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Andreas Heller – Zwischen Kulisse und Landschaft
Dienstag, 5. Oktober 2010
Eine Gratwanderung ist jene Situation, in der es zwei gegensätzliche Aspekte gleichzeitig zu berücksichtigen gilt, zwischen ihnen aber auch Balance zu halten ist, um nicht nach rechts oder links abzustürzen.

Den Arbeiten des Grazer Künstlers Andreas Heller nähert man sich an, wenn sich dieser Grat zur greifbaren Linie abstrahiert, die das künstlerische Abbild zwischen den Polen inszenierter Leere und historischer Fülle auslotet. Hier wird der Umriss in seinen Funktionen zwischen Blaupause, Kartografie und gebauter Raumkulisse hinterfragt, während sich die zitierten Landschaftsinhalte, die Andreas Heller linear aufzureißen und strukturell zu zerlegen beginnt, bewusst mehr und mehr entziehen. Damit beschwört der Künstler gerade jenes Ungleichgewicht, das auf der Wanderung durch das Bild zumindest ein Stolpern, wenn nicht einen Absturz provoziert, der den Betrachter auf Seiten der ermöglichten Leere oder einer arrangierten Inhaltsschwere zu neuen Erkenntnissen führen kann.

Kopien des Wesentlichen.
In seinen Blaupausen formiert sich Grundlegendes für seine Arbeiten, sagt Andreas Heller. Ausgehend von einem Wanderführer mit Stichen aus dem 19. Jahrhundert, der ihm im elterlichen Keller in die Hände fiel. Und der statt exakten Naturillustrationen idealisierte Szenerien der Hochgebirgslandschaft zeigte. Heller stellte fest, dass die dargestellten Standpunkte so nicht eingenommen werden können und begann die Phantasielandschaften dieser historischen Vorbilder zu bearbeiten und geometrisch aufzuschlüsseln. Die einzelnen Nuancen, die Farbwerte und ihre Abstufungen werden auf Hellers Blaupause zu gegeneinander abgegrenzten Flächen umrandet. Die entstandenen, blassblauen Zeichnungen scheinen alle Raumebenen in konzentrierter, bis hin zum Bildvordergrund gestaffelter Schichtung wiederzugeben. Jede Weite einer dargestellten Landschaft verflacht dabei zu Linien einer abstrahierten Plangrammatik. Die entstandenen „Wimmelbilder“, aus unzähligen Binnenformen nennt er „Blueprints for a Blackout“: Zusammenhänge aufzufassen wird dem Betrachter hier denkbar schwer gemacht, der Abbildbarkeit des Natürlichen mit einer minutiösen Flächenbehandlung der Sinn entzogen. „Die Bildmanipulation Hellers, die eigentlich eine Vereinfachung ist, provoziert durch das Liniennetz die Verkleisterung der Leere.“ bringt es Thomas Trummer in seinem Katalogtext auf den Punkt.

Plane Paravents und lineare Kulissen.
Eine Weiterführung dieses Ansatzes in der Monumentalität des Ausstellungsraumes folgt letztlich der Idee einer Collage, wenn sich die umrandeten Ebenen wie Kulissenteile aus der Fläche eines Bastelbogens herauslösen und voneinander distanzieren, um einen scheinbar perspektivischen Bildaufbau in den Realraum zu übertragen. In Form von paraventähnlichen Sperrholzformationen schlängeln sich auch massive Bergketten als räumliche Wegführung durch Andreas Hellers Inszenierungen. Als Hindernis und Skulptur gleichermaßen befreit sich das Vorbild des Pyramidenkogels als Fläche aus seiner Umgebung und wird in die Raumlandschaft der Ausstellung transferiert. Zur Kulisse verarbeitet und als adaptierbares Modulsystem immer neu anwendbar, orientiert sich Heller damit an gängigen Kulturtechniken – Scharniere ermöglichen, seine Arbeiten unterschiedlichsten Räumen anzupassen.
Neben prächtigen Bergrücken formt „Huda Lukna“ den Eingang zu einer gleichnamigen Höhle in Slowenien, deren historische Abbildungen auf Größenverhältnisse kaum Rücksicht nehmen. Auch hat man im „Bösen Loch“ eine Spinnenart entdeckt und mit dem sprechenden lateinischen Beinamen „diabolica“ versehen. Für seine Rauminstallation bedient sich Andreas Heller daher bei Jules Vernes, übersetzt Fackel in Stableuchte und platziert seinen stilisierten Höhleneingang in einem schwarzen Raum, sodass der Betrachter geblendet in den ersten Minuten gar nichts wahrzunehmen vermag.

