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Archiv - Bildung
Donnerstag, 7. September 2006
ImageGünter Gettinger: „Wissen funktioniert nur, wenn ich weiß, wo ich mir Bildung hole.“

Was nicht verwertbar ist, ist nicht mehr wert gelernt zu werden. Lautet so die Maxime für Bildung im 3. Jahrtausend?

Bildung heute. Das Credo der Bildungsoffensive klingt ansprechend: Propagiert wird das Jahrtausend des lebenslangen Lernens. Gewisse Bemühungen sind auch sichtbar: Noch nie waren so viele Arbeitslose in Weiterbildungskursen untergebracht wie heute. Über Sinnhaftigkeit und  Erfolge wird diskutiert, scheint es doch nicht um Bildung, sondern eher darum zu gehen die Arbeitslosenstatistik zu schönen. Von Bedeutung ist, dass Weiterbildung konsumiert wird und nicht welche. Eines ist jedoch klar: Wer dem Anspruch, sich ein Leben lang weiter zu bilden, nicht gerecht wird, verliert den Anschluss an die anspruchsvolle Gesellschaft im Rattenrennen um limitierte Jobs und Chancen.
Günter Gettinger, seit Jahren als Erwachsenenbildner und Coach im Bereich betriebliche Weiterbildung tätig, sieht die Einseitigkeit des modernen Bildungsbegriffs: „Die kurzfristige Verwertbarkeit jeglicher Art von Wissen steht heute im Vordergrund.“ Der Bildungsbürger, der Latein und Griechisch beherrschte und über ein solides Allgemeinwissen verfügte, ist ein Fossil, das sogar auf den Universitäten immer seltener zu finden ist. Gettingers Folgerung: „Bildung ist funktionalisiert. Es gibt sie nur mehr als Aus-, Fort- und Weiterbildung.“ Zielgerichtet auf die Anforderungen im Beruf, soll im Falle von Arbeitslosigkeit der Einzelne zum ständigen Umsatteln und Umlernen bereit sein. Die Bereitschaft zur Bildung ist eine Forderung an alle.
Das Entscheidende lernen. Über Erfolg und Misserfolg entscheidet jedoch nicht nur das erworbene Fakten-Wissen, die Prüfungen, die abgelegt wurden, sondern die Sozialkompetenz, die Menschen mitbringen, bevor sie ihre Ausbildung überhaupt beginnen. „Der größte Hochstapler gewinnt auf dem Arbeitsmarkt, wenn er die Fähigkeiten im Umgang mit Menschen beherrscht“, fasst Gettinger etwas zusammen, was schon mancher am eigenen Leib hat erfahren müssen. In Weiterbildungstrainings müssen Manager oft nachlernen, was ihnen an so genannten „soft skills“ fehlt. Diese „weichen Fähigkeiten“, wie passendes Kommunikationsverhalten und richtiges Umgehen mit Konflikten oder Teamfähigkeit, treten dann in den Vordergrund, wenn Manager scheitern. „Ich erlebe das oft bei Technikern, die in ihrem Bereich natürlich perfekt sind, aber unfähig zu Kommunikation.“  Die Folgen können für Betriebe weit reichend sein. „Es kommt zu Unproduktivität aufgrund von mangelnden Sozialkompetenzen.“
Spätestens dann wird deutlich, dass das fleißige Sammeln von Zeugnissen und Diplomen nur ein Schritt zum beruflichen Erfolg
ist. Allerdings einer, der im Vordergrund steht: nachdem sich dieses Wissen so schnell abnützt, ist ständiges Auffrischen
gefordert.

Selbst schuld am Scheitern. Mit Bildung ist im Allgemeinen Wissen und Verstehen gemeint. Bilden heißt etwas gestalten. Um diese hohen Ansprüche kann sich heute niemand mehr kümmern. „Der Leitwert in der Wirtschaft heißt schnell Profit zu machen und alles ist auf Geschwindigkeit ausgerichtet.“ Für junge Leute steht die Frage im Vordergrund, wie sie ihre Scheine schaffen, die sie vorweisen müssen, wenn sie sich um einen Job bewerben.
Der Druck wächst, denn die Verantwortung ist delegiert. Wer es nicht schafft, wer den Job verliert, ist selbst schuld. „Strukturelle Probleme werden heute dem Einzelnen aufgebürdet,“ kritisiert Gettinger.

Bildung nutzen lernen. Der Bildungsbedarf war nach Meinung des Experten jedoch noch nie so groß wie heute. Das hat für ihn auch interessante Aspekte. Vor allem den, dass das „alte Wissen“, das heute als so sinnlos gilt, seinen Wert erweist und behält: „Wissen funktioniert nur, wenn ich weiß, wo ich mir Bildung hole.“ Das Internet verspricht, dass jeder denselben Zugang zum aufgehäuften Wissensberg hat. Das nützt jedoch wenig, so lange der Anwender die gefundenen Perlen nicht vom Rest unterscheiden kann. „Das Wichtigste ist ja gerade“, fasst Gettinger zusammen, „Wie organisiere ich mir Wissen? Wie erarbeite ich mir eine Suchstrategie?“ Das „Orientierungswissen“ bleibe Voraussetzung, um das Angebot Internet überhaupt nutzen zu können.
Wissen, das bleibt. Lebenswissen bleibt für den heute 56-Jährigen in vielen Berufsfeldern entscheidend – vor allem für seine Arbeit als Erwachsenenbildner. Er lacht. „Ich habe Glück, in meiner Branche – Training – verfällt das Wissen nicht.“ Technisch ist die Abnutzung gegeben, sozial nicht. Lebenspraktische Dinge bleiben von Bedeutung und ermöglichen es Menschen mit den Ansprüchen der Geschwindigkeits-Gesellschaft fertig zu werden, Sinnfragen zu klären, Orientierung zu finden. Dabei können erstaunliche Effekte eintreten: „Je entspannter du sein kannst, desto schneller bist du“, staunt Günter Gettinger.

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