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Graz ist Spitze! |
Archiv - SONDERTEIL: Die ersten zehn Jahre | |
von Werner Schandor
Mir geht’s wie Graz: Ich habe keine Idee. Aber während mir zur Vergangenheit nichts einfällt, hat Graz keine Ideen für die Zukunft. „Hättest du Lust, zu den üblichen schlechten Bedingungen ein gutes Feuilleton zum Thema ‚Rückblick auf die letzte Dekade’ zu schreiben?", wurde ich von Christian Stenner anlässlich dieser korso-Jubiläums-Ausgabe gefragt. Lust hätte ich en masse, aber was soll ich zur letzten Dekade schon sagen? - Es ging auf und ab und auf. Auch bin ich kein Freund von Rückblicken. Man weiß ja, wie es Lots Frau in der Bibel ging (1. Mose 19,30 ff.) oder dem armen Orpheus in der Unterwelt. Und schließlich: In Zukunft werde ich noch genug Zeit haben, zurückzublicken. Auch in Graz ging es in den letzten zehn Jahren auf und ab: Da gab es den Dauer-Champagnerbrunch mit Titel „Kulturhauptstadt Europas 2003 - Hinter uns die Sintflut", da gab es den Fast-Bankrott der Stadt anno 2004, und da gab es zehn betrunkene Punks am Hauptplatz, die das Rathaus im Jahr 2005 monatelang auf Trab hielten. Das sind meiner Erinnerung nach die Highlights der letzten vier Jahre. Das goldene Zeitalter davor verblasst vor diesen Ereignissen. Doch nun naht wieder eine Gemeinderatswahl, weshalb in den Ideenwerkstätten der Grazer Stadtparteien bereits die Köpfe rauchen, schließlich will jede Partei ihren visionären Gestaltungswillen unter Beweis stellen. Ich male mir das so aus: Eine super Idee! „Du, ich habe eine super Idee!", sagt ein SPÖ-Mensch in der Parteizentrale in der Hans-Resel-Gasse zum anderen: „Jetzt, wo wir nach 35 Jahren Planung wieder ein paar Schienen verlegt haben für die Straßenbahn, da können wir doch sagen: Wir machen Graz zur Nummer 1 von Österreich im öffentlichen Nahverkehr." „Hm, ist das nicht ein bisserl hoch gegriffen? Ich mein’: Die Straßenbahn fährt nur alle heiligen Zeiten, die Fahrplananzeige stimmt oft nicht, an Wochenenden kannst die GVB ganz vergessen, und in Wien gibt’s die U-Bahn und S-Bahn…" „Ach, was, Wien! Die ärgern uns eh die ganze Zeit! Da schicken wir einfach einen Appell an unsern Heinz, dass er Wien zum unabhängigen Freistaat erklären soll, out of Austria sozusagen. Der Häupl wird dann neuer Kaiser in Wien, Mausi Lugner die First Lady, und Graz ist endlich die Nummer 1 in Österreich!" Nach kurzem Nachdenken erklärt der Parteiskeptiker: „Eigentlich keine schlechte Idee. Das mach’ ma!" Und flugs werden 150 Großplakate gedruckt, von denen Walter Ferk runterlacht, der Graz zur „Nummer 1" machen will, und die Wohlgesonnenen können ihm nur wünschen, dass die Straßenbahn, die hinter ihm auf dem Plakat zu sehen ist, im Jänner 2008 nicht über ihn drüber fährt. Graz rettet das Weltklima. Noch eine Spur weltmännischer versuchte es Bürgermeister Nagl Anfang Mai. Er umgab sich zu Propagandazwecken mit einer Portion Zukunft in Form von Kindern und verkündete auf einer Werbekarte, dass er - mit Hilfe aller Grazerinnen und Grazer, die guten Mutes sind – von Graz aus das Weltklima retten möchte. Vermutlich meinte er, wenn wir schon den verdammten Feinstaub im Grazer Becken nicht in den Griff kriegen, dann müssen doch wenigstens China, die USA und Europa ein Einsehen haben und weniger Dreck in die Luft