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EU-Dienstleistungsrichtlinie: Sozialdumping oder neue Freiheit?
Dienstag, 7. Februar 2006
ImageIm Januar 2004 legte die EU-Kommission den Entwurf einer Dienstleistungsrichtlinie vor. Das deklarierte Ziel des Regelwerks, das nach dem ehemaligen niederländischen Binnenmarkt-Kommissar auch Bolkestein-Richtlinie genannt wird: Die Beseitigung der „rechtlichen und administrativen Hindernisse für den Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten", „damit ein echter Dienstleistungsbinnenmarkt entstehen kann". Die prognostizierten Folgen laut den EU-Markt-Euphorikern: „Niedrigere Preise, höhere Qualität der Produkte und ein größeres Angebot für Verbraucher."

Am 16. Februar 2006 soll das EU-Parlament einen wichtigen Schritt in einem komplizierten Verfahren setzen, der Dienstleistungsrichtlinie in der von der Kommission vorgelegten Form zustimmen und den Weg in eine schrankenlose Dienstleistungszukunft ebnen. Aber: Der Widerstand gegen diesen neuen Deregulierungsschritt wächst europaweit.

„… würde eine Abwärtsspirale bei Sozial-, Steuer-, Verbraucher- und Umweltstandards in Gang setzen."
So trugen am13. Dezember 2005 die drei grünen Landtagsabgeordneten Edith Zitz, Ingrid Lechner-Sonnek und Peter Hagenauer und die beiden sozialdemokratischen Mandatare Günther Prutsch und Bernhard Stöhrmann eine europäische Debatte in den steiermärkischen Landtag: Das Landesparlament, so forderten sie in einem gemeinsamen Antrag, solle die Verabschiedung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in der von der EU-Kommission vorgelegten Form ablehnen. Begründung: „Die Erfüllung von Gemeinwohlaufgaben würde gefährdet, und die Regelungskompetenzen der öffentlichen Hand auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene würden in Frage gestellt. Die generelle Einführung des Herkunftslandprinzips würde eine Abwärtsspirale bei Sozial-, Steuer-, Verbraucher- und Umweltstandards in Gang setzen." Der Landtag nahm den Antrag einstimmig an.

Knackpunkt Herkunftsland-Prinzip. Liegen die GegnerInnen der Dienstleistungsrichtlinie richtig, wenn sie behaupten, sie brächte „den Konzernen maximale Freiheit, während sie den Schutz der KonsumentInnen, der ArbeitnehmerInnen und der Umwelt radikal unterminiert (www.attac.at/bolkestein.html)? Diese Befürchtung stützt sich vor allem auf jene Passage im Entwurf, die da lautet: „Die Mitgliedsstaaten tragen dafür Sorge, dass die Dienstleistungserbringer lediglich den Bestimmungen ihres Herkunftsmitgliedsstaates unterstehen." Sind diese Bestimmungen laxer – pardon: liberaler – als jene im Zielland – also jenem Mitgliedsstaat, in dem die Leistung erbracht wird – so ist der Dienstleister natürlich gegenüber seinen inländischen Konkurrenten im Vorteil. Auch wenn die BefürworterInnen der Dienstleistungsrichtlinie darauf hinweisen, dass in entscheidenden Fragen gemäß der so genannten Entsenderichtlinie die Bestimmungen des Ziellandes gelten – Mindestlohn, Mindesturlaub, Mindestmutterschutz und Mindestruhezeit – so bleiben ganz entscheidende Bereiche übrig, sagt Dr. Franz Heschl, Wirtschaftsexperte der steirischen Arbeiterkammer. „Für einen großen Teil der österreichischen Arbeitnehmerschaft würden dann die Bestimmungen der Entsenderichtlinie, die als Schutz vor den gröbsten Verwerfungen am Arbeitsmarkt gedacht waren, zum neuen arbeitsrechtlichen Standard."

