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Literatur, Kritik und Gesellschaftsanalysen – Albert Pall
Archiv - Art Box
Sonntag, 11. Juni 2006
Image„Geschichten voller Tragik und Beklemmung. Albert Palls pointenlose Prosastücke stellen die Härte des Alltags trocken dar, so trocken, wie Staub auf einem Autobahnparkplatz. Er schreibt Charakterstudien knapp und lakonisch. Psycho? Logisch! Die radikale Schlichtheit des Ausdrucks nimmt den drastischen Geschichten ihre Vordergründigkeit. 

Und ausgerechnet seine Unschärfen verschärfen den Tatbestand", schreibt felix (sic.) in einer Rezension (freiStil. Magazin für Musik und Umgebung, Juni 2006) zum zweiten Wurf der radio comics von Albert Pall und Josef Klammer.Zwei Serien von radio comics wurden in jeweils sechs Kapiteln zu ungefähr zehn Minuten, verteilt über die Jahre 2004 und 2005, im Kunstradio von Ö1 gesendet. Vor gut zwanzig Jahren hatte er den ersten von sechs Texten geschrieben. „herztod" wurde vor wenigen Jahren wieder aktiviert und in Form einer Videoperformance, von Albert Pall selbst gelesen, im Rahmen eines Projektes des Grazer KünstlerInnenvereins Rhizom aufgeführt. Der Musiker und Komponist Josef Klammer wurde so auf die suggestive Kraft dieser kurzen Erzählung aufmerksam, und gemeinsam entwickelte man infolge die radio comics, wobei die Sounds von Klammer – eine mathematische Strukturierung von Alltagsgeräuschen – an Rahmen der Bildfolgen oder Filmkader denken lassen.

ImageProvokation mit ausbleibenden Reaktionen. „Jeder schreibt irgendwann einmal", erzählt der 1959 in Zell am See geborene Albert Pall. „Die meisten hören irgendwann einmal damit auf, ich dagegen habe – nachdem ich aufgehört hatte – wieder damit angefangen." In der Zwischenzeit, von 1986 bis 2004, war er Losverkäufer in München, Licht- und Tontechniker, Redakteur beim Grazer Magazin Courage und Mitarbeiter der Werkstadt Graz, bis 2002 in der Zusammenarbeit mit Rhizom das Ausstellungsprojekt kiss of a muse — „Und was bitte ist jetzt so neu an diesen Neonazis?" als provokantes Experiment entstand. Eine solitäre, von ihm bearbeitete Fotomontage mit Bartaustausch-Detail an Palls und des Verbrechers Konterfei, präsentiert in der Auslage des Gassenlokals von Rhizom, sollte für Passanten Anlass zu Reaktionen sein. Aber: „Natürlich ist es eine Provokation, solch eine Arbeit in die Auslage eines geschlossenen Geschäftes in einer frequentierten Straße zu stellen. Ich habe mit Reaktionen gerechnet. Es ist aber nichts passiert. ‘Und was bitte ist jetzt so neu an diesen Neonazis?’ hat als Fragestellung die Erwartungen nicht erfüllt. Das mag daran liegen, dass für eine politische Diskussion zu diesem Thema die falsche Oberfläche gewählt wurde. Oder auch daran, dass die Darstellung völlig unkommentiert ihr Publikum gesucht hat", beschreibt der Autor/Künstler Pall nachträglich seine Intention und die ausbleibenden Reaktionen zu dieser Arbeit.

Kulturarbeit als Eventarbeit. Mit subventionen sind fad — eine art kunstbericht startete im Jahr 2003 eine analytische Langzeituntersuchung in mehreren Abschnitten und mit partiellem Ausstellungscharakter, die Pall auf seiner Website wie folgt einleitete: „ Bezugnehmend auf den Wandel in der Kunstarbeit, der das Engagement und/oder die Vermittlung von KünstlerInnen und KünstlerInnengruppen sowie das Sammeln derselben zu Kunst- und Themenevents durch die Verwaltungs- und Abwicklungseinheiten als Minimalkonsens für Contentfortschreibung vorgegeben ist, beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der Struktur eben dieser Kunstarbeit." Das Kapitel .0 pre_tender proklamiert die Situation von sich auf dem Kunstmarkt zu bewährenden KünstlerInnen: „Die Entwicklung des Kunstmarktes (und dazu zählen nach den Umsatzzahlen vor allem auch die öffentlichen Hände), Kunst- und Kulturarbeit als Projekt-, bzw. Eventarbeit zu definieren, schreibt ebendiese natürlich auch als ‘temporäre Installation’ fest. Diese Definition kommt, über die Gesetzmäßigkeiten des freien Marktes hinaus, einer Entmündigung der KünstlerInnen gleich, da sie, gleichsam von Event zu Projekt zu Event hechelnd, in einem künstlich generierten Wettbewerb Eigentum des Marktes werden. Nachhaltigkeit wird somit nicht für KünstlerInnen geschaffen, sondern an den Verteilerpositionen gesammelt und verwaltet." Leider stagniert der Fortgang dieser Analyse des Kunstmarkt- und Subventionssystems derzeit paradoxer- und zynischerweise am – Ausbleiben von Subventionen.

