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Oper in Quintessenz
Archiv - Kultur
Sonntag, 9. Juli 2006
ImageGroße Kunstwerke, sagt man, tragen ein Scheitern in sich. Aber was, wenn eine Oper wie Umberto Giordanos „André Chénier" mit umwegloser Genrehaftigkeit fesselt, wenn eine Aufführung wie die in der Grazer Oper mit perfekter, wenn auch konventioneller Qualität überzeugt? Dann muss jedenfalls von einem großartigen – wenn auch von Saarbrücken übernommenen – Opernabend gesprochen werden.

Die 1896 uraufgeführte Geschichte um den auf der Guillotine hingerichteten Lyriker André Chénier verbindet effektvoll und einleuchtend private Gefühle mit blutiger Weltgeschichte. Gerard, ein Lakai, wird Revolutionsführer und sorgt dafür, dass der Lyriker André Chénier, sein erfolgreicherer Widersacher bei der angebeteten Tochter der Herrschaft, vor das Revolutionstribunal kommt. Das Libretto von Luigi Illica ist ein packendes, blutvolles Modell aller denkbaren Konflikte, die sich aus der Dynamik von Klassenkampf, enttäuschter Liebe, Verrat und Größe ergeben können. Madeleine wird freiwillig mit André auf das Schafott gehen und Gerard nicht nur die unerreichbare Geliebte, seine Selbstachtung, sondern der Logik der Revolution folgend, zuletzt auch den eigenen Kopf verlieren. Die effektvolle und mitreißende Partitur von Umberto Giordano bietet den Sängern Rollen voll von Emphase, stolzer Leidenschaft und existenzieller Selbsterkenntnis. Überragend war der Bariton Boris Statsenko in der schillernden, selbstquälerischen Rolle des ehemaligen Lakaien Carlo Gérard. Der Tenor Julian Gavin meisterte die psychologisch weniger interessante Titelrolle gleichwohl mit Verve und Sensibilität. Maddalena, die weibliche Protagonistin, hatte es nicht leicht bei diesen beiden überragenden Stimmen, setzte ihnen aber immer wieder tiefes Gefühl entgegen. Christian Pöppelreiters Regieansatz präparierte auch die Nebenrollen sehr plastisch und soziologisch überzeugend heraus, eine etwas salopp geratene Tanzeinlage fällt da nicht ins Gewicht; pragmatisch auch der klassizistische Bühnenrundbau von Jörg Koßdorff, der gleichermaßen das ancien régime wie die nüchterne Revolutionsarchitektur anspielt. Nur die Gedichte André Cheniers, (1762 – 1794) im Programmheft schleppen sich ein wenig dahin nach diesem glühenden, farbigen Abend. Umberto Giordanos veristische Oper „André Chénier" mag wie seine Inszenierung in Graz ein wenig zu perfekt sein. Aber es handelte sich um Oper in Quintessenz.
Wilhelm Hengstler
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