Problemfall Leiharbeit.
Was das konkret bedeutet, listet ein Handout der AK auf: Beschäftigt etwa ein lettisches Bauunternehmen in Österreich auf einer Autobahnbaustelle sowohl lettische als auch österreichische ArbeitnehmerInnen, so fallen die ÖsterreicherInnen bei ihrem Ausscheiden aus der Firma um die Abfertigung um – nach lettischem Recht, das dann laut Dienstleistungsrichtlinie gilt, gibt’s nämlich keine solche. Oder: Um Lohnnebenkosten zu sparen, gründet ein österreichisches Einzelhandelsunternehmen eine Tochterfirma in Großbritannien und meldet neu aufgenommene ArbeitnehmerInnen nur mehr über diese britische Tochter an. Damit haben die Beschäftigten im Krankheitsfall nur mehr Anspruch auf Krankengeld gegenüber der Krankenkasse – eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber gibt es nämlich nach britischem Recht nicht. Ähnliche Benachteiligungen könnten sich bei der Dauer der Elternkarenz, bei arbeitsfreien Feiertagen oder dem Kündigungsschutz für Behinderte ergeben – in all diesen Bereichen sind die Vorschriften in den einzelnen europäischen Staaten nämlich unterschiedlich geregelt. Und weil Leiharbeit als Dienstleistungserbringung angesehen wird, sind nicht nur Beschäftigte in den klassischen Dienstleistungssektoren, sondern aller Branchen betroffen. Heschl: „Prinzipiell wäre es möglich, dass ein Industriebetrieb seine gesamte Belegschaft bei einer polnischen Leiharbeitsfirma anmeldet."

Wenig wirksame Kontrollmechanismen. Ein Punkt, der besonders ArbeitnehmervertreterInnen sauer aufstößt, ist schließlich die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit von Bestimmungen, weil die Kontrollen laut Dienstleistungsrichtlinie im Herkunftsland stattfinden müssen. Ob ein Arbeiternehmer aus der Ukraine, der für ein slowakisches Unternehmen in Österreich Fertighäuser montiert, in der Slowakei legal beschäftigt ist, dürften die österreichischen Behörden dann gar nicht überprüfen. Ebenso wenig dürften sie aber auch kontrollieren, ob bei der Beschäftigung österreichischer Arbeitnehmer durch die gleiche Firma die jeweils geltenden österreichischen und slowakischen Vorschriften eingehalten wurden; auch das bliebe den slowakischen Behörden überlassen.

Auch für Dr. Hans Jaklitsch von der steirischen Wirtschaftskammer steht die Frage der Durchsetzbarkeit rechtlich bestehender Ansprüche im Vordergrund: „Diesbezüglich teilen wir die Sorgen der Arbeitnehmer und der NGOs." Eine sinnvolle Regelung setze die Einbeziehung der Sozialpartner voraus.

Dass die Dienstleistungsrichtlinie vor allem von GewerkschafterInnen und BelegschaftsvertreterInnen hart bekämpft wird, nimmt angesichts dieser Fakten nicht wunder. So ist der steirische Vorsitzende der Fraktion sozialdemokratischer GewerkschafterInnen und Landtagsabgeordnete Klaus Zenz davon überzeugt, dass die Intention der Väter der Richtlinie darin bestehe, die Lohn- und Arbeitsbedingungen in Europa mit Hilfe des Herkunftslandprinzips auf möglichst niedriges Niveau zu drücken. Zenz: „Zustimmung zur Richtlinie darf es daher nur dann geben, wenn das Herkunftslandprinip fällt."

