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Lea Titz – Alltag auf den zweiten Blick
Sonntag, 14. November 2010
„Watch oder der rosa Müßiggang“ nennt sich eine ihrer aktuellen Arbeiten, um das Unerklärliche des Zeitlichen zu fassen, die Parallelität individueller Lebenszeit fühlbar werden zu lassen.

Rosa Papierschnipsel wie unzusammenhängende Erinnerungsfetzen hat Lea Titz auf unzähligen, kleinen Plastikuhr­werken montiert. Und ihre Voraussetzungen abgeglichen: sie ticken gemeinsam, spielen ihre Interferenzen aus. Das Nebeneinander- und doch Miteinandersein spannt Bezüge zum menschlichen Leben und Streben, bis nach und nach die Batterien leer werden. Was macht die Zeit aus? Was macht sie aus uns, wenn die Taktung der Lebensrhythmen und Wunschspiralen einmal in Gang gesetzt ist? Während die Muße von den positiven Aspekten der freien Zeit profitiert, die sie mit kontemplativen, bis ins Schöpferische reichenden Zuschreibungen ausstatten, so nähert sich der Müßiggang gemeinhin dem Laster. Seine Verteidigung haben Titz‘ langsam rotierende Zeitteilchen übernommen  –  und dem angeblich passiven  Ziehenlassen der Möglichkeiten wird die Tugend des meditativen Betrachtens entgegengehalten.

Überlegung und Übersetzung.
„Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite“ schreibt Friedrich Nietzsche, „der Hang zur Freude nennt sich bereits ‚Bedürfniss der Erholung‘ und fängt an, sich vor sich selber zu schämen. … Ja, es könnte bald so weit kommen, dass man einem Hange zur vita contemplativa (das heisst zum Spazierengehen mit Gedanken und Freunden) nicht ohne Selbstverachtung und schlechtes Gewissen nachgäbe.“ Dem Arbeitsamen neidvoll verpönt bewegt sich künstlerisches Tun immer wieder in diesen scheinbar zeitlosen Fenstern, deren Wertschöpfung  sich kaum in Stunden aufrechnen lässt. Sich dem Trubel der Welt entziehen zu können, Studien oft unbestimmter und universeller Natur anzustellen, Gewohntes zu reflektieren, um das Ungewohnte aufzuspüren. Für Lea Titz ist die Kunst eine Übersetzertätigkeit, die ohne fixe Grammatik auskommen kann, die die Dinge zerlegt, von alltäglichen Widmungen befreit und für neue Sichtweisen einsetzt: „Genau dem eine Ästhetik entlocken, das weder beliebt noch beachtet ist.“

Unters Bett gekehrt.
Es sind kleine und große Dramen, denen sie sich dabei zuwendet: „Via Fernbedienung widmet man sich abwechselnd Kochrezept und Weltuntergang. Und es kann subjektiv beides gleich wichtig sein“, analysiert sie und zeigt dazu ihr Video „Tumbleweed“: Eine weite Halle, sichtlich verwahrlost und in die Jahre gekommen – den Blick rahmen zwei Pfeiler, das Licht kommt seitlich, die Stimmung schwebt düster. Nach und nach nimmt die Mundharmonika von Ennio Morricone das verlassene Setting für sich ein, beschwört die Vorstellungskraft. Spiel mir das Lied vom Tod. Bis sich der abgelagerte Staub zum poetischen Steppentanz aufschwingt und wir uns und unsere Phantasie auf dem harten Boden unter dem Bett wiederfinden. Wo das unumgängliche Staubsaugen im gemeinsamen Wohn-Alltag leicht zum Szenario über Leben und Tod umschlagen kann.

Überlagerungen von analog und digital.
Konstruierte Bilder beinhalten stets die Möglichkeit einer Täuschung. Eine Tatsache, die  sich Lea Titz  zunutze macht. Oder aber verneint. Mit der Billigdigitalkamera wird die Fotografie selbst zum Thema, werden Tools, die die verschiedenen Wertigkeiten digitaler Bilder aufschlüsseln sollen, vom Mittel zum Zweck zum Mittelpunkt  der Darstellung:  Tonwertkurven, teils via Zeichnung manipuliert, werden Bestandteil oder gar Hauptsujet eines Bildes, dessen Entstehung sie von digitalen wieder zu analogen Möglichkeiten rückführt. Dazu wird die Kamera mit dem Display einfach in den Vergrößerungsapparat eingespannt und sorgt selbst für die Belichtung und grobe Rasterung des Fotos.

