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Margret Kreidl: Sprachartistin und lustvolle Aufklärerin
Archiv - Art Box
Sonntag, 11. Juni 2006
ImageEs gibt Klischees betreffend feministische Literatur, über die vor allem in männlichen Rezipientenkreisen augenzwinkernde Übereinkunft herrscht. Wer überzeugt ist, feministisch inspirierte Texte seien zwangsläufig angestrengt und körperlos, sollte Margret Kreidls „Laute Paare" lesen (am besten ad alta voce, wie’s der Titel verlangt).

Sie kommt gerade von einer Schreibwerkstätte mit SchülerInnen des wirtschaftskundlichen Gymnasiums. Natürlich wurden da auch Texte von ihr gelesen; aber, lacht sie, ein paar habe ich schon vorher ausgesondert, die wären zu heftig gewesen.

Immer wieder hat sie in Graz zu tun, die in Salzburg geborene Wahlwienerin: Im April las sie bei den Minoriten, im Juni wird sie bei der 20-Jahr-Feier der Grünen auftreten … Hier hat sie 13 Jahre lang gelebt, zu schreiben begonnen, war im Umkreis der Literaturzeitschrift „perspektive" tätig, hier hat sie die ersten Aufführungen ihrer dramatischen Werke erlebt, bis sie 1996 nach Wien übersiedelte. „Ich bin in Graz literarisch sozialisiert. Eine meiner schönsten Erinnerungen bleibt die Arbeit an der szenischen Collage ,Asilomar‘ und die Uraufführung in der fabrik im Jahr 1990."

Tina Eberhart
, damals Kulturreferentin des Frauenprojektes „fabrik" in der Plüddemanngasse, habe jungen Künstlerinnen optimale Bedingungen geboten, wie sie an keinem Theater zu finden waren. „Und zu den „perspektive"-Lesungen im ,Haus der Jugend‘ (dem jetzigen Orpheum) sind damals üblicherweise Literaturkritiker zweier Tageszeitungen gekommen" – das ist knappe 15 Jahre her.

Alles Drama. Das Dramatische, die Inszenierung zieht sich durch nahezu alle Texte Kreidls – auch die von ihr selbst vergebenen Gattungsnamen – „Szenen Bilder Listen" („Laute Paare" oder: „Auftritte" („Ich bin eine Königin") – weisen darauf hin. Vor allem große Verlage wollen strenge Gattungstrennung, die Kreidlschen Grenzgänge zwischen Prosa, Lyrik und Drama machen das Publizieren nicht einfacher. Dazu kommt, dass man in Wien „ohnehin schon berühmt, männlich oder tot sein muss, um aufgeführt zu werden", ätzt die Autorin. Es sei kein Zufall, dass ihre jüngsten erfolgreichen Uraufführungen (Schneewittchen und die Stahlkocher, 2004 und „Jedem das Seine", 2006) im Linzer Phönix-Theater und nicht in der Bundeshauptstadt stattfanden.

Wie viele österreichische AutorInnen könnte auch Kreidl ohne Stipendien vom Verkauf ihrer Arbeit allein nicht leben. Ausnahme: Die Jahre 2002/2003, als sie als Writer in Residence an einer Privatuniversität in Pennsylvania und an der Bowling Green State University in Ohio Creative Writing unterrichtete. Ihr Amerika-Erleben ist übrigens zentral vom „Big Blackout" im August 2003 geprägt – „dem Zusammenbruch der Stromversorgung aufgrund der Privatisierungen der Infrastruktur, wie er jetzt auch bei uns beginnt."

Beobachterin und Aufdeckerin. Wenn Kreidl auch keine Scheu vor ideologischen Positionierungen hegt – eine „politische Schriftstellerin im herkömmlichen Sinn" wolle sie nicht sein, unterstreicht sie: „Ich will mit meinen Texten keine politische Programmatik transportieren." Sie sieht sich als Beobachterin, die gesellschaftliche Vorgänge aufdecke, „Bourdieu ist mir sehr nah" – sein Standardwerk „Der Einzige und sein Eigenheim" steht auf ihrem Schreibtisch.

Die schwarz-blaue Koalition hat sie mit 34 „Heimatdramen" auf lustvolle Art demontiert: „2000 hatte ich das Gefühl, das Land kommt mir in die Stadt nach." (Einer der beiden Protagonisten der Miniaturstücke, „Wespenmaler", kehrt jetzt übrigens wieder auf die politische Kasperle-Bühne zurück). Auch ihr Hörspiel „Heimatkunde" ist noch als Reaktion auf die Wende entstanden.

