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Karl-Heinz Herper will die „kleinen Boote“ der Kulturszene vor dem Untergang bewahren |
Dienstag, 5. Oktober 2010 | |
Der neue Grazer Kultur- und Gesundheitsstadtrat Karl Heinz Herper gilt als Urbild eines urbanen Sozialdemokraten, der – auch bedingt durch seine frühere Profession als Journalist, aber auch durch langjährige Erfahrung als Gemeinderat, als Bildungspolitiker und zuletzt als Klubobmann seiner Fraktion – in allen Themen der Politik zuhause ist. Sein verbindliches Auftreten und die ihm entgegengebrachte Akzeptanz hat ihn für eine Rolle als Retter der Partei nach den Zerwürfnissen des vergangenen Juni prädestiniert. Als Kulturstadtrat will er die Linie seines Vorgängers weiterführen, aber auch durchaus eigene Akzente setzen. Wolfgang Riedler hat vor allem eine Politik der Nichteinmischung in die Arbeit der Beiräte verfolgt; der einzige Punkt, in dem er selbst Initiativen setzte, war die Förderung integrativer Kulturprojekte, weil er dort große Defizite sah. An diese Linie werde ich mich auch halten; ich bin weder Intendant noch Oberkurator, dafür gibt es sach- und fachkundige Frauen und Männer, die seit Jahren in diesen Bereichen tätig sind. Ich werde nur versuchen, mich als einfaches, beratendes Mitglied einzubringen, ich werde auch Überzeugungsarbeit leisten, wenn ich von etwas selbst überzeugt bin – aber ich werde mich nicht als Intendant oder gar Inquisitor zur Verfügung stellen. Bei welchen Themen möchten Sie denn Überzeugungsarbeit leisten? Ich möchte die Integrations- und Migrationsfrage unter dem Aspekt der Kultur und Kulturvermittlung angehen und dabei mit der neuen Sozialstadträtin Martina Schröck, aber auch mit Wohnungsstadträtin Elke Kahr und mit allen zusammenarbeiten, die dazu in der Stadtregierung vernünftige Positionen einnehmen, in diesen Bereichen müssen wir direkt vor Ort in den Bezirken mehr anbieten. Abgesehen davon werde ich mich der nächsten Sitzung des Kulturbeirates stellen, die für Oktober geplant ist, und mir Sorgen, Anliegen und Wünsche genau anhören. Und bei den Mitte des Monats beginnenden Budgetverhandlungen werde ich eine klare Position einnehmen: Ich will die finanzielle Unterstützung der „kleinen Boote“, der freien Szene und der Kulturinitiativen nicht zurücknehmen – bei den „großen Tankern“ wie den Bühnen bin ich sowieso per Gesetz oder per vertraglicher Vereinbarung verpflichtet, den vorgesehenen Beitrag der Stadt Graz zu leisten Wie wird das möglich sein? Finanzstadtrat Rüsch hat ja die Order einer allgemeinen fünfprozentigen Kürzung ausgegeben – mit Ausnahme der Kinderbetreuung und des Sozialbereichs. Das lassen wir jetzt einmal herankommen. Der gestrige Wahlsonntag hat ja in Bezug auf das Kräfteverhältnis in Graz einiges geändert. Ich denke mir, dass manche Projekte verzichtbar sind, dass sie zumindest zurückgestellt werden können und dass gerade jetzt Prioritäten gesetzt werden müssen. Ich trete dafür ein, dass in dieser Stadt eine Wertedebatte geführt wird, auch was die Budgeterstellung betrifft, und nicht einfach mit dem Rasenmäher drübergefahren wird. Wir müssen uns der Frage stellen, was wirklich unverzichtbar ist, was nachhaltig ist, was für die Steuerzahler noch zumutbar ist und was für die Stadt in den nächsten Jahre bedeutsamer ist als bestimmte Lieblingsprojekte mancher