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Das vernetzte Gehirn: Musikalische Übung macht den Meister
Archiv - Wissenschaft und Forschung
Sonntag, 11. Juni 2006
ImageVor etwa fünfzehn Jahren machte der deutsche Neuropsychologe Univ.-Prof. Dr. Lutz Jäncke eine bemerkenswerte Entdeckung: Bei der Routineuntersuchung eines berühmten Pianisten enthüllten ihm die Bilder aus dem Kernspintomographen, dass bestimmte Regionen im Gehirn dieses Mannes besonders deutlich ausgeprägt waren.

Vom Entdeckerdrang gepackt untersuchte Jäncke die Cerebralfunktionen weiterer hervorragender Musiker und bestätigte durch ausgedehnte Vergleichsuntersuchungen schließlich eine zentrale Erkenntnis der modernen Neuronalforschung: Das menschliche Gehirn ist ungemein plastisch und kann durch verschiedenste externe Einflüsse, wie etwa das regelmäßige Üben eines Musikinstrumentes, deutlich modifiziert werden.

Lebenslanges Training hält fit. In einem Vortrag an der Kunstuniversität Graz (KUG) zum Thema „Was ist das Besondere an den Gehirnen von Musikern?" berichtete Jäncke von den konkreten Ergebnissen seiner Arbeit, die durch den Vergleich umfangreicher Kontrollgruppen erhärtet werden konnten. Als Veranstalter trat die Initiative Gehirnforschung Steiermark INGE St. auf, die es sich zum Ziel gesetzt hat, wie Univ.-Prof. Dr. Christa Neuper betonte, „das Thema der Gehirnforschung in eine breitere Öffentlichkeit hinauszutragen".
Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass das Gehirn durch Musizieren regelrecht wie ein Muskel trainiert werden kann, eröffnet eine völlig neue Sicht auf die therapeutischen Möglichkeiten durch das Lernen und die damit verbundenen Anpassungsprozesse. Selbst für Menschen bis ins fortgeschrittene Lebensalter hinein scheint sich zu bestätigen, dass ein weitaus größeres Potenzial zur Plastizität vorliegt als bislang vermutet. Der an der Universität Zürich lehrende Neuropsychologe Jäncke sprach für KORSO mit Josef Schiffer über den Fortschritt in der modernen Hirnforschung und die praktische Anwendbarkeit seiner Forschungsergebnisse.

Welche Unterscheide zeigen sich an den Gehirnen von professionellen Musikern gegenüber jenen von Nicht-Musikern?
Einer der wesentlichen Unterschiede bei den Gehirnen von Berufsmusikern besteht in der deutlicheren Ausformung des für die Koordination der Hände zuständigen Areals (Sulcus centralis). Diese Region wird durch die gleichmäßig hohe Anforderung an beide Hände beim Musizieren der meisten Instrumente, im konkreten Fall Piano und Violine, ganz besonders stark angeregt und damit auch trainiert. Das hat zur Folge, dass dieser Bereich in beiden Gehirnhälften von Musikern stärker als normal ausgeprägt ist, ganz besonders deutlich aber in der rechten Hemisphäre, die für die Steuerung der linken Hand zuständig ist.

Inwiefern hängen diese Veränderungen mit dem regelmäßigem Üben zusammen?
Es ist ein hartnäckiger Mythos, dass der berufliche Erfolg von Musikern quasi auf einer angeborenen Begabung, einem in die Wiege gelegten Genie, beruht. Mir ist jedoch kein einziger Spitzenmusiker bekannt, der nur eine Stunde am Tag üben würde, ganz im Gegenteil verbringen die meisten von ihnen, wie die Geigerin Anne-Sophie Mutter, regelmäßig sechs bis acht Stunden am Tag mit dem konzentrierten Spielen des Instruments.
Der Vergleich von verschiedenen Kontrollgruppen hat auch eindeutig bewiesen, dass eine erfolgreiche Karriere als Berufsmusiker in hohem Maße von der in das Üben mit dem Instrument investierten Zeit abhängig ist. Die besten Absolventen der Berliner Akademie für Musik hatten vor dem Beginn der Hochschulausbildung, also als Jugendliche, etwa fünfmal soviel Zeit mit dem Üben verbracht als ihre durchschnittlich erfolgreichen Kollegen.

Wie wirkt sich dieses Gehirntraining auf andere Bereiche aus?
Die Leistungen in Bezug auf das verbale und das Arbeitsgedächtnis sind bei diesen Personen markanter ausgeprägt, dazu zeigen sich ein verbesserter Daueraufmerksamkeitslevel und eine erhöhte kognitive Flexibilität.
Diese Erkenntnisse gelten nicht nur für Kinder, die den Musikunterricht besuchen und dadurch einen erhöhten IQ-Wert aufweisen, sondern auch für ältere Personen. Insbesondere in der Demenzforschung hat sich herausgestellt, dass das regelmäßige Musizieren sich in einer deutlich verringerten Gefährdung einer Erkrankung für diese Menschen niederschlägt. Die geistigen Abbauprozesse werden durch die kognitive Tätigkeit drastisch reduziert.

Inwieweit spielt nicht doch etwa vererbtes Talent eine Rolle dafür?
Ich bezweifle überhaupt nicht, dass es vererbte Begabung gibt, aber diese wird meist maßlos überschätzt. Sie dient oft als Ausrede dafür, beim Üben immer nachlässiger zu werden. Aber auch Genies müssen regelmäßig üben, oder wie Einstein es formuliert hat: „10 Prozent des Erfolgs sind Inspiration und 90 Prozent Transpiration."
Die mit Beginn der frühen Kindheit ablaufenden Emotionen wie Selbstmotivation dürfen nicht unterschätzt werden. Das Zusammenspiel der Faktoren Wollen, Möglichkeit und Fähigkeit machen erst einen erfolgreichen Musiker aus. Wir haben genug begabte Kinder, die aber keine Lust zum Üben haben oder von den Eltern nicht ausreichend motiviert werden.

Können nicht auch Aktivitäten wie logisches Denken oder auch Computerspiele das Gehirn ähnlich trainieren wie Musik?
Obwohl Musik eine positive Wirkung auf viele verschiedene Bereiche hat, gilt dies zweifellos auch für andere Aktivitäten, die Konzentration und Koordination von Bewegungen auf hohem Niveau fordern. Daher sind weitere Forschungen auch in dieser Richtung unbedingt notwendig. Stark spezialisierte Fähigkeiten können aber auch zu einem einseitigen Training des Gehirns führen, so kann ein Atomphysiker beispielsweise im Alltagsleben eine hohe Ungeschicklichkeit an den Tag legen. Bezüglich der Computerspiele ist bewiesen, dass manche davon zu einer Steigerung der Reaktionsfähigkeit führen. Aber es hängt auch von der Art des Spiels ab. Bei Strategie- und Aufbauspielen wurde aber eine Verbesserung der Problemlösungsfähigkeit und Raumorientierung festgestellt, die auch bei der Behandlung von Patienten mit Exekutivstörungen eingesetzt werden, die dadurch wieder lernen sich zu orientieren und ihre Lebensführung zu planen.

Weitere Informationen: Die Homepage des Vereins INGE St. ist unter http://www.gehirnforschung.at abrufbar

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