Beobachten und Beschreiben.
Als Darstellungsmittel der Erläuterung gefundener Zusammenhänge dient ihr immer wieder die Form der wissenschaftlichen Schautafel. Für die Analyse der „Plastikbiotope“ in Shoppingcentern etwa. Oder für verschiedene  Pilzkappen, die in der zugehörigen Videoarbeit wie kleine Zahnrädchen rotieren. „Die Übersetzung ist dabei auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar, wie bei so vielem, das miteinander zu tun hat.“ sagt Lea Titz.
Ein Observierungs-Kugelschreiber, den der Hobby-Detektiv  sich unauffällig an die Brusttasche heftet, wird wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt: Im Schreiben
eines romantischen Briefes oder wenn der Straßenkünstler mit dem besonderen Schreibgerät ein Portrait der Künstlerin fertigt. In beiden Videos ist es nicht das Resultat, sondern die Umgebung, die in ruckartigen Bewegungen ins Bild kommt.

Rotationen – von Koffern, Autos und Fliegen.
Das rastlose Reisen um den Erdball bedingt eine ganz andere Rotationsbewegung. Unterschiedliche Untergründe werden all jenen zur  Partitur, die im ständigen Unterwegs-sein mit ihren Trolleys  einzelne Stücke daraus interpretieren. Sie rattern und rumpeln von ihren Unterkünften zu den Bahnsteigen und Rollfeldern dieser Welt. Lea Titz hat für ihre Interpretation der „Partitur und Komposition für Trolleys“ einen gedämpften  Ausschnitt am Teppich gewählt. Eine interaktive Landebahn für KonsumentInnen eines Shoppingcenters zeigt sie in ihrer Arbeit „Zwei Farben: Rot“. Die gespiegelte Decke der Parkgarage mit ihren Neonlinien  lockt Autos mit grünen LEDs in freie Parklücken und signalisiert gleichzeitig: „Nur eine rot funkelnde Tiefgarage ist eine gute Tiefgarage“. Mit grünen Zahlen für die Betreiber.
Zwei Fliegen, die das lotusblütenartige Gebilde einer Lampe umkreisen, kombiniert sie mit dem gleichmäßigen Summen zweier Staubsauger als Vertreter jenes modernistischen Reinheitskults, der der gemeinen Stubenfliege leicht zum Verhängnis werden kann. Es sind leise Zugänge, die Lea Titz mit ihren Arbeiten innerhalb der Alltagswelten aufspürt – das Moment ihrer Übersetzungen erschließt sich selten auf vordergründige Weise. Poesie erfordert Muße. Kunst oft den Umweg des Müßiggangs von Künstler und Betrachter.

| Eva Pichler
www.kulturserver-graz.at/v/titz.html

LEA TITZ...
geboren 1981 in Graz; 2000-2001 Akademie für angewandte Fotografie, Graz; 2001-2003 Fotografielehre, Graz und Rosenheim; 2003-2009 Studium an der Universität für angewandte Kunst, Wien; arbeitet seit 2003 als Architekturfotografin; seit 2006 Organisation des fullframe Festivals für Experimental- und Avantgardefilm, 2005 und 2006 Arbeitsstipendium am Dachstein; 2007 Ursula Blickle Videopreis; 2008 Fotoförderungspreis der Stadt Graz. Ausstellungen (Auswahl): 2009 !white club space #4!, ehemalige Mediathek, Salzburg; 2009 !Imagineering!, Lendplatz und Citypark, Graz; 2009 „Anlehnen verboten“, mit Ernst Koslitsch, smallest gallery, Graz; 2009 Diplomausstellung, das weisse haus, Wien; 2008 „Kollektoren“, stadtmuseumgraz (Einzelausstellung); 2008 „Am Sprung – Junge Kunst/Szene Österreich“, OK Centrum, Linz; 2008 „380 NM - 780 NM“, Plattform Quelle, Wien; 2007 „Infiltration“, Projekt von und mit PRINZGAU/podgorschek, Künstlerhaus, Graz; 2007 Stiftung Starke, mit Wendelin Pressl und Herbert Soltys, Berlin; 2006 „Walserall“, mit Anna Dvorak, Festival Walserherbst, Thüringerberg; 2005 Galerie Kunst & Handel, Graz; 2003 „Raum und Körperlichkeit I und II“, internationales Netzkulturtreffen, Gleisdorf; lebt und arbeitet in Wien und Graz.

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