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Bibliotheks-Sparkurs: Lesen am Postamt? |
Archiv - Kultur | |
Donnerstag, 7. September 2006 | |
Der Hauptstandort der Grazer Stadtbibliothek, der „Zanklhof“, mit Mediathek (li.) entspricht trotz kürzlich erfolgter Revitalisierung mit seinem Raum- und Medienangebot bei weitem nicht den international üblichen Standards. Während sich die Stadt Graz seit 2003 stolz mit dem Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ schmücken darf, hielt im Anschluss an die großen Worte gemeinsam mit den flauen Kassen bald auch wieder Katerstimmung im Rathaus Einzug – mit der Folge, dass die alltäglichen kulturellen Grundbedürfnisse der Menschen dem Diktat von Sparzwängen geopfert werden. „Kulturhauptstadt“ spart bei Kultur. Die von Politikern immer wieder gern gepredigte „Nachhaltigkeit“ der künstlerischen Projekte, in die anlässlich des Kulturhauptstadtjahres zweistellige Millionenbeträge investiert worden waren, blieb in den meisten Fällen Chimäre und die Stadtschatulle leerer als je zuvor. Ein umfangreiches Paket von Sparvorschlägen sollte die schon seit längerem absehbare finanzielle Misere der Stadt beheben. Auf die rote Liste kamen ausgerechnet Schulen, Sport- und Freizeitstätten sowie nicht zuletzt kulturelle Einrichtungen, wie die Filialen der Stadtbibliothek oder das erst kurz zuvor gegründete Kabarettarchiv.
Die geplante Schließung aller acht Zweigstellen der Grazer Stadtbibliothek konnte im Jahr 2004 noch verhindert werden. Der zu jener Zeit zuständige Kulturstadtrat Dr. Christian Buchmann ließ sich durch die Unterschriftenaktion einer Bürgerinitiative und die Intervention des Büchereiverbandes Österreichs (BVÖ) überzeugen und legte das Vorhaben ad acta. Reformwille aus Not. Buchmanns Nachfolger im Ressort, Stadtrat Werner Miedl, sah sich jedoch ebenfalls unter Zugzwang Einsparungen zu verwirklichen und beauftragte die internationale Bibliotheksexpertin Prof. Dr. Cornelia Vonhof von der Universität Stuttgart damit, eine Studie über das Bibliothekenwesen in Graz und die damit verbundenen Entwicklungschancen zu erstellen. Das Ergebnis fiel für eine sich selbst als kulturelles Zentrum definierende Stadt nicht gerade befriedigend aus: „Die Stadtbibliothek der Stadt Graz liegt trotz der enormen Verbesserungen in den letzten Jahren deutlich hinter den internationalen Standards zurück, insbesondere was die Ausstattung betrifft“, musste Miedl zur Kenntnis nehmen. Eine Annäherung an internationale Standards wäre „nur durch eine deutliche Ausweitung der finanziellen, räumlichen und personellen Ressourcen möglich“, forderte die Studie der deutschen Spezialistin, was aufgrund der angespannten Haushaltslage jedoch abgelehnt wurde. Die Vorgabe war nämlich, dass der Stadt keine Mehrkosten entstehen dürfen. Dr. Vonhof empfahl daher zumindest eine „Konzentration der Ressourcen auf deutlich weniger Standorte um eine teilweise Annäherung an die internationalen Standards zu erreichen.“ Filialschließungen trotz Bürgerprotesten. Das Kulturressort nahm die Bibliotheksstudie zum Anlass, ihre Standorte auf Wirtschaftlichkeit zu evaluieren. Als Ergebnis daraus wurde für drei der Filialen die umgehende Schließung beschlossen. Die Leiterin der Stadtbibliothek Mag. Roswitha Schipfer zeigt sich „nicht gerade glücklich“ über diese Entscheidung, aber diese wäre letztlich unausweichlich gewesen: „Die drei Zweigstellen mit der niedrigsten Entlehnfrequenz (Rudolfstraße/Ragnitz, Weißenhofgasse, Straßganger Straße) wurden ausgewählt, da die Standorte seit vielen Jahren eine viel zu geringe Nutzung aufweisen.