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Für eine Handvoll Shakespeare |
Archiv - Kultur | |
Mittwoch, 15. November 2006 | |
Ein magischer Augenblick in der Inszenierung von Shakespeares „Richard III." durch das polnische Theater-Enfant-terrible Jan Klata am Grazer Schauspielhaus: Carolin Eichhorst strippt am US-Fahnenmast mindestens so gut (wenn auch nicht ganz so nackt) wie Demi Moore in „Striptease", während der Mann uninteressiert an seinem Apfel schmatzt.
Aber dann beugt sie sich in einem unerhörten Moment über seine Hand, schnappt sich mit einem Biss den Apfel und schleudert ihn mit einer Bewegung ihres Kopfes über die Bühne … Vom Dilemma der Übertragung. Geschichten aus Japan haben sich immer wieder erfolgreich als Western adaptieren lassen; Kurosawas „Die sieben Samurai" wurden zu Sturges „Die glorreichen Sieben", sein „Yoyimbo" zu Leones Italowestern „Für eine Handvoll Dollar". Sein namenloser Held, gespielt von Clint Eastwood, steht Modell für den Richard III. Max Mayers. Die Leitkultur Film ist augenblicklich ziemlich Mode im Theaterbetrieb, der seinem Schwächeln durch Kannibalisieren anderer Künste gegensteuert. Warum dann nicht Richard III. als Spaghettiwestern inszenieren? Aber ob sich Klassiker mittels eines toten Genres wie dem Western beleben lassen? Filmadaptionen am Theater basieren meist auf ziemlich guten Drehbüchern. Klatas Arbeit verzichtet aber gleichermaßen auf Drehbuch wie Shakespeare und setzt dafür auf Morriconemusik und Western-Bilder. Letztere hat Justyna Lagowska zusammen mit Christoph Steffen (Lichtgestaltung) auch wirklich großartig entwickelt. Das Regietheater aber wird zum visuellen Beziehungswahn, dessen toller Oberflächenreiz wenig dramatischen Mehrwert bringt. So steht ein Galgen gegenüber der US-Flagge, Sex wird mit Reiten verbunden, wozu man natürlich in einen Sattel muss, und Richmond, der Richard am Ende besiegt, trägt die Züge von Präsident Bush. Shakespeare beschreibt das Ineinandergreifen des individuell Bösen mit einem prinzipiell unmenschlichen, politischen Apparat. Das Dilemma der Inszenierung liegt darin, dass, anders als Shakespeares historischen Figuren, dem Westernhelden der Staat, das Gemeinwesen, die gesellschaftliche Macht völlig gleichgültig sind. Richard III. ist kein stoischer Schweiger a la Clint Eastwood, sondern einer dieser hinreißend witzigen, selbstreflexiven Bösewichter. Max Mayer gibt diesen Zyniker, der mit der eigenen Unberührbarkeit und dem Tod der anderen jongliert, sehr überzeugend. Mut war vorhanden. Film allerdings lebt vom Wechsel zwischen Totale und Nahaufnahme – auch oder gerade der Western mit seinem endlosen Horizont: Ganz groß die über dem Revolverkolben gekrümmte Hand – sehr weit (total) die staubige Straße mit den beiden Gegnern. Das Theater kennt leider nur die Totale, das visuelle Detail lässt sich im Guckkasten schwer inszenieren. Neben dem Lichtspot entspricht ihm die Präsentation des Textes … laut, leise, geflüstert … Aber wie macht das ein Schauspieler, wenn er kaum einen Text hat? Wenn er einen hatte, wie Herta Schell als alte Frau, funktionierte das auch. Aber selbst Franz Solar als Buckingham oder Erik Göller als Hastings, auf Ikonen reduziert¸ hatten wenig zu spielen. An Mut hat es Klata mit seinem Irokesenhaarschnitt jedenfalls nicht gefehlt. Absolutes Muss für Ennio-Morricone-, Western- und Shakespearefans (in dieser Reihenfolge). Willi Hengstler Noch am 7., 10., 16., 23. und 24. November im Schauspielhaus.
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