Politiker. Ich halte es z.B. für eine Katastrophe, dass die Kulturlocation Thalia zugunsten eines Fitnesstempels fallen soll, wobei die Stadt für maximal 5 Mio die Haftung übernehmen soll und im Fall einer Überschreitung sogar die Call-Option besteht, dass das Bauwerk zurückgekauft werden muss. Außer der Theaterholding hat bis jetzt niemand Überlegungen angestellt, wie es mit dem Next Liberty weitergehen soll, wenn dieses Vorhaben jetzt binnen Monatsfrist schlagend wird. Es ist auch nicht konkret über Ersatzräumlichkeiten gesprochen worden – es sind ja 500 m² an Ersatzflächen für das Next Liberty und den Probenraum der Oper nötig – und wer die Kosten dafür tragen wird. Wenn Holding, Land und Stadt dafür herangezogen werden, dann heißt das, dass wir doppelt zahlen müssen, nämlich einerseits den Stadtanteil an den Mehrkosten, andererseits unseren Anteil an der Theaterholding. Mit dem Land wurde offiziell noch gar nicht verhandelt; bei der Causa Thalia geht es letztendlich um eine Privatisierung von Gewinnen und die Sozialisierung der Verluste auf Kosten des Steuerzahlers. Auch aus diesem Grund scheint mir eine Wertedebatte dringend geboten zu sein. Das Thalia-Umbauprojekt stand ja von Vorneherein auch unter schwerem Beschuss von Seiten des Denkmalschutzes. Beeinträchtigungen des Weltkulturerbes und denkmalgeschützter Objekte stehen in Graz leider auf der Tagesordnung – siehe unter anderem die letzten Entwicklungen um Schloss Eggenberg. Auch wenn das jetzt von der Geschäftsverteilung her nicht direkt in Ihr Ressort fällt: Der Kulturstadtrat hat doch ein gewisses moralisches Gewicht, wenn es um Fragen des Denkmalschutzes und des Weltkulturerbes geht. Werden Sie da Ihre Stimme erheben? Ich sehe mich in diesen Fragen durchaus als Mahner und Einmischer, weil ich finde, dass es bei der Baukultur und beim Umgang mit den bauhistorischen Werten um ein Gesamtanliegen der Stadt geht. Da werde ich mir schon den einen oder anderen Zwischenruf erlauben. Bleiben wir bei der Stadtgeschichte: Sie haben bei einer anderen Gelegenheit erwähnt, dass Ihnen die Erinnerungskultur besonders am Herzen liegt. Ja, da gilt es mehrere Schwerpunkte zu verfolgen. Aus aktuellem Anlass müssen wir ja nun klären, ob das Geburtsdatum der Stadt Graz in der Tat schon mit 1115 und nicht erst mit 1128 anzusetzen ist. Ich habe gemeinsam mit dem Bürgermeister eine HistorikerInnenkommission eingesetzt, die bis Frühjahr darüber zu befinden hat, ob das frühere Datum stichhaltig und auch durch Dokumente nachweisbar ist. Wenn ja, müssten wir ein Kuratorium zwecks Vorbereitung der Ereignisse um den 900. Geburtstag der Stadt einsetzen. Der zweite Schwerpunkt betrifft die nähere Vergangenheit. Ich werde in gemeinsamer Vorbereitung und Absprache mit Kulturamtsleiter Peter Grabensberger und seinem Team und in Kooperation mit dem Flughafendirektor am 9. Dezember, so der Plan, am Flughafen Graz-Thalerhof eine Gedenktafel enthüllen, die an das Schicksal der 1767 während des Ersten Weltkrieges zu Tode gekommenen Rutheninnen und Ruthenen am Flughafen Graz Thalerhof erinnert. Jahrzehntelang lag ja der Mantel des Schweigens über diesen Vorkommnissen, nach dem Krieg wurde das Lager abgerissen, die Gebeine wurden ausgegraben und in den Friedhof von Feldkirchen gebracht, daran erinnert heute nur noch eine Inschrift im dortigen Karner. Der Grazer