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Traumatische Energie - Helwig Brunner |
Archiv - Art Box | |
Montag, 13. März 2006 | |
Beginnen wir mit dem Wichtigsten oder Unwichtigsten: Wie einer aussieht. Der Lyriker Helwig Brunner gehört zu jenen, die anfangs eher nicht so gut aussehen, um mit zunehmendem Alter immer attraktiver zu werden. Ehemals schöne Frauen, die wissen, wovon ich rede, sprechen verbittert von der ausgleichenden Gerechtigkeit der Natur. Uwe Johnsons als „turmartig" beschriebener Kopf fällt einem zu Brunners langem Schädel ein, der sich allerdings auf einem muskulösen Hals nach oben zu wieder zu verjüngen scheint.
Die Haare, seitlich kurz und in die Höhe gekämmt, lassen ihn, akzentuiert durch strenge Brille und Kinnbärtchen, ziemlich schräg, zugleich aber auch als Abkömmling eines irgendwie technischen Geschlechtes wirken. Betont wird dieser Eindruck durch dunkelgraue oder schwarze Kleidung, ausgewählt für seinen Beruf als Biologe, der das Durchkämmen von Dickichten oder Erklimmen von Böschungen bisweilen nötig macht. Was diese beinah militärisch wirkende Unauffälligkeit, dieses anscheinend reibungslose Funktionieren zusätzlich attraktiv macht, ist Brunners beunruhigende Energie. Kein Wunder also, dass Helwig Brunner nicht zu den Autoren zählt, die so sehr in den Büchern anderer leben, dass sie selber nicht zum Schreiben kommen. Kein Gerede über Bernhard, Handke oder Jelinek. Nach seinen Vorlieben gefragt, nennt er ein paar Namen, die er tags darauf per Mail gerade noch auf die Handvoll ergänzt: Skácel, Michael Krüger, Kolleritsch natürlich, und in letzter Zeit verstärkt Friederike Mayröcker, von den jüngeren Waterhouse und Christoph W. Bauer. Cees Nooteboom, immer wieder Nooteboom, wird sowohl für Prosa als auch Lyrik angeführt und der Nobelpreisträger Coetzee mit seinem Roman „Schande". Natürlich trügt auch da die Selbstdarstellung, muss trügen bei einem, der seinen Arbeiten mitunter Zitate von Derrida und anderen Theoretikern der Postmoderne voranstellt. Über Energie muss einer verfügen, der zwei Studien absolviert und sich als Literat ein drittes Tätigkeitsfeld – erst Lyrik, jetzt auch Prosa – erschrieben hat. Als Biologe dissertierte Helwig Brunner 1997 mit einer ökologischen Arbeit über „Subalpin-alpine Vogelgemeinschaften im Ringkogelgebiet" zum Dr. rerum naturalium. Zudem hat der diplomierte Violinist einen Magister artium an der Musikhochschule – der heutigen Kunstuniversität – erworben. Seine diesbezügliche Diplomarbeit handelt Fächer übergreifend vom „Nachtigallengesang in der europäischen Kunstmusik". Die Liste von Brunners wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Projektarbeiten und Gutachten allein ist sieben Seiten lang und umfasst 146 Titel – viele im Rahmen der Firma Ökoteam erstellt, deren Mitbegründer und Mitinhaber Brunner ist, und die nicht nur augenblicklich, während der herrschenden Vogelgrippesaison, ziemlich erfolgreich agiert. Besucht hat Brunner, inklusive Latein und Griechisch, das Akademische Gymnasium, aber in den „manuskripten" des gerade 75 gewordenen Professors Alfred Kolleritsch hat er erst einige Jahre später veröffentlicht. Musik praktiziert er nicht mehr, weil seine Linke sich nicht so perfekt