Vom Ufo zur Aussichtsarchitektur.
Dabei geht die intensive Beschäftigung mit Landschaft, mit Bergkulissen, Schluchten und Höhlen nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, auf ein sportliches Interesse zurück, oder gar auf einen heimatlich gefärbten Natur-Romantizismus. „Ich bin in keinster Weise neoromantisch“, sagt Andreas Heller, „und schon gar kein begeisterter Bergsteiger. Eigentlich sind es die Inszenierungen, die mich interessieren.“ Als Übersetzer vorgefundener Bildwelten, der einen gewissen Hang zur Theatralik nicht abstreitet. Neben Science-Fiction-Elementen ist es vielmehr ein Interesse für Tricktechnik, das sich in Fotomontagen ausleben lässt. Zum Beispiel als proklamierte Ufosichtungen, die sich ganz einfach dadurch ergeben, dass Heller gängige Ausblicksplattformen via Retusche vom Sockel befreit und durch die Landschaft schweben lässt.
Wie Architekturen gelenkter Landschaftsbetrachtung in der Fotomontage für ihn überhaupt eine wichtige Rolle spielen. Kant beschreibt in seiner Kritik der Urteilskraft jene „kühnen, überhangenden gleichsam drohenden Felsen“ die die Macht des Menschen „zu einer unbedeutenden Kleinigkeit“ zusammenschrumpfen lassen. Ebenso verfährt Heller mit seinen Protagonisten aus Bergfotografiebüchern der 40er und 50er Jahre, die sich auf Aussichtspunkten an den Bildrand drängen, um sich der Naturbetrachtung zu widmen. Oder auch auszusetzen. Denn Erhabenheit ist laut Friedrich Schiller immer auch „ein gemischtes Gefühl“, gleichermaßen Schauer und Entzücken. Bei Andreas Heller mutiert sie zur Leerstelle, das Pathos der historischen Naturdarstellung wird auf das blanke Weiß des Papiers reduziert. Und der Betrachter „Vom Punto di Fuga zum Vanishing Point“ auf eine Bergtour zu den schwindenden Höhen der Darstellbarkeit ausgeschickt.   

Zum Gipfel der Leere.
Jener Punkt des Verschwindens ist es auch, der Andreas Heller auf Kartenmaterial vom Südpol interessiert, wo hin und wieder ein roter Kreis den so genannten „Pol der Unzugänglichkeit“ verortet – ein Hochplateau, das als unwirtlichste Landschaft auf diesem Planeten gilt und das jeden Horizont, jede Ahnung einer Bergkette verschwinden lässt. Im totalen Witheout gehen Himmel und Erde nahtlos ineinander über, und der Betrachter sieht sich in einen völlig leeren, unendlich ausgedehnten Raum zurückgeworfen. Ein Punkt, den Andreas Heller in seinen Kunstwerken immer wieder aufsucht, auch hier können Abgründe nicht mehr erkannt und Entfernungen nicht mehr abgeschätzt werden, wird der Raum zur Kulisse entleert, in die sich der Betrachter gezwungen sieht. „Erhaben ist das, was durch seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt“, definiert Kant. Auch in der Kunstbetrachtung muss man sich immer wieder in die Leere zwingen. Auch um bereichert aus ihr hervorzugehen.

www.andreasheller.at

| Eva Pichler

 

ANDREAS HELLER...
geboren 1978 in Graz, 2001-2003 Studium der Kunstgeschichte und Architektur in Graz; 2003-2008 Studium an der Akademie der Bildenden Künste, Wien; seit 2010 Programmbeirat für Bildende Kunst, Forum Stadtpark, Graz; 2008 „Henkel Art Award” (Förderpreis Österreich); 2007 „30. Österreichischer Grafikwettbewerb” (Preis des Landes Steiermark). Ausstellungen (Auswahl): 2010 „whiteout views, blackout scenes”, Galerie 5020, Salzburg; 2010 Co-Kurator der Ausstellung „Above and Beyond”, Forum Stadtpark, Graz; 2010 „Upon Arrival: Spatial Exploration”, Malta Contemporary Art, Malta; 2009 „blueprints for a blackout”, Austrian cultural forum, London; 2009 „In Between, Austrian Contemporary”, Galerija Umjetnina, Split; 2008 „0°” Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Studio, Graz; 2008 „In Between, Austrian Contemporary”, Genia Schreiber University Art Gallery, Tel Aviv; 2008 „tales about perception” Galerie Maerz, Linz; 2007 „supersampling antialiasing”, dreizehnzwei (mit James Ireland), Wien; 2006 „Förderungspreis des Landes Steiermark für zeitgenössische bildende Kunst” (Wettbewerbs­ausstellung), Neue Galerie, Graz; 2005 „S/W”, Forum Stadtpark, Graz; 2004 „Ufosichtungen”, Quartier 21, MQ, Wien; lebt und arbeitet in Graz und Wien.

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