Sein Blick war leer und warm. Unendlich warm. Die Wolken lagen quer über dem Horizont wie eine nackte Frau. Die Tränen liefen ihm über die Wangen. Das Bettlaken war noch zerwühlt. Früher. Als noch Zeit war. Zeit. Vergangen: der Wind dann um das Haus und weiter. Den Gedanken hinterher, die sich ins Leben tobten. Also doch in den Apfel beißen, den die alte Frau einem auf dem Weg quer über die Felder geschenkt hat. Der Apfel ist dunkelrot und saftig und süß wie der Orgasmus der geliebten Frau. Warum also die Kerze schon am Morgen anzünden? Hieße diese meine Schlussfolgerung dann aber nicht, der Sehnsucht nach Leben und nach Liebe und nach Spüren nachzugeben gleich nach dem Erwachen? Sich auf die Socken machen, einen Purzelbaum schlagen, der Welt ein fröhliches JUHUUU zuzurufen: „Juhuuu, ich lebe!" Und dem Fischerboot „Ahoi" zu sagen, das flussabwärts treibt. Den unsichtbaren Flugzeugen überm grauen Himmel nachzusehn, als würde man gesehen werden können von den Passagieren an Bord. Wenn Handke von Passanten spricht, dann meint er diese Situation: Menschen queren den Weg, ohne dass man von Ihnen gesehen oder wirklich wahrgenommen wird. Nur der Flaneur hat Zeit und Muse, sich die Gesichter einzuprägen, die nichts mit ihm zu tun haben, außer von ihm in ihrer Existenz für einen kurzen Moment begründet zu werden. So sollte also der Sprung aus dem Bett jeden Morgen auch ein Sprung in einen geglückten Tag sein können sollen dürfen... Aber Achtung: Die Suppe könnte Ihnen die Zunge verbrennen, ein Reiskorn Ihnen in der Luftröhre steckenbleiben. Der Ober könnte stolpern und Ihnen ein Glas Rotwein über Ihr weißes Sakko gießen, der Espressokocher könnte explodieren. Es könnte aber auch sein, dass jemand kommt und Sie auf die Augen küsst. Das wäre dann schon mal ein Grund, einen Tag noch vor dem Abend zu loben und ihn als geglückt zu bezeichnen. Ob Ihnen danach ein Ziegelstein auf den Kopf fällt, oder eins Ihrer Spermien doch den Weg in den Muttermund findet, oder das Kleeblatt drei oder vier Blätter hat, ist dabei völlig unerheblich. Sie fragen, wo der Sommer in diesen Überlegungen abgeblieben ist? Das habe ich mich auch gerade gefragt. Wahrscheinlich muss es etwas geben, denke ich mir, über das hinwegzuschwindeln man lernen müssen sollte,– wie über das vierte Kleeblatt – weil die Erinnerung daran, bzw. die Vorstellung davon nie dieser Leichtigkeit gerecht werden könnte, die aus den Krücken Flügel schnitzt. So wie ein Glück über das Leben hin und es erfüllte mit dem Blick, der nicht mehr schaut: ich werde gehen mit nichts als mit mir. Einen Sommer und den Rest des Lebens lang. © beim Autor Ernst Marianne Binder geboren 1953 in Mostar, Steinmetz, Fensterputzer, Zeitungsausträger, Kellner, Olivenbauer, Autor, Musiker, Regisseur, seit 1987 Leitung des forum stadtpark theater / dramagraz
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