auf’s Griffbrett der Violine fügt, wie er’s gern hätte. Wie wichtig ihm die Schnittstelle zwischen Literatur und Musik geblieben ist, demonstrierte Brunner mit der Publikation „TON_SATZ", Gemeinschaftsarbeiten von Grazer Komponisten und Schriftstellern, die er 2005 gemeinsam mit Christine Wiesenhofer bei der Steirischen Verlagsgesellschaft herausgegeben hat. Neben einer steten Karriere als Lyriker, die ihn zu einer der größeren Hoffnungen Österreichs hat werden lassen, fungiert er seit etlichen Jahren als Redakteur und seit 2005 neben Markus Jaroschka als Mitherausgeber der Grazer Literaturzeitschrift „Lichtungen". Brunners Vergangenheit als Hochleistungskind, seine auf hohem Niveau praktizierte, gegenwärtige Vielseitigkeit lässt noch einmal nach den dafür erforderlichen Energien fragen. 1967 in Istanbul geboren, handelt es sich aber nicht um die Überanpassung des Zugewanderten. Mit der Türkei hat Helwig Brunner nicht viel mehr zu schaffen als einige Reisen, eine davon, vor der Demokratisierungsmission der USA, im kurdischen Grenzgebiet zum Irak; andere wichtige Reiseeindrücke waren Taiwan oder Marokko. Tatsächlich musste der Sohn eines am österreichischen St.-Georgs-Kolleg in Istanbul (allerdings Deutsch) unterrichtenden Latein-und Griechischlehrers einer offenen Kiefer-Gaumen-Spalte wegen schon früh mehreren Operationen unterzogen werden. Brunner deutet Traumata an, freilich ohne diese näher zu bezeichnen. Bilder des Verlustes, der gewaltsamen Trennung, aber auch der Sehnsucht nach Vollständigkeit tauchen wiederholt in den Texten auf: „Wer immer dieses Ich war und ist, es hat sich mir schon früh durch seine Suche, ja Sucht nach intensiviertem Ein- und Ausdruck bemerkbar gemacht, so als wollte es einen erlittenen Urverlust des ungeteilt Gemeinsamen wettmachen." Oder im Gedicht „Sprechübung, morgens", wo es heißt: „…toaste mir die Sätze doppelt, / tauche das Buttermesser ein / in die Fuge, ein Dreh im Gelenk / lockert den Gaumenknochen." In seinem neuesten Buch, dem Erzählband „Rattengift" (Kitab Verlag, 2006), leidet der Held aus „Der Zwilling" am Narbenschmerz, der ihm von seinem abgetrennten siamesischen Zwilling geblieben ist; einem Schmerz, den er auch nicht heilen kann, indem er dem bei der Geburt Verstorbenen unzustellbare Postkarten schreibt. Sprache selbst, oder besser ihre Abgetrenntheit von der Welt, aber auch die Utopie, dass es doch noch was werden könnte mit ihr, werden bei Brunner zum wiederholt auftauchenden Topos. Auch die Zahl der literarischen Veröffentlichungen ist einschüchternd: Vor dem eben erwähnten Erzählband erschienen die Lyriktitel „Gelebter Granit" (Graphikum 1991), „Auf der Zunge das Fremde" (Leykam, 1996), „Gehen, schauen, sagen" (Steirische Verlagsgesellschaft, 2002), „Aufzug oder Treppe" (Grasl Verlag, 2002) und „grazer partituren" (Steirische Verlagsgesellschaft, 2004). Dazu kamen Beiträge in renommierten Sammelbänden wie den Anthologien des Darmstädter „Leonce und Lena"-Wettbewerbs, an dem Brunner 1999 und 2003 als Finalist teilnahm, in „Lyrik von jetzt" (DuMont, 2003) sowie in einigen Ausgaben des „Jahrbuchs der Lyrik" (C. H. Beck, S. Fischer) … die Reihe lässt sich bis nach Kalifornien („Faultline: Journal of Art and Literature") fortsetzen. Dem