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Ladakh/Indien: Konsumwünsche als Motor für eine Bildungsreform
Archiv - Eine Welt
Donnerstag, 7. September 2006
ImageAuf dem Weg nach Lingshed

Die Autorin des folgenden Beitrages, Eva Khil, ist Mitglied des Vereines „Friends of Lingshed“, der eine Schule im indischen Himalaya-Distrikt Ladakh errichtet hat und sie auch weiter unterstützt. Sie reiste im Sommer 2006 nach Ladakh, um sich ein Bild von den Erfolgen dieser Art von Entwicklungsarbeit zu machen – und die Probleme des Bildungswesens in einem Land an der Schwelle von der Subsistenz- zur Warenwirtschaft aus der Nähe zu studieren.

„A travelling fool is better than a sitting wise man“, lautet eine nomadische Weisheit aus Ladakh. Angesichts der jedes Jahr zahlreicher werdenden Gruppen westlicher Trekkingtouristen, die den Himalaya durchwandern, stellt sich die Frage, ob diese hintergründige Weisheit die scheinbar nutzlos herumwandernden Fremden den gelassen staunenden Dorfbewohnern gegenüberstellt.
Aber: Die Fremden bringen Geld ins Land. Trekking in Ladakh gibt den Menschen die Chance auf Einkünfte und Verbesserung ihrer sehr bescheidenen Lebensbedingungen – und birgt gleichzeitig die Gefahr, die Kultur zu untergraben. Trotz der warnenden Stimmen (z.B. von der Women Alliance in Leh, der 11.000 EinwohnerInnen zählenden Hauptstadt Ladakhs) werden westliche Lebensformen unkritisch bewundert. Auffallend ist, dass die starke Stellung der ladakhischen Frauen, die traditionell gleich viel arbeiten wie Männer und dafür die gleichen Rechte genießen, zunehmend unter Druck gerät. Kopiertes cooles Machogehabe bei den Jungen gepaart mit verwundbarem Selbstwertgefühl gegenüber den beneideten Touristen lässt die traditionellen Rollenbilder wanken.

ImageAuf Besuch in der Solarschule

Ein Ausbildungssystem ohne Berufsausbildung. Die Menschen Ladakhs betrieben Jahrhunderte lang Subsistenzwirtschaft: In der kurzen Vegetationsperiode werden hauptsächlich Gerste und Weizen angebaut. Die Rinder, Schafe und Ziegen geben Milch. Nur der schwarze Tee für den Buttertee, der mehrmals täglich getrunken wird, wird importiert. Nun wird auf einmal Geld benötigt: Der Weg in die Moderne bringt Fernseher, elektrische Haushaltsgeräte, Videospiele und DVDs mit sich, die gekauft werden wollen.
In diesen Veränderungen sehen die für die Ausbildung der Jugendlichen zuständigen Stellen aber auch eine Chance, das veraltete Bildungssystem zu erneuern und an die heutigen Bedürfnisse anzupassen:
Das Schulsystem in Ladakh besteht aus 12 Stufen. Wer die 12. Klasse abgeschlossen hat, kann ein College und dann die Universität besuchen. Einen Abschluss vergleichbar dem österreichischen Hauptschulabschluss gibt es nicht. Die meisten Kinder gehen ein paar Jahre zur Schule, um Lesen und Schreiben zu lernen und verlassen diese irgendwann, wenn sie heiraten, einen der begehrten Jobs als Trekkingbegleiter ergattern oder zum Militär gehen. Sogar für den Beruf des Lehrers muss man nicht alle 12 Klassen abgeschlossen haben.
Jugendliche – vor allem Burschen, die die Schule schon nach einigen wenigen Jahren verlassen, haben keinen offiziellen Abschluss. Klappt es dann mit einem Job im Tourismus nicht, stehen sie oft auf der Straße.
Ein duales Ausbildungssystem wie bei uns gibt es ebenfalls (noch) nicht. Berufe werden innerhalb der Familie oder Verwandtschaft weitergegeben und Ausbildungsstätten fehlen bis jetzt. Das hängt auch damit zusammen, dass die Ladakhis vorwiegend Bauern sind und für Straßenarbeiten und andere Tätigkeiten Hilfskräfte aus dem übrigen Indien beschäftigen. Viele dieser Jobs werden als „shameful jobs“ bezeichnet. Das hinduistische Kastenwesen bestimmt auch in Ladakh das Leben, obwohl die Bevölkerung hier überwiegend buddhistisch bzw. moslemisch ist. So werden dringend benötigte Berufe nicht erlernt, weil sie mit keinem sozialen Prestige verbunden sind.

