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Le Grand Macabre: An der Schwelle zwischen Komik und Ekel
Archiv - Kultur
Montag, 12. Juni 2006
ImageDie Oper Graz zeigte im Mai György Ligetis 1978 geschriebene, 1996 revidierte Oper ‚Le Grand Macabre‘ in der Regie des australischen Regisseurs Barrie Kosky, eine Produktion der Komischen Oper Berlin. Die Aufführung dauerte nur etwa 100 pausenlose Minuten, eine Zeitspanne, in der musikalisch keine Langeweile aufkam.

Ligetis Musik bietet viel zu er-hören, musikalische Zitate von Monteverdi bis Beethoven sind zu entdecken, die sich in einer ganz eigenen, genuinen Musik verbergen, vertrackte Rhythmen, traditionelle Formen, Geräusche und ein Schuss Atonalität. Die Textverständlichkeit des Gesangs lässt zu wünschen übrig und hätte man nicht das Textband, würden die wunderbaren Wortspiele, Neologismen und Lautmalereien zu oft in der Fülle der instrumentalen Entfaltung untergehen. Am beeindruckendsten ist der Gesang dort, wo er mit dem Klang der Instrumente verschwimmt, dann wieder aus ihren Reihen hervortritt, um gleich darauf wieder unterzutauchen.

Es darf auch gelacht werden. Unter den Solisten seien herausgehoben Hyon Lee, die in einer Doppelrolle als Venus und als Chef der Geheimen Politischen Polizei (Gepopo) sowohl gesanglich als auch mimisch brilliert, und der Countertenor Andrew Watts, der den Fürsten Go-Go herrlich als bockiges Kind verkörpert. Stimmlich bilden auch Ruth Weber und Stephanie Houtzeel ein wie füreinander geschaffenes Paar als Amanda und Amando.
Auch auf der Bühne gibt es genug zu sehen; Bühnenbild und Kostüme von Peter Corrigan sowie die Beleuchtung fügen sich an die schrägen Tonfolgen Ligetis. Das erste Bild ist in einem schrillen, spannungsgeladenen Grün gehalten, im zweiten Bild formen perspektivisch verzerrte Häuser immer neue, harmonische oder bedrohliche Konstellationen. Schließlich senkt sich der Komet herab, auf seinem Rücken trägt er eine Stadt in Wolken. Es bleibt offen, wo man sich befindet. Die Kostüme sind einfach gehalten, oft skurril. Barry gelingen viele schöne Bilder, wenn etwa Go-Gos marodierende Soldaten als die drei personalisierten monotheistischen Religionen bei der gemeinsamen Leichenfledderei auftauchen.
Die Darsteller, allen voran Marin Winkler als Nekrotzar, besitzen Mut zum Ekel. Doch ist dieser an der Schwelle zur Komik angesiedelt und erlaubt dem Zuseher ein befreiendes Lachen. Vor allem in der ersten Hälfte des Abends definiert sich nahezu jede Beziehung zwischen den handelnden Personen sexuell – und gleichzeitig als brutales Unterdrückungsverhältnis. Die stark kritisierte Genital-Fixierung der Inszenierung ist durchaus in der Vorlage angelegt, doch wird sie trotz Witz, Originalität und inhaltlich-dramaturgischer Begründbarkeit oft zu vordergründig und vorhersehbar.

Ein vergessener Autor. Empfehlenswert sind für all jene, denen der Besuch diesmal verwehrt blieb, die Texte von Michel de Ghelderode, dessen Stück La Balade du Grand Macabre Ligeti als Vorlage diente. Mit sechzehn Jahren entkam er nach einer Typhus-Erkrankung nur knapp dem Tod. Diese Erfahrung sollte sein Leben und sein Werk prägen. Fruchtbare Schaffensphasen wechseln mit kreativen Krisen und Jahren schwerer Krankheiten. 1928 entsteht u.a. das Stück La Mort du docteur Faust, in dem ein munteres Spiel mit Identitäten getrieben wird, das spätere literarische Entwicklungen vorweg nimmt. Im Jahr 1934 entstehen einige Hauptwerke: Masques ostendais, Sortie de l‘acteur, Sire Hallewyn, La Balade du Grand Macabre, Mademoiselle Jaïre. In den fünfziger Jahren kam es in Frankreich zu einer Renaissance seines Werkes. Dennoch starb Ghelderode vereinsamt und verbittert am 1. April 1962. Im deutschsprachigen Raum ist das Absurde Theater Ghelderodes, im Gegensatz zu den Stücken Becketts oder Ionescos kaum bekannt. Mehr zum Autor findet sich auf Französisch unter www.ghelderode.be und auf Deutsch unter http://parapluie.de/archiv/systemversagen/ausgegraben.
Katharina Dilena

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