Hirn und Hand gegen politische Manipulation. Dass bildende Kunst und Literatur einander in seiner Arbeit ergänzen, fallweise abwechseln und zumeist überschneiden zeigte Albert Pall mit einer Textmontage unter dem Titel DIE LANDESHAUPTMANN oder: Der Versuch einer „Auto"-biographie unter Zuhilfenahme von Wahlkampfmaterial. (sic!) Im Forum Stadtpark las er im Februar vergangenen Jahres aus einer vom Publikum akklamierten Textmontage, basierend auf dem von der Landesregierung veröffentlichten Text einer Broschüre mit den an sich schon sehr skurril anmutenden Erinnerungen eines Magnolienbaumes um „Die ungewöhnliche Lebensgeschichte der ersten Frau im Land". Mit subtilen Eingriffen in vorgefundenes Textmaterial erweist sich Albert Pall auch mit dieser Arbeit als aufmerksamer und kritischer Denker, der dem Versuch politischer Manipulation entgegenwirkt, indem er selbst Hirn und Hand an das Corpus der Manipulation legt und einen reflexiven Akt setzt.

radio comics ohne Idyllen. Wie die individuelle Konstruktion von Wirklichkeiten vor sich geht, führt Pall in der zweiten Staffel der radio comics vor. Sechs Protagonisten sind offenbar an einem schweren Verbrechen auf einem Autobahnparkplatz beteiligt. Ohne dass es im Verlauf der Handlung zu einem zweiten Zusammentreffen der Beteiligten käme, arbeiten diese ihre Erlebnisse in beklemmenden inneren Monologen auf, während der Zuhörer auf sein Vermögen angewiesen bleibt, eine – vielleicht siebente – Fabel zum Plot zu synthetisieren. Sprecher/Innen auf dieser bei Extraplatte erhältlichen CD-Version sind neben anderen Mirjam Jessa, Dirk Stermann und Eberhard Forcher. Das Albert Pall sich in seinen Texten auf die Suche nach Idyllen begibt, kann nicht gerade behauptet werden. So verkehrt sich die eingangs avisierte Behaglichkeit im Weihnachtshörstück Keks und Karpfen (gesendet auf Ö1 am 18.12.05) auch schon bald in das Aufbrechen lang schwelender Konflikte einander nicht sehr grün gestimmter Familienmitglieder. Wann auch sollte dafür Zeit sein, wenn nicht zu Weihnachten, der so genannten stillsten Zeit, in der kein Platz ist für die anderen, alltäglichen Probleme. Ein Theaterstück und ein Drehbuch sind derzeit in Arbeit, wofür sich Albert Pall über den Sommer in Klausur begeben will. Wohin? „Jedenfalls weg aus Graz, vielleicht irgendwohin wo’s ein bisschen öd ist."

Wenzel Mraček

Vollständige Texte und Projektbeschreibungen von Albert Pall sind unter www.lekes.at nachzulesen.


Leseproben

sonntag

Von 1,2 Milliarden verkauften Fischstäbchen kriegt der Finanzminister 200 Millionen. Was der damit macht, weiß ich nicht. Jedenfalls gibt es die nicht in den Kantinen von den Ministerien. Und schon gar nicht in der Kantine vom Parlament. Dort gibt es nur feine Sachen. Oder das, was sie dafür halten. Fischstäbchen sind nicht fein. Vielleicht wegen dem Käptn Iglo. Oder dem Kartoffelsalat.
Aber vielleicht waren die ja früher fein, damals, wie sie erfunden worden sind. Da hätte es dann welche gegeben in den Kantinen von den Ministerien, und auch in der vom Parlament. Aber es waren ja keine da. Es war nichts da. Gar nichts. Und das andere war kaputt. (…)
War auch nicht leicht damals. Mit den Ideologien. Die waren schon extrem verschieden. Aber das hat sich dann entwickelt. Hat man sich halt geeinigt, die haben ja auch ein Geld gebraucht. Da sind wir alle gleich. Und nach und nach dann auch die Fischstäbchen, jetzt schon Kabeljau. Kartoffelsalat haben wir ja vorher schon gehabt, da braucht es ja nicht viel. Und das Hendl, und das Schnitzl, und der Schweinsbraten. Das waren Sonntage. Autofahrer unterwegs, sie hören die Glocken von. Goldene Zeiten.(…)
Man muss flexibel sein. Das ist natürlich leichter, wenn was geht. Aber ein bisserl was geht immer. Man darf nur nicht bescheiden sein. Und Pleite gehen macht dann auch nichts. Das hab ich vom Amerikaner gelernt. Das schadet nur der Firma. Selber macht man dann was Neues. Flexibel eben. Und Fischstäbchen für die Kinder. Selber nicht mehr, wegen dem Cholesterin von der Panier. Gesünder leben, Sport und Freizeit. Ist auch gut fürs Geschäft. Ein Geschäft macht man eh nicht im Büro. Eher schon am Tennisplatz, das heißt, nachher. Oder beim Golf. Oder am Klo.