Stadtschreiber der Jahre 2007/2008, der leider tragisch ums Leben gekommene Nazar Hontschar aus Lemberg/Lwow, ist bei den Recherchen über seine eigene Familie darauf gestoßen, dass sein Urgroßvater mit 54 Jahren in diesem Lager an Typhus gestorben ist, wohin er wie Hunderte seiner Landsleute als Ergebnis einer virulenten Russophobie zwangsdeportiert worden war. Die Tafel wird einen Ausschnitt aus einem Poem von Hontschar in ukrainischer, in englischer und in deutscher Sprache enthalten. Es ist wichtig, dass die Stadt Graz sich auch ihrer jüngeren und jüngsten Geschichte wieder erinnert. Und schließlich gibt es Überlegungen betreffend das Gedenken an die Opfer der Erschießungen in den März- und Apriltagen 1945 in der ehemaligen SS-Kaserne Wetzelsdorf, wo politische Gefangene und ungarische Juden, die hier durchgetrieben worden waren, ermordet wurden. Das liegt jetzt in den Händen des Verteidigungsministers Norbert Darabos, mit dem ich Kontakt aufgenommen habe, und des Militärkommandanten. Jetzt, wo die Geheimdienstarchive der Briten und Amerikaner geöffnet wurden, haben junge HistorikerInnen die Abläufe genau erforscht. Obwohl es sogar Überlebende gibt, die als Mitglieder von abgeschossenen Fliegerbesatzungen oder als Geheimagenten die Ereignisse miterleben mussten, hat niemand, auch nicht die Republik Österreich, ihnen gegenüber ein Wort des Mitleides oder der Entschuldigung oder der Trauer bekundet. Nun soll es unter der Ägide des Verteidigungsministers einen Gedenkakt geben, an dem wir uns gern beteiligen, der bereits in Planung ist und der die USA, Großbritannien, Israel und Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion miteinbezieht. Und es geht auch darum, dass die Republik nachforscht, wer die wirklichen Täter waren; die ursprünglichen Verdächtigen wurden ja freigesprochen. Eine Reihe von Ideen und Projekten begleitet seit vielen Jahren die Grazer Kulturpolitik, ohne dass sie je verwirklicht wurden. Eines davon ist der Versuch, in Graz auch eine Akademie der bildenden Künste zu installieren, ein Vorschlag, der im Besonderen von Emil Breisach immer wieder vorgetragen wurde, mit dem Ziel, die Abwanderung junger Kunstschaffender zu verhindern und eine Szene vor Ort zu entwickeln. Wie stehen Sie dazu? Ich möchte diese Projekte gerne weitertreiben, auch in guter Nacharbeit zu Kurt Flecker, der in diesem Sinne ja bis vor einem Jahr als vorbildlicher Kulturreferent des Landes gewirkt hat. Ich seh mich auch ein bisschen in seiner Nachfolge, wenn es darum geht, Dinge nicht nur anzusprechen und auszudiskutieren, sondern auch umzusetzen. Ich gehe davon aus, dass Bettina Vollath weiterhin als Landesrätin für Kultur zur Verfügung steht und dass wir gemeinsam bei der Kulturministerin vorstellig werden, um zu klären, was für die Steiermark in Zukunft möglich ist, und wer was dazu beitragen könnte. Dazu gehört auch ein Projekt wie eine Akademie der bildenden Künste. Wäre so ein Zusammentreffen mit der Ministerin nicht auch eine Gelegenheit, einen Grazer Anteil an den Bundesmuseen vorzuschlagen? Eine Filiale des Mumok oder der Albertina wäre doch ein echter Attraktionspol und gleichzeitig ein Identifikationsmoment, ähnlich wie die vier Tate-Galerien in Großbritannien, von denen ja auch nur zwei in London stehen. Das ist ein interessanter Hinweis. Wobei natürlich festzuhalten ist, dass