Forum-Stadtpark-Literaturförderungspreis 1992 und dem Literaturförderungspreis der Stadt Graz 1993 folgten bald überregionale Anerkennungen wie 2001 der Ernst-Meister-Förderpreis für Lyrik der Stadt Hagen und der Literaturpreis der Salzburger Zeitschrift „erostepost" 2003. Entscheidend für Brunner waren auch seit 2003 die Berlinkonnektion und die dortige Zeitschrift „Lose Blätter", wo er unter anderem in dem Heft „Aus Österreich" neben Autoren wie Mayröcker, Schmatz, Franzobel und Roth zu lesen ist. Eine bei allem Schweben selten exzentrische Weltsicht hat Brunner auch als Essayisten bald reüssieren lassen. Er gewann 1999 den Essaywettbewerb der Akademie Graz und wurde 2002 in die Siemens-Anthologie „.TXTOUR" aufgenommen. Kein Wunder, dass Brunner sich mit „Rattengift" nun auch in die Reihe hoffnungsvoller (und lesbarer!) Erzähler geschrieben hat. Brunner fixiert lyrische Sachverhalte mit dem kühlen Blick des Naturwissenschaftlers; ein immer gelassenerer Zugriff auf die Sprache im Dienst lyrischer Sensibilität hat ihn eine stete Karriere als Lyriker machen lassen. Macht die ökonomische Disziplin des Lyrikers seine Prosa unangestrengt präzis, so lässt die Weltoffenheit des Unternehmers und Naturwissenschaftlers, angereichert mit seinem Interesse für fernöstliche Denksysteme, die Gedichte zusehends lichter und lakonischer klingen. Wie aus dem folgenden Vers abzulesen, werden da keine Sprach- und Existenzzweifel ekstatisch-anarchisch gestammelt: „Alles ist die Meisterschaft dessen, was ist", heißt es beispielsweise im Gedicht „Über den Umgang mit Tönen" in Heft 33/2005 der „Losen Blätter". Brunner nimmt für seine Lyrik vertikale, für seine Prosa horizontale Schreibzugänge in Anspruch. Aber auch seine Prosa ist ganz schön dicht. In der zuletzt entstandenen Titelgeschichte „Rattengift" des gleichnamigen Erzählbandes gelingt ihm das Kunststück, den pikaresken Schelmenroman in Graz einzubürgern und auf 77 Seiten nachtschwarz zu verdichten (siehe Textbeispiel). Der Roman „Nachspiel" liegt bereits fertig in der Schublade und soll im Herbst 2006 erscheinen, aber das bedeutet keineswegs, dass Brunner nun auf Distanz zur Lyrik geht. Demnächst veröffentlicht er in den „manuskripten" aus einem neuen Zyklus, in dem er Alltagsgegenständen wie dem Sessel, dem Schuh und dem Abfalleimer ein lyrisches Ich leiht – eine unsentimentale Erneuerung von Rilkes berühmten Dinggedichten. Helwig Brunner repräsentiert also einen jener Universalisten, die man schon beinah für ausgestorben gehalten hat und die einen vor Respekt erstarren lassen können. Zugleich rückt ihn seine mit selbstverständlichem, virtuosem Sprachgebrauch performierte Universalität in die Nähe konservativer Schriftsteller wie Martin Mosebach oder des schreibenden Unternehmers Ernst Wilhelm Händler in Deutschland beziehungsweise hierzulande Matthias Manders. Helwig Brunner zählt zu den unangestrengt coolen Künstlern, die auch das eigene Engagement längst durchschaut haben. An die Stelle eines poète maudit, eines Selbstzerstörers (oder Revolutionärs) am Rand, tritt der Hochleistungsintellektuelle in der Mitte der Gesellschaft, als selbst beherrschter Dienstleister, der souverän mit Kommunikationstechniken und Karriereregeln