Nach wie vor sind feministische Positionen eine starke Triebkraft für ihr Schreiben; über den Jargon von Eso-Feministinnen kann sie sich aber auch schon mal kräftig amüsieren wie im „Einsamen Paradies": „Sonja ist stolz. Das ist meine Yoni. Mein Honigtopf. Mein Moschuswald und Lotostor."

Affinitäten, Aversionen. Im Sammelband „Schreibweisen.Poetologien. Die Postmoderne in der österreichischen Literatur von Frauen", erschienen im Milena-Verlag, gibt Margret Kreidl („Ich bin in einem sehr illiteraten Haushalt aufgewachsen") Auskunft über ihre erste Konfrontation mit Literatur: „Bei mir hat alles mit Brecht angefangen … mit 14, 15 war das einfach großartig. Mir kommen heute noch die Tränen, wenn ich An die Gleichgeschalteten lese."

An späteren wichtigen Einflüssen nennt sie die russische Avantgarde, Gertrude Stein, Marguerite Duras und Raymond Queneau und in Österreich Gerhard Rühm – „er ist für mich wie eine leuchtende Säule, und es ist kein Zufall, dass die Literaturszene sich seiner bloß zu seinen Geburtstagen erinnert." Nahe fühlt sich Kreidl auch der Gruppe OULIPO (Ouvroir de Littérature Potentielle – Werkstatt potenzieller Literatur), die 1960 von Queneau und dem Mathematiker Francois Le Lionnais gegründet wurde und das Feld der möglichen Literatur mit wissenschaftlichen und experimentellen Methoden auslotet. Die „Listen", die langen Reihen der zärtlichen Kosenamen und unflätigen Beschimpfungen in den „Er-Sie"-Gedichten Kreidls, ihre Wordraps, erinnern in der Tat an die Permutationsmethoden der Oulipiens – aber ebenso an österreichische Traditionen der Lautdichtung und in ihrer rituellen Wiederholung auch an nestroysche Rhetorik: „Da ist viel vom Theater eingeflossen."

Mit vielen aktuellen Strömungen auch der österreichischen Literatur kann sie wenig anfangen, „es gibt einen Backlash sowohl bei den Formen als auch bei den Inhalten, man kann sich nur wundern, was da plötzlich wieder auftaucht – vom neuen Realismus in der Prosa bis hin zu Ergüssen milchigen Mondlichts in der Lyrik."

Neue Projekte und eine neue Internationale. „Wenn man dem Mainstream nicht folgt, muss man/frau sich halt selbst etwas organisieren", sagt Kreidl. So wird in einem von Lukas Cejpek herausgegebenen Buch zum 101. Geburtstag von Samuel Beckett ein Kreidlsches „Minidrama mit kleinen absurden Dialogen" enthalten sein. „Gerade in Arbeit ist ein Auftrag zum Mozart-Jahr, über den ich recht froh bin, weil ich manchmal diesen ,Material-Kick‘ brauche, den eine Auftragsarbeit mit sich bringt." Parallel dazu schreibt Kreidl an einem Stück, in dem es um „Zwänge geht, um Angststörungen, wie sie im Alltag bei immer mehr Menschen auftreten und die auf der Bühne ihren Ausdruck unter anderem in Kinderreimen und Spielritualen finden werden." Beim Verfassen von Bühnenstücken, so auch bei diesem, trage sie zuerst „eine Vorstellung von der Bühne und der Choreografie auf der Bühne" mit sich herum, „dann erst schreibe ich die Figuren in dieses Setting hinein." Ebenfalls im Entstehen ist ein Hörspiel „Von Herzen mit Schmerzen", dessen Entstehung auf die aktuelle Auseinandersetzung der Autorin mit Trivialliteratur zurückzuführen ist.
Eine derartige Menge parallel laufender Projekte – Lesungen, Literaturwerkstätten und andere Auftritte mal außer acht gelassen – lässt sich natürlich nur mit dem Willen zur Selbstausbeutung verwirklichen. Was Kreidl aber versöhnlich stimmt, ist die Tatsache, dass sie mit ihrer Auffassung von Textarbeit nicht allein steht: „Inzwischen hat sich – wie ich gerade neulich wieder bei einem Literaturfestival in Sidney feststellen konnte – so etwas wie eine Internationale nicht an den Mainstream angepasster AutorInnen herausgebildet, deren gemeinsames Merkmal ist, dass sie weder mit krudem Realismus noch mit Überpoetisierung arbeiten."

