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Die Szene in der Szenerie
Dienstag, 5. Oktober 2010
Die klassische Gemäldegalerie als Tummelplatz für den modernen Künstler: Matts Leiderstam spürt bizarre Bezüge auf, die neue Lichter auf wohlbekannte Szenerien werfen. Das Wälzen von alten Ausstellungskatalogen und das Studieren von Bilddetails gelten gemeinhin als den Kunsthistorikern vorbehalten. Der schwedische Künstler Matts Leiderstam bringt dieses geordnete Feld wissenschaftlicher Bildinterpretation ordentlich in Aufruhr. Und widerlegt damit den Verdacht, dass die beständig verstaubenden „alten Meister“ niemanden mehr interessieren. In Richtung herbst-Schwerpunkt rund um die Meisterschaft bietet der Kunstverein mit Matts Leiderstam damit „eine Gegenlektüre, die der Sache nicht ausweicht“, so Kurator Søren Grammel.
Fein säuberlich an Schreibtischen und mit Lupen und Lampen ins rechte Licht gerückt analysiert Leiderstam Meisterwerke anhand ihrer Abbildungen nach recht unkonventionellen Gesichtspunkten. Neigungen sexuel-
ler Natur reflektieren aus scheinbar unschuldigen Bildern in den gegenwärtigen, öffentlichen Raum, sobald der Künstler seine Bezugssysteme darauf anzuwenden beginnt.  Der Titel gibt diesen zweideutigen Horizont bereits vor, der hier anhand der Bildanalysen gezogen wird: „Grand Tour“ bezeichnete die Italienreisen junger Adeliger im 17.Jahrhundert, wo neben den Eindrücken der Kunst und Kultur auch das erotische Amüsement auf dem „Lehrplan“ stand. Und so wird Canalettos „Piazetta“ unter Leiderstams Lupe um das Wissen der dortigen Cruising-Szene bereichert und diese anhand eines heraus gezoomten und kopierten Details möglicherweise auch illustriert.

Paradies oder Tabuzone.
„Cruising“ meint im Kontext schwuler Sexualität die aktive Suche nach einem Sexualpartner, ist Synonym für schnellen, meist anonymen Sex. Ein streng nach kunsthistorischen Gesichtspunkten angelegter Katalog wird damit zum Trägermaterial persönlicher Begierde(n). Piranesis Landschaften weisen sich unter dem zu Rate gezogenem „Spartakus Gay Guide“ – einer Art Reiseführer, der beliebte Cruising-Areas auflistet – ebenso als Szene-Treffpunkte aus wie Courbets „Treffen“ mit seinem Sammler zur zweideutigen Szenerie mutiert, wenn man weiß, dass unweit des Treffpunkts – etwas außerhalb von Montpellier – auf zwei gegenüberliegenden Rastplätzen wiederum „andere“ zufällige Begegnungen stattfinden.
Leiderstam geht in seiner Konfrontation mit sehr subtilen Mitteln vor. Zumeist sind es Vertreter der klassischen Malerei des 17., 18. und 19. Jahrhunderts, die seine Aufmerksamkeit fesseln. Dann wird von Original oder Kopie kopiert, werden Kataloge aus- und mit neuen Bildern belegt oder aber auch Gemäldekopien an die Originalschauplätze gebracht und fotografiert, wie im Falle der beiden Rastplatzarbeiten in Anlehnung an Courbet. Nicolas Poussins „Das irdische Paradies“ wurde von Leiderstam mehrfach kopiert, immer aber wurden der verhängnisvolle Eklat und seine handelnden Personen ausgespart und die Bilder später ausgesetzt. In den irdischen Paradiesen. Landstrichen und Parks, die als Cruising-Sites bekannt sind. Um sie ihrerseits „kreuzen“ zu lassen.

Matts Leiderstam, „Grand Tour“, bis 19. November im Grazer Kunstverein.

| Eva Pichler
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