schleudern, wenn wir brav darum bitten. „Es ist nicht für mich, nein! Es ist nicht wegen der kommenden Wahl, nein! - Es ist für unsere Kinder, die am winterlichen Keuchhusten eh schon genug zu leiden haben!" Völlig absorbiert vom guten Zweck wirkte unser Herr Bürgermeister auf dieser Karte, so als wollte er sagen: Schaut her, dermaßen ambitioniert lege ich mich immer ins Zeug, und nicht nur, wenn ich mich um die Revitalisierung der historischen Bedeutung der Landeshauptstadt verdient mache. Denn Graz soll Trutzburg gegen die Türken in der EU sein und auch wieder Rentner-Eldorado wie weiland in der Monarchie. Das Bürger-Informations-Blatt BIG, „An einen Haushalt", jubelte jedenfalls schon mal in seiner letzten Ausgabe: Graz ist „Spitzenreiter in der geriatrischen Versorgung!". „Na fein", dachte ich, „da brauch ich mir um meinen Lebensabend keine Sorgen mehr machen." Und ich wusste endlich, warum ich mich in Graz in letzter Zeit manchmal wie ein Frührentner fühle. Geriatrische Kulturspitze. Auch die jüngste Grazer Kulturpolitik erschließt sich erst logisch aus dem Willen der Stadt, eine Spitzenposition in der geriatrischen Versorgung einzunehmen. Die Vorschläge des Kulturstadtrates Werner Miedl gehören jedenfalls zum Verschnarchtesten seit über 20 Jahren. Etwa die geplante Musicaloffensive zu einem Zeitpunkt, wo aus dem Musicalhype international die Luft raus ist. Oder die Idee, alle Möchtegernvertreter des Austropop zur Selbstparodie einzuladen und ein Graz-Lied auszuloben. (Wenn’s so weitergeht, wü i no ham noch Fürstenföd!) Den kleinen Kunst- und Kulturinitiativen kürzt die Stadt Jahr für Jahr die Subvention, wovon ich als Herausgeber der „schreibkraft" ein Lied singen kann, einen Grazer Evergreen quasi. Im Gegenzug wird in einer offensichtlichen Politikerversorgungsaktion ein weiterer Kulturverwaltungsposten geschaffen: Graz hat seit ein paar Monaten eine Literaturbeirätin. Nur: Wozu? – Weil Kulturstadtrat Miedl immer so völlig ahnungslos erscheint? Oder um noch mehr Abgestandenes als Kulturinnovation anzupreisen? Wenn Sie mich fragen: Graz schaut als Kulturstadt momentan ganz schön alt aus. Kartnig-Gedenk-Gambeln. Mir geht’s wie Graz vor der Wahl: Ich hätte hier noch etwas Platz zu füllen, aber das geistige Vakuum der Stadt saugt mich auf. Der Hauptplatz: Eine Groteske in 12 Standeln. Der Jakominiplatz: Fast so hässlich wie Berlin Alexanderplatz, aber nicht auch nur halb so mondän. Der Karmeliterplatz: Rausgeputzt wie für den nächsten Fronleichnamsumzug, Amen. Und auf jedem Platz der Stadt lauert der Dreiecksständer mit der politischen Agitation für die kommende Wahl. Ich bin ein Plakatjunkie. Ich muss alles auflesen, was ich sehe, auch wenn’s mir nicht bekommt. Ich wundere mich nur: Die KPÖ lässt sich vom Fall eines Multimillionärs inspirieren und wettert gegen die Spielsucht. Was kommt wohl als Nächstes? - Das Hannes-Kartnig-Gedenk-Gambeln im Grazer Casino? Die Reinverluste kommen den Gläubigern von Sturm Graz zugute. Aber das ist eine andere ideenlose Geschichte, eine typisch Grazer Geschichte momentan. Werner Schandor ist PR-Agent und Autor und beschäftigt sich leidenschaftlich gerne mit den rätselhaften Seiten der Welt, z.B. der verqueren Logik politischer Wahlwerbung. Homepage: www.textbox.at
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