Christian Stenner

Margret Kreidl, geboren 1964 in Salzburg, von 1983 bis 1996 in Graz, lebt als freie Schriftstellerin in Wien. Aufenthaltsstipendium Literarisches Colloquium, Berlin 1991; Aufenthaltsstipendium Akademie Schloss Solitude, Stuttgart 1994; Reinhard Priessnitz Preis, Wien 1994; Literaturförderungspreis der Stadt Graz 1996; Förderungspreis der Stadt Wien 2000, 2003 Writer in Residence am Allegheny College, Meadville, Pennsylvania

Uraufführungen
1990 Asilomar. Szenische Colla- ge. fabrik, Graz
1992 Auf die Plätze. Sportlerdrama, Stadttheater Koblenz
1993 Damen. Kontakte, Forum Stadtpark; Halbe Halbe. Ein Stück, Forum Stadtpark
1994 Unter Wasser. Fünf Akte, Volkstheater Wien
1997 Dankbare Frauen. Komödie, Postfuhramt Berlin-Mitte
1999 Stilleben mit Wurmloch, Podewil, Berlin; Mehlspeisenarie. Dramolett, Burgtheater
2001 Auf gut Deutsch, Marstall, München; Grinshorn und Wespenmaler. Heimatdramen, Amerlinghaus, Wien
2004 Schneewittchen und die Stahlkocher, Theater Phönix, Linz
2006 Jedem das Seine, Theater Phönix, Linz.

Hörspiele/Hörstücke
1993 Halbe Halbe (ORF)
1994 Meine Stimme (ORF Kunstradio)
1996 Reiten (ORF)
1998 Auf der Couch (ORF)
2000 Privatprogramm (ORF)
2002 Heimatkunde (ORF)
2003 Spuren, Schwärme (ORF-Kunstradio)
2004 Wir müssen reden (ORF)

Buchveröffentlichungen
1995 Meine Stimme (edition gegensätze)
1996 Schnelle Schüsse (Das fröhliche Wohnzimmer)
1996 Ich bin eine Königin. Auftritte (Wieser)
1998 In allen Einzelheiten. Katalog (Ritter)
1999 Süße Büsche (Das fröhliche Wohnzimmer)
2001 Grinshorn und Wespenmaler. 34. Heimatdramen (Das fröhliche Wohnzimmer)
2002 Laute Paare. Szenen Bilder Listen (Edition Korrespondenzen)
2005 Mitten ins Herz (Edition Korrespondenzen)


Dazu eine Reihe von Übersetzungen ins Bulgarische, Französische, Slowenische, Englische, Georgische und Hebräische.


LESEPROBEN

Adam und Eva, Ilse und Liesl, Kurt Ute Trude und Ruth aus: Laute Paare. Szenen Bilder Listen, Edition Korrespondenzen, Wien 2002. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

ADAM UND EVA

Was tragen Damen? fragt Adam. Eva ist nackt.
Fransenstola Taftfaltenrock? Zu brav! Eva lacht.
Lackstring Lochstrumpfhose transparenter Mini.
Adam kichert. Spitze! High Heels mit Fesselriemchen.
Beine rasieren nicht vergessen! Wachs oder Creme?
Heiß heiß! Adam schreit. Eva leise: Damen leiden.
Adam weint. Eva lächelt. Tränen machen häßlich.
Abdecken pudern Cremerouge. Kußechter Lippenstift.
Adam will schmusen. Denk an deine Frisur! Haare
toupieren Nägel lackieren! Eva zufrieden: Sehr feminin.
Adam trippelt zum Spiegel. Eva ist nackt. Setzen Adam!
Jetzt üben wir Sitzen Stehen und Gehen. Beine leicht
spreizen! Und lächeln Adam lächeln! Aufstehen stehen!
Nicht so steif! Und gehen! Eva geht nackt auf und ab.
So! Kopf hoch und Brust heraus! Ich will auch so große
Äpfel! Hände weg! Adam greift nach Evas Feige. Nein!
Das ist meine Feige! Adam weint: Ich will auch so eine!
Wie du meinst! Eva lächelt. Schnipp schnapp! Schwanz ab!
Gott sei Dank! Adam lacht. Ich bin eine Dame.


