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Christan Felber: "Kein Wunder, dass die Zustimmung zur EU im Keller ist"
Donnerstag, 11. Oktober 2007
DEMOCRACY – LAB – MUSIC www.elevate.at

Christian Felber, Mag. phil., ist freier Publizist, Autor und Kolumnist und Sprecher von Attac Österreich. Seine jüngste Publikation in Buchform – „50 Vorschläge für eine gerechtere Welt – Gegen Konzernmacht und Kapitalismus“ – ist nach einem Jahr in der 5. Auflage erschienen. Beim Elevate-Festival wird Felber an den Diskussionen „Herrschaft, Widerstand und Partizipation in den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union und Venezuela“ (27.10., 14:00 bis 16:00) und „Demokratie im 21. Jahrhundert: Ende oder Neubeginn?“ 27.10.2007., 17:00 bis 20:00) teilnehmen.
Christian Stenner sprach mit Felber über einen der wichtigsten europäischen demokratiepolitischen Diskussionen der letzten Jahre: die Auseinandersetzung über den europäischen Verfassungsvertrag, der nun – nachdem ihn Franzosen und Französinnen und NiederländerInnen bei Referenden abgelehnt haben – den EuropäerInnen in einer behübschten Neufassung unter dem euphemistischen Titel „Reformvertrag“ untergejubelt werden soll. Zentrale Kritikpunkt am ursprünglichen Verfassungsvertrag waren die Verankerung der Marktwirtschaft als konstitutives Element der Union in der Verfassung – vermutlich die einzige Konstitution der Welt, die eine bestimmte Wirtschaftsform in den Verfassungsrang erhebt –, die Ermöglichung eines eigenen EU-Militärhaushaltes und schwer wiegende demokratiepolitische Mängel, weil v.a. dem gewählten europäischen Parlament nach wie vor eine Statistenrolle zugewiesen wird.



Von mehreren Seiten wurde nach der Niederlage bei den Referenden der Vorschlag gemacht, den die Entscheidungsfindung innerhalb der EU betreffenden Teil des Verfassungsvertrages – und hier waren in der Tat wegen der Osterweiterung Änderungen nötig – von jenen Kapiteln zu trennen, die der EU die Rolle einer militärischen Supermacht zuweisen wollen, in welcher der freie Kapitalverkehr oberstes Unionsziel darstellt. Warum, denken Sie, wurde dieser vernünftige Ausweg nicht gewählt?

Nun, schon beim ursprünglichen Entwurf haben nicht der Verfassungskonvent, sondern die Regierungen auf der All-in-one-Packung bestanden und Vertragsteil und Verfassungsteil zusammengeklebt. Sie haben aus dem „Nein“ der Franzosen und Französinnen und NiederländerInnen nichts gelernt und wollen nun den leicht retouchierten Verfassungsentwurf unter neuem Namen möglichst rasch durchbringen – nach Möglichkeit bis zu den Europawahlen im Jahr 2009, allerdings diesmal unter Verzicht auf Volksabstimmungen, die so offensichtlich schief gehen können. Wenn diese Linie des Drüberfahrens fortgesetzt wird, werden sich immer weniger Menschen mit der EU identifizieren. Es ist kein Wunder, dass die Zustimmung zur Union in den Mitgliedsstaaten im Keller ist.



Wie essentiell sind eigentlich die geänderten Passagen?

Neben kosmetischen Änderungen wie dem Verzicht auf Flagge und Hymne gibt es eine formale Neuerung. Statt eines monolithischen Verfassungsvertrages sollen der bestehende „Vertrag über die Europäische Union“ und der „Vertrag über die Arbeitsweise der europäischen Union“ (früher: EG-Vertrag) aufrecht bleiben. In diese beiden Verträge werden die Änderungen, die der Verfassungsvertrag gebracht hätte, eingearbeitet.

Die Grundrechtscharta wurde aus dem Entwurf entfernt, sie soll in einem Amtsblatt publiziert werden. Sie wird nicht für alle gelten, neben Großbritannien erwägt auch Polen ein „opting-out“. Wie schmerzvoll diese Rückstufung ist, ist unklar. Denn die Charta hätte neben den klassischen Bürgerrechten auch das Recht auf freies Unternehmertum enthalten, außerdem sollten die Grundrechte den freien Waren- und Kapitalverkehr sicherstellen, was absurd ist, weil sie besonders durch ihn gefährdet sind. Die Regierungschefs haben zudem ausdrücklich festgehalten, dass die Grundrechtscharta „keine neuen Rechte und Grundsätze schafft“. Es fragt sich also, was sie wert gewesen wäre.

Wenn es ernsthaft um Menschen- und Bürgerrechte geht, dann hätte der einfachste Weg darin bestanden, dass die EU der Europäischen Menschenrechtscharta beitritt, der EuGH sich dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unterwirft und die Europäische Sozialcharta nach der Turiner Version in Verfassungsrang gehoben wird.

Von zentraler Bedeutung ist auch, dass die Mitgliedsstaaten im Reformvertrag weiterhin zur Aufrüstung verpflichtet werden und dass auch – im Gegensatz zum aktuell gültigen Vertrag von Nizza – ein eigener EU-Militärhaushalt ermöglicht wird.



Könnten Sie persönlich jenem Teil zustimmen, der sich nur auf die demokratischen Verfahrensfragen bezieht?

Nein, weil alle Demokratiedefizite nur in homöopathischer Dosierung behoben wurden. Das Parlament kann laut Verfassungs- und auch laut Reformvertrag nur in ungefähr zwei Drittel – früher: nur rund in einem Drittel – aller Materien mitbestimmen. In der Außen- und Sicherheitspolitik, beim Euratom und in der „Verstärkten Zusammenarbeit“ bleibt das einzig direktdemokratisch legitimierte Organ der EU ohne Rechte. Attac fordert, dass das Parlament die Mitglieder der Kommission einzeln wählen und abwählen kann und natürlich das Recht zu Gesetzesinitiativen bekommt – darauf hat zurzeit die durch keine demokratische Wahl legitimierte Kommission ein Monopol.

Des Weiteren hat man auch im neuen Entwurf auf eine wirkungsvolle Subsidiaritätsprüfung verzichtet – also darauf festzustellen, welche Aufgaben von unteren, auch regionalen Organen und Entscheidungsebenen übernommen werden können. Das Ergebnis ist etwa, dass das Land Oberösterreich nicht von sich aus entscheiden darf, auf den Anbau gentechnisch manipulierter Pflanzen zu verzichten.

Das im neuen wie im ursprünglichen Entwurf vorgesehene Europäische Volksbegehren kann bestenfalls als Farce bezeichnet werden – es soll nämlich der Kommission überlassen werden, ob und wie sie auf die darin erhobenen Forderungen reagiert. Und: Volksbegehren sind nur über Forderungen möglich, die sich im Rahmen der Verfassung bewegen, das heißt, dass Verfassungsänderungen nicht Gegenstand eines Volksbegehrens sein können – eine unzumutbare Einschränkung.

Aus demokratiepolitischer Sicht ist schließlich das Zustandekommen des Reformvertrages selbst äußerst bedenklich: Die Verfassung sollte entsprechend den Mindeststandards der bürgerlichen Demokratie von einer verfassungsgebenden Versammlung erarbeitet werden, die aus allgemeinen Wahlen hervorgeht – und nicht von einem willkürlich zusammengesetzten selbst ernannten Konvent. Und dann muss der Souverän darüber in einer Volksabstimmung entscheiden – und sonst niemand.

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