Gesundheitswesen soll ausgenommen bleiben. Die entgegengesetzte Perspektive vertritt der langjährige steirische Europa-Abgeordnete der ÖVP, Univ.-Prof. Reinhard Rack: „Ich möchte eine möglichst weit gehende Dienstleistungsfreiheit in Europa hergestellt wissen, Österreich profitiert da ja auch davon, weil wir etwa im Bankenbereich und bei den Finanzdienstleistungen zu den Dienstleistungsexporteuren zählen." Allerhöchstens könne es darum gehen, bestimmte Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip zuzulassen. Eine Notwendigkeit dafür sieht Rack vor allem im Bereich des Gesundheits- und Krankenhauswesens: „Da muss aus meiner Sicht sichergestellt werden, dass unsere relativ hohen Standards nicht durch niedrigere gefährdet werden, wie sie zumindest in einem Teil der neuen EU-Staaten gelten." Weniger Bedarf für Einschränkungen sieht Rack allerdings, was einen ebenso umstrittenen Teil der Dienstleistungs-Deregulierung betrifft, nämlich die kommunalen Versorgungsbetriebe: „Da könnte man sich relativ weit öffnen, das könnte Bewegung und damit eine Qualitätsverbesserung in diesem Bereich bringen." Auch wenn man sich nicht gleich an Schreckensszenarien wie in Bolivien orientiert, wo der französische Wasserversorger Suez „unrentable" Stadtviertel in La Paz und El Alto einfach von der Wasserversorgung abhängte – so richtige Freudenstimmung kommt in einer durch die permanente Globalisierungsdebatte sensibilisierten Öffentlichkeit inzwischen nicht mehr auf, wenn die Öffnung bisher kommunaler Dienstleistungen für private Anbieter – und dann unter Umständen für solche mit niedrigeren ausländischen Standards – verpflichtend werden soll.

Poblemfall soziale Dienste. Wesentlich weiter reichende Ausnahmen fordert der steirische sozialdemokratische Europa-Abgeordnete Mag. Jörg Leichtfried: „Beim Umwelt- und Konsumentenschutz, beim Arbeitsrecht und beim Entgelt müssen die Bestimmungen des Ziellandes gelten." Das Gesundheitswesen auszunehmen sei in den Verhandlungen bereits paktiert worden; „was bisher öffentliche Leistungen von so genanntem allgemeinem Interesse betrifft – wie etwa die Müllabfuhr – werden wir uns gegen den Block aus Liberalen und Konservativen kaum durchsetzen." Im Augenblick könne man aber noch nicht sagen, wie die Parteienverhandlungen ausgehen würden.

Einer der umstrittenen Bereiche ist jener der sozialen Dienste, die in Österreich zu einem großen Teil von öffentlichen und gemeinnützigen Institutionen und Organisationen wahrgenommen werden; diese müssten sich im Fall einer Öffnung wohl der Konkurrenz durch Billiganbieter stellen. Dagegen wehrt sich etwa die ehrenamtliche Präsidentin der Volkshilfe Steiermark, LAbg. Barbara Gross. „Die Öffnung der Dienstleistungsmärkte darf nicht zu Lohndumping und zu einem Wettrennen um die niedrigsten Sozialstandards führen. Eine Richtlinie, die solche Konsequenzen mit sich bringt, ist eine Gefahr für die soziale Daseinsvorsorge in Europa und rüttelt an den Grundfesten des europäischen Sozialmodells."

Wenig geklärt sind schließlich auch die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Beim Arbeitsmarktservice ist man sich der Problematik bewusst, hat aber noch keine Daten, auf die sich Maßnahmen stützen könnten. „Da die Dienstleistungsrichtlinie der EU in der angedachten Form sowohl steirische ArbeitnehmerInnen als auch steirische Unternehmen berühren wird und in diesem Fall mit Sicherheit Auswirkungen auf das Arbeitsmarktgeschehen haben wird, wird sich das Arbeitsmarktservice mit diesem Thema intensiv zu befassen haben", sagt der steirische AMS-Chef Karl Heinz Snobe.

Ein gewaltiges Potenzial. Wie immer die Abstimmung im Europäischen Parlament ausgehen wird und wie immer sich die wahrscheinlich notwendigen weiteren Verhandlungen gestalten: Das Ergebnis wird in jedem Fall weit reichende Auswirkungen auf die Zukunft der Wirtschafts- und Sozialentwicklung der Union haben, weil der Dienstleistungssektor den bedeutendsten Bereich der europäischen Wirtschaft darstellt: Nach Schätzung der Kommission entfallen ca. 50% des BIP der EU und ca. 60% der Beschäftigung auf die mit der Richtlinie erfassten Dienstleistungen.                                                                                       

Christian Stenner

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