ILSE UND LIESL

Penis–Defizit. Ilse phantasiert. Traumatischer Schnitt.
Ich bin kastriert. Liesl kichert. Ilse frustriert: Ich–Bildung
ist wichtig. Liesl masturbiert. Ideal–Ich Ich–Ideal? Liesl lacht.
Egal! Dattel Ding Dose. Honig fließt. Liesl genießt narzistisch.
Ilse projiziert: Das Bild bin ich. Ilse ist Liesls Spiegel. Die Dinge
zerspringen. Liesl grinst: Prickelnde Nippel-Teaser? Ilses
Trieb-Ich verdichtet sich. Riesenglitzerdildo? Ilse ist glücklich.
Kitzelfinger Lippentriller? Triebziel Rille Riß. Ilse jubiliert: Lidido
fluktuiert. Frische Ritze. Lustprinzip. Pfui! Liesl spukt. Ilse
fischelt. Bi oder wie? Liesl verzichtet: Sublimieren ist richtig.
Ilse befiehlt: Lust-Ich! Du liebst mich! Liesl reagiert nicht.
Ilse regrediert oral-sadistisch. Triebschicksal? Liesl schwitzt.
Prinzip Klitoris. Liesl zittert. Ilse ißt Liesl.



KURT UTE TRUDE UND RUTH

Besuch! Juhu! Kurt jubelt. Ute Trude mit Pudel und Ruth.
Who is who? Tutti frutti! Kurt summt. Pudern im Rudel
ist gesund. Bussi Bussi! Kurt buttert Utes Tutteln. Kusch
Lumpi! Trude lutscht Kurt die Brunzkugeln. Kurt punzt Ruth.
Super Bumstumult! Nicht hudeln! Ruth zwickt Kurt in die
Nudel. Kurt zuckt und sprudelt. Betrug! Kurt nuckelt an
Utes Buchteln. Schuft! Ruth flucht. Vakuumpumpe! Trude
verwundert: Warum? Dumme Kuh! Kurt schrumpft. Trutscherl!
In der Schublade unten! Kusch Lumpi! Gefunden! Gut. Pumpen
pumpen! Kurt schluckt. Putzi Schnucki! Ruth spukt: Du Wurm!
Trude schnurrt. Rutschiputschi! Ruth resolut: Erektogurt!
Ute pusht Kurt. Zuchtgurke Suchtrute! Trude bewundert Kurt.
Kusch Lumpi! Kurt pudert Trude. Ruth frustriert: Bums mich!
Stutenkrieg. Kurt schustert Ute. Futfurz. Kurt grunzt. Schuß!
Ute gluckst. Schluß! Kurt schlummert. Lumpi knurrt. Such die
Wurst! Und schwupp! Der Pudel schluckt die Nudel. Ruth jubelt.
Trude schluchzt.


Zwei Heimatdramen aus: Grinshorn und Wespenmaler. 34 Heimatdramen, Das fröhliche Wohnzimmer, Wien 2001. © Margret Kreidl

Grinshorn kommt herein, als Polizist verkleidet.
Wespenmaler fährt mit einem Fahrrad vorbei.
Grinshorn schreit.
Grinshorn: Privilegierter Marxist!
Wespenmaler fährt mit einem Fahrrad vorbei.
Grinshorn: Fanatischer Pazifist!
Er zieht die Pistole.
Grinshorn: Grüner Rassist! Radfahrfaschist!
Er schießt.
Wespenmaler fällt vom Fahrrad.
Wespenmaler: Grinshorn!
Grinshorn: Wespenmaler, linksradikaler!



Wespenmaler kommt herein, im Steireranzug.
Er hält ein Backhendl im Arm.
Wespenmaler: So kann es nicht weitergehen.
Er streichelt das Backhendl.
Wespenmaler: Graz darf nicht Paris werden.
Grinshorn kommt herein, im Steireranzug.
Grinshorn: Wespenmaler!
Wespenmaler: Grinshorn!
Grinshorn: Darf ich?
Wespenmaler nickt.
Grinshorn streichelt das Backhendl.
Wespenmaler: Kernöl ist kein Himbeersaft.
Grinshorn beißt in das Backhendl.
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