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Grenzen hier und dort |
Dienstag, 5. Oktober 2010 | |
kulturIMcontext von Herbert Nichols-Schweiger
„Viel ist nicht geworden“, tönte es vor einiger Zeit von der Kommandobrücke eines steirischen Kulturtankers. Natürlich war das Urteil nicht auf sich selbst bezogen, sondern auf die freie Szene. Ob die in ihrer ganzen Breite erkannt und ihre Ergebnisse exakt eingeschätzt werden, lässt sich allerdings nicht wie in einer Schule prüfen. Viel wichtiger ist, dass diese Grenzen durchlässig werden. Sie entsprechen auch kaum der Wirklichkeit, sondern sind Barrieren zur Sicherung von Einfluss. Umgekehrt ist das kein Freibrief für alles und jedes, was in diesem Land mit Kunstmascherl um Beifall heischt. Auch die strikte Trennung, hier fünfjährige Finanzierungsvereinbarung – dort maximal dreijährige Fördervereinbarung, eher nur Projektförderung – bekommt Lücken: Kaum eine der großen Kultureinrichtungen kann mit den vertraglich zugesagten Mitteln die eigenen Ambitionen finanzieren. In jeder steckt mehr Fantasie als Geld. Respekt dafür! Aber keine Anerkennung. In diesen Größenordnungen ist von den IntendantInnen Planungssicherheit zu erwarten. Die Institutionalisierung selbst und die Finanzierungsverträge mit Land und/oder Stadt sind noch kein taugliches Argument für Überziehungen. Dies umso weniger, als dort soziale Sicherheit und regelmäßige Gehaltsvorrückungen kalkula- tionswürdig sind – im Szenebereich wird danach nicht einmal gefragt, geschweige, dass sie als Kostenfaktoren Anerkennung fänden. Naturgemäß tauchen im Produktionsprozess Ergänzungen auf, die den Spielplan bzw. das Ausstellungsprogramm meist sinnvoll erweitern. Aber es kommen auch Größenordnungen einer Warhol-Ausstellung vor. Umgekehrt finden kleine Theater oder ähnliche Einrichtungen zur Kooperation mit großen. Das quirlige Theater im Bahnhof zum Beispiel, das sich von der öffentlichen Hand keine eigene Bühne halten lässt, aber Schauspielhaus und Probebühne mit seinen Ideen infiziert und frequentiert. Noch sind das Ausnahmen und sie werden auch nie zur allgemeinen Regel werden (sollen). Aber sie nehmen ein Arbeitsprinzip voraus, das aus verschiedenen Gründen mehr Platz finden wird müssen. Künstlerische Rivalität sollte in den Inhalten zum Ausdruck kommen und nicht nur in „Besitztümern“ und ihrer ausschließlichen Nutzung. Ganz offensichtlich sind wir wieder einmal in einer Phase, wo künstlerische Kreativitäten auf virulenter Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, wenn nicht nach ganz neuen Ansatzpunkten sind. Dieser Prozess ist weder allein auf kleine noch auf große einzugrenzen. Bei den meisten „Großen“ kommt jedoch hinzu, dass sie ein bestimmtes Publikum bedienen müssen – um eine markante Quotengröße kommen sie nicht umhin. Das ist kein guter Humus für Neues oder gar Experimente. Jede Kooperation mit beweglicheren, also kleineren Partnern birgt dabei sinnvolle Chancen. Wie immer die Regierungsbildung und die hoffentlich parallel geschalteten Budgetverhandlungen ausgehen werden, sie können nur der Anstoß für Veränderungen in organisatorischer und (wo sinnvoll und notwendig) wirtschaftlicher Hinsicht sein. An einem – vergleichsweise – kleinen, abgeschiedenen Gebäudekom- plex in der Obersteiermark ist die Vagheit und damit Unzulänglichkeit solcher Festlegungen schnell erkennbar. Schloss Lind in der Nähe von Neumarkt am Sattel liegt knapp in der Steiermark. Dort begann Hans Peter Sagmüller 1992 mit Freunden das Lebens- und Arbeitsvorhaben „Baustelle und Gesamtwerkstatt Schloss Lind“. Nach der weit gediehenen Restaurierung und Revitalisierung der Anlagen konnte 1996 die Eröffnung des Anderen Heimatmuseums mit einer Gedächtnisinstallation für das Schloss Lind erfolgen, das 1942 – 1945 eines mehrerer Außenlager des KZ Mauthausen war. Damit war die Arbeit von Aramis (der Name, unter dem Sagmüller allgemein bekannt war) noch lange nicht zu Ende, weder die bauliche Sanierung noch die künstlerische Entsprechung seiner planvoll betriebenen Idee, die alltägliche Fratze des Faschismus in sich selbst verratende Bilder und Objekte zu übertragen und so sein banales Grauen kenntlich zu machen. Insgesamt gelang ihm ein humanitäres Gesamtkunstwerk. Angesichts jüngster Entgleisungen eines Noch-Nicht-Abgeordneten, die als „Denkfehler“ verharmlost werden, möchte man meinen, dass ein von Austro- und deutschem Faschismus nachhaltig beeinträchtigter Staat wie Österreich gar nicht genug darüber wissen möchte. Das Andere Heimatmuseum ist dafür eine beeindruckende Auskunftsquelle. Trotzdem nahm sein Ruf erst mit dem geografischen Abstand zu. In der Gemeindeführung und auch im Bezirk waren nur wenige imstande, sich damit ernsthaft auseinander zu setzen und daraus für sich selbst demokra- tische und humane Klarheit zu gewinnen. Aramis ist kürzlich 60-jährig gestorben. Sie erreichen den Autor unter: nichols@mur.at.
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