“ Außerdem seien die Räumlichkeiten viel zu beengt gewesen und hätten nicht mehr den Maßstäben für zeitgemäße Mediennutzung (Internet etc.) entsprochen. Die eingesparten Mittel und Personalposten könnten zudem sinnvoller für die dringende Verbesserung des Serviceangebotes und der Infrastruktur im Haupthaus Zanklgasse eingesetzt werden, „zumal eine Schaffung von neuen Dienstposten von Seiten der Stadtverwaltung bis auf weiteres ausgeschlossen wurde“. Erneute Proteste der betroffenen Anrainer wegen der Schließungen blieben freilich nicht aus. „Diese können zwar nicht mehr rückgängig gemacht werden“, erklärte Helga Boyer von der „Plattform zur Aufrechterhaltung, Modernisierung und zum Ausbau öffentlicher Bibliotheken“, aber „ein zeitgemäßer Ersatz für die verlorenen Standorte muss von Seiten der Stadt umgehend geschaffen werden“. Sie überreichte Stadtrat Miedl Ende August über 5000 Unterschriften gemeinsam mit einer Petition, die den raschen Ausbau eines modernen und attraktiven Bibliotheksangebotes fordert. Konzentration auf wenige Standorte. Stadtrat Miedl beteuert demgegenüber, dass ihm die weitere Verbesserung der Qualität der Stadtbibliothek „besonders am Herzen liegt, da Bücher Vitamine fürs Hirn und Kraft fürs Gemüt sind“. Er stellte im Gespräch mit der Bürgerinitiative das neu erarbeitete Konzept des Kulturressorts vor, das eine Konzentration auf noch weniger Standorte vorsieht, denn „die zur Verfügung stehenden Mittel müssen effizient eingesetzt werden“. Dieser „Masterplan“ sieht vor, dass neben dem Haupthaus Zanklgasse/Mediathek vier weitere Großfilialen an der Peripherie von Graz entstehen sollen, um eine gleichmäßige Abdeckung weiter zu gewährleisten. Während die fünf geplanten Standorte nach Miedls Meinung „zumutbar“ sind, gibt Boyer zu bedenken, dass „die deutlich längeren Wege für viele ältere, gehbehinderte Menschen und Mütter mit Kleinkindern nicht zumutbar sind“. Über die Planungsphase für die regionalen Bibliotheks-Zentren ist man derzeit ohnehin nur beim Standort Graz West hinaus: In den neuen Gebäuden der FH Joanneum in Eggenberg soll im Oktober 2006 mit dem Ausbau begonnen werden. Auf 250 Quadratmetern will man so bis zum Herbst 2007 eine allen modernen Anforderungen genügende Filiale zur Verfügung stellen, die dann allerdings auch die kleinere Zweigstelle in der Vinzenzgasse endgültig ersetzen wird. Über mögliche weitere Standorte sind derzeit noch keine konkreten Pläne bekannt. Bücherbus und Postservice sollen Lücken abdecken. In der Zwischenzeit setzt Stadtrat Miedl auf alternative Angebote, die die Ausdünnung des Netzes kompensieren und zusätzlich neue Leserschichten erschließen sollen. Der in der Petition geforderte zweite Bücherbus soll noch ab diesem Herbst zum Einsatz kommen und damit das mobile Angebot verdoppeln, außerdem sollen weitere Stationen, z.B. in Eggenberg, geschaffen werden. Die wöchentlich pro Standort nur zwei Stunden zugänglichen Fahrzeuge mit jeweils 5.000 Medien können freilich ehemalige Zweigstellen nur unzureichend ersetzen, betont Boyer. Seit Mitte Juli wird in Zusammenarbeit mit der Post ein Gratis-Zustellservice an die jeweils nächstgelegene Postfiliale der Benützer angeboten – die Bücher und AV-Medien müssen jedoch zunächst im Internet oder telefonisch vorbestellt werden. Obwohl der Dienst nach Angaben von Roswitha Schipfer bereits trotz Sommerferien bereits sehr gut angenommen wird, regt sich auch Kritik daran, die Andreas Gutl von der Plattform deutlich zum Ausdruck bringt: „Buchkultur spielt sich nicht bei der Post ab, sondern in angenehmer Leseatmosphäre. Zudem haben viele ältere Menschen keinen Zugang zum Internet.