ImageDie Autorin des Beitrages, Eva Khil, im Gespräch mit dem Schulreformer Mr. Gergan


Anfänge einer Lehrlingsausbildung. Das soll sich nach den Vorstellungen von Mr. Gergan, dem engagierten Direktor der angesehenen Privatschule „Moravian Mission School“ in Leh, nun ändern: Am Rande der Hauptstadt entsteht zurzeit die Moravian Mission School II, die mit einem Berufstraining für Schulabbrecher und einem Therapiezentrum für Behinderte starten möchte. Herr Gergan ist zuversichtlich, dass die gesteigerten Konsumwünsche der Jugendlichen die traditionellen Vorstellungen brechen werden und die Bereitschaft, einen Handwerksberuf zu erlernen, steigen wird. Das Angebot der zu erlernenden Berufe soll vorerst Tischler, Elektriker, Installateur und Schneider umfassen, wobei kein Unterschied zwischen Mädchen und Jungen gemacht wird. Mit Hilfe ausländischer Sponsoren soll auch Kindern aus den Dörfern eine Schulausbildung ermöglicht werden
Aber sobald es diese Gelegenheit gibt, ist auch der Wunsch groß, den Heimatort zu verlassen und ein vergleichsweise angenehmes Leben in der Stadt zu führen. Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten, aber vielleicht zu beeinflussen.

Eine Schule mit österreichischer Unterstützung. Der Verein „Friends of Lingshed“ möchte hier gegensteuern: Für den Unterricht an der vom Grazer DI Christian Hlade vor 10 Jahren errichteten Solarschule in Lingshed wurden eigene Schulbücher mit Themen aus dem unmittelbaren Lebensumfeld der Kinder geschrieben und gezeichnet (z.B. das Leben auf einem ladakhischen Bauernhof). Üblicherweise sind die Lehrinhalte aus dem Leben der Inder, die südlich des Himalaya in den subtropischen Gebieten wohnen, entnommen, wo Mangos und Papayas wachsen. Früchte, die ladakhische Landkinder gar nicht kennen. Neben der Schule, die durch ihre schräge Glasfront passiv die Sonnenenergie nutzt, wurde ein Glashaus gebaut, um mehr Vielfalt in den Gemüseanbau zu bringen. Auch Erwachsenenbildung – Alphabetisierung – in der für den Winterunterricht geeigneten Solarschule (es gibt praktisch kein Heizmaterial in Ladakh, daher in der arbeitsärmeren Winterzeit normalerweise auch keinen Unterricht) wird angeboten. Unter den Lehrern befindet sich nun schon eine junge Frau, Padma Chozin, die vor 10 Jahren in dieser Schule ihre Schulzeit begann. Der größte Erfolg ist aber, dass Lingshed auch durch das Beispiel der Solarschule von der indischen Regierung zum Schulzentrum ausgewählt wurde und nun neben der Grundschule auch Gebäude für die fortführenden Klassen, ein Hostel zur Unterbringung von Kindern aus Nachbarorten und Lehrerwohnungen erhält. War es vor zehn Jahren noch die Ausnahme, dass ein Dorfkind eine Schulausbildung erhielt, so besuchen nun alle Kinder des Ortes die Schule.
So entsteht eine Basis für das Überleben der Dörfer und die Hebung des Lebensstandards; allerdings gilt es dabei immer wieder Widerstände zu überwinden: Durch das auch im buddhistischen Ladakh gelebte hinduistische Kastenwesen ist es fast unmöglich, die Menschen dazu zu bewegen, Fähigkeiten zu erlernen, die der Dorfgemeinschaft das Leben erleichtern würden. Auch wenn nun die Nachfrage nach Holzbearbeitung beim Bau neuer Gästehäuser steigt, so ist niemand bereit den Beruf des Zimmermanns zu erlernen, da er als unrein gilt; hier muss noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden.

Umdenken tut Not – auf beiden Seiten. Der wachsende Tourismus birgt Gefahren und Chancen. Der Verein Friends of Lingshed hat auch schon Ladakhis nach Österreich eingeladen. Sie sollen die Möglichkeit haben, sich vor Ort ein kritisches Bild vom Leben in Europa zu machen. Besuche in Altenpflegeheimen erschüttern diese Menschen, die ihre Altersversorgung in der Großfamilie sehen, meist zutiefst. Im gegenseitigen Kennenlernen der Lebensumstände steckt für beide Seiten die Chance umzudenken: Die eigenen Stärken zu erkennen und zu erhalten und sie nicht einem fragwürdigen Konsumismus zu opfern.

Eva Khil


Der Verein „Friends of Lingshed“ betreut und sponsert die Solarschule in Lingshed. Dieser Ort liegt vier Tagesmärsche von der nächsten Straße entfernt, hinter zwei Pässen mit 4800m und 5000m Höhe. Daneben wird rund 100 Patenkindern aus armen Familien der Schulbesuch finanziert.

Informationen unter: www.solarschule.org
Kontaktadresse für Interessenten an Patenkindern: eva@khil.net
Kontaktadresse für Informationen über die Solarschule: greta.kostka@utanet.at

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