hantiert. Aber natürlich stimmt zumindest dieser Teil des hier vermittelten Brunner-Bildes auch wieder nicht. Sein Erfinder (ich) weiß aus eigenem Erleben, mit welch uneigennützigem und selbstmörderischem Engagement Brunner seine herausgeberische Arbeit im Rahmen der „Lichtungen" betreibt. Unbestreitbar ist allerdings seine Energie – traumatisch allenfalls für Lässigere. Der Erzählband „Rattengift" wird gemeinsam mit Joachim Gunter Hammers Gedichtband „Flöten gehen" am 14.3. im Grazer Literaturhaus präsentiert. LESEPROBEN RATTENGIFT 1. Anfänge Eine der lebendigsten Erinnerungen, die ich an meine Kindheit in Graz habe, betrifft unseren Hausmeister oder, genauer gesagt, die von ihm geflissentlich betriebene Bekämpfung von Mäusen und Ratten im Keller meines Elternhauses in der Grazer Hochsteingasse. Die Hochsteingasse beginnt an einer verkehrsreichen Ausfallstraße, auf der man Graz auf schnellstem Weg in Richtung Wien und Deutschland verlassen kann, und klettert dann so steil wie unverdrossen auf den so genannten Rosenberg. Dabei durchquert sie ein schmuckes Villenviertel, dessen Prachtbauten und Prachtbäume einander hinsichtlich ihres Alters und ihrer morbiden Ehrwürdigkeit um nichts nachstehen. Manchmal fällt hier ein Apfel oder gar ein abgestorbener Ast nicht weit vom Stamm polternd zu Boden, weshalb es nicht ratsam ist, in der Hochsteingasse ein Fahrzeug zu parken oder sie als Fußgänger anders als laufend zu frequentieren; die Hochsteingasse ist also ein gefährlicher Ort und als solchen habe ich sie auch immer empfunden. (...) FLIMMERN Alfred Schnittke: Concerto grosso No. 1 Schnittkanten, Narben, zu Mustern verzweigt. Begehren und Begierde trennt ein Haarriss, die erste Ermüdung des Materials. Gabe und Wiedergabe sind Geschenke der Sinne für einander: Schmelze, Mut und Vermutung, freigegeben zum Erkalten, als wäre dies schon die richtige Form. Wir kommen davon mit einem Flimmern in den Augen, dem körnigen Abbild. Der Schatten, hart und pelzig, häutet uns: kleidet uns ein. Das raue Haar zwischen den Lippen, werden wir sanft und wild. (aus der Serie: Über den Umgang mit Tönen) HIMMEL Der Horizont lügt: er behauptet Himmelsnähe, stiehlt sich krumm davon. Seine schlechte Akustik reißt uns die Worte vom Mund. Er taugt nicht als Zeile, auf flimmernder Linie fädelt er unsere Bilder hinter die Augen zurück. Er lehrt, wie man spricht mit Abwesenden und mit Toten: der Horizont sagt die Wahrheit. Die folgenden Gedichte stammen aus der Serie: Der gekrümmte Tag REGEN wo die Mitte ist, hängt von den Rändern ab, wo die Ränder sind, hängt von der Form ab, hat weder Mitte, Rand noch Formder Himmel, aus dem es regnet, ENTSCHEIDUNGEN es stünde im Konjunktiv, gebärdete sich als Möglichkeit, hielte die Zeichensätze offen für noch zu erfindende Sprachen, es wäre Raum für Zärtlichkeit, es wäre Zärtlichkeit im Raum, der Raum wäre zärtlich zu uns und hielte uns fest, wir fingen zu reden an, wir träfen Entscheidungen, weil nichts immer sagbar ist, weil nie alles sagbar ist BAUMSCHULE es ist müßig, Unterschiede zu machen, wo welche sind, also lass dich umarmen samt dem Baum, an dem du lehnst, lass uns das Wurzeln erlernen, ein Wäldchen sein zu dritt
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