“ Heimo Gruber (KRIBIBI): „Auch innovative Services, wie der Postzustelldienst, können das entspannte Schmökern in der geistig anregenden Atmosphäre von Bibliotheksräumen nicht ersetzen.“ Großzügige Lösungen in anderen Städten. Dieselbe Auffassung wird auch von Heimo Gruber, dem Koordinator des „Arbeitskreises kritischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare im Renner-Institut“ (KRIBIBI), vertreten: „Hier entstehen empfindliche Lücken in der lokalen Versorgung oft ohnehin sozial benachteiligter Menschen. Insbesondere aber muss man bemängeln, dass der der zentrale Standort in der Zanklgasse trotz des jüngst erfolgten Ausbaus der zweitgrößten Stadt Österreichs in keinster Weise angemessen ist.“ Ein Vergleich zu den übrigen größeren Städten demonstriert den Rückstand von Graz deutlich: Die neu gebaute Wiener Hauptbibliothek am Gürtel bietet über 300.000 Medien sowie 130 PC-Arbeitsplätze. Der Linzer „Wissensturm“ (30 Mio Euro), dessen 15 Stockwerke sich Stadtbibliothek und Volkshochschule teilen werden, wird ab Herbst 2007 auf 3000 Quadratmetern seinen Nutzern über 140.000 Medien anbieten; zusätzlich sind elf Zweigstellen mit unterschiedlichen Schwerpunkten über die ganze Stadt verteilt. Eine großzügige Zentrallösung wird derzeit in Salzburg umgesetzt, wo an der Stelle eines ausrangierten Fußballstadions mit der Investition von 12 Mio Euro ein riesiger Hort des Wissens entsteht, der vor allem Kindern und Jugendlichen Aktionsräume bieten soll. Vom Entwicklungsland ins 21. Jahrhundert? Dabei ist Österreich insgesamt im EU-Vergleich, was die Bibliothekenstruktur angeht, ohnehin noch immer als Entwicklungsland einzustufen. Gruber verweist auf das vorliegende Zahlenmaterial aus Europa: „Während in Deutschland pro Jahr 7 bzw. in Finnland sogar 20 Medien pro Einwohner entlehnt werden, sind es hierzulande gerade 2 (!) Stück.“ Das international empfohlene absolute Minimum des verfügbaren Bibliotheksangebotes sollte bei einem Medium pro Einwohner liegen. Die Grazer Stadtbibliotheken haben derzeit nur einen Bestand von knapp 160.000 Medien vorzuweisen und liegen demnach mindestens 30 Prozent unter diesen Mindeststandards, während in der BRD immerhin 1,5 bzw. in Finnland 7 Medien pro Bewohner in den Leihbibliotheken vorhanden sind. Bibliotheksleiterin Roswitha Schipfer ist trotz der strukturellen Probleme in Graz weiterhin zuversichtlich, was die künftige Entwicklung der Stadtbibliothek betrifft: „Es wäre freilich schön, wenn hier ein Projekt vergleichbar dem in Salzburg umgesetzt werden könnte, aber von vorrangiger Wichtigkeit ist es zunächst einmal, dass die geplanten, großzügigeren Standorte auch wirklich realisiert werden. Insgesamt bin ich mit den erzielten Fortschritten, wie Postservice und Marketing, aber sehr zufrieden und auch die Nutzungsfrequenz am Hauptstandort zeigt in letzter Zeit deutlich nach oben.“ Josef Schiffer
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