radio comics 1-6, 01 „herztod"

Drüben vor dem Geschäft ist ein Mann umgefallen. Ganz langsam. Eine Hand vor der Brust, die andere, die linke, so halbhoch zitternd in den Himmel gestreckt. Zuerst auf die Knie, dann ist er ganz unpathetisch einfach auf die Seite gekippt.
Da liegt er. Niemand hat etwas bemerkt. Ich habe es zufällig gesehen, zwischen zwei Sätzen schaue ich auf, aus dem Fenster, ein Mann fällt um.
Eine Frau schiebt einen Kinderwagen, an einer Hand zerrt sie ein plärrendes Kind hinter sich her. Das Kind wird still, kann ich sehen. Es schaut auf den Mann, lässt sich von der Frau davonziehen.
Das Geschäft hat geöffnet. Autos fahren vorbei.
Anscheinend ist eine Straßenbahn gekommen, ein Trupp Leute verstreut sich, einige gehen an dem Mann vorbei. Einer beugt sich hinunter, eine Frau mit Lodenmantel (und Hut auf) schimpft. Der Eine zupft an dem Mann, richtet sich auf und sagt etwas zu der Frau mit Lodenmantel (und Hut auf). Die Frau geht in das Geschäft, der Eine steht etwas herum, geht weg

radio comics 07 – 12, 07 „der flüchtling"

Jetzt ist der Nebel dichter. Ich muss langsam fahren, aber das Auto geht sowieso nicht schnell. Es ist alt, dauernd muss man was richten. Laut ist es auch und die Scheibenwischer verschmieren die Sicht. Sie quietschen zwischendrin. Wieder neue Wischerblätter. Es sind fast neue Wischerblätter, aber die gehen nicht. Die originalen kann ich mir nicht leisten. Die spinnen mit den Preisen, das ist eine reine Betrügerei.
Die Heizung zurück, es ist viel zu heiß. Aber vorher war die Tür lang offen, und draußen ist es kalt. Den Laster überholen. Achtzigtausend Kilometer heuer. Die Arbeit. Arbeit suchen, die kommt nicht von selber. Immer telefonieren, oft auch in der Nacht. Immer erreichbar. Immer kleine Sachen. Und dann weiter. Heute hat noch keiner angerufen. Sie auch nicht. Obwohl, der Hund ist krank. Mit dem Auto fahren. Oft muss ich da auch schlafen. Den Schlafsack.

Keks und Karpfen

Ö1 Kunstradio, 18.12.05
Zünden sie die Kerzen an. Schalten sie das Radio ein, lehnen sie sich zurück, hören sie zu. Hier wird Weihnachten so gefeiert, wie es wirklich ist. Wie es immer war. Unheimlich schön.

Advent:
Der Großonkel:
Kalt ist es. Und feucht. Schnee ist auch. Muss ich halt aufpassen, dass ich nicht hinfall. In meinem Alter kann da leicht was sein. Na ja, so alt bin ich noch nicht. Trotzdem, die Hüfte ist gleich ab. Da sind schon ganz andere gestorben. Das geht schnell, da kenn ich einige. Die sind auch nicht mehr. Oberschenkelhalsbruch, Krankenhaus. Erst schaut alles ganz gut aus. Dann das Fieber. Dann Wasser in der Lunge. Aus. Muss ja nicht sein. Aufpassen halt. Und gute Schuhe. Mit Profil auf der Sohle. Eilig hab ichs nicht.

Die Frau:
Mehl. Das ist schön, wenn draußen der Nebel hängt und es ist kalt und finster. Und herinnen knetet man den Teig und aus dem Backrohr riecht es weihnachtlich. Es ist warm in der Küche. Die Kleine hat einen Urspaß. Und rote Wangen, die glüht richtig. Ich auch eigentlich. Es ist, als ob wir das schon immer gemacht hätten. Dabei war das früher nie, das ist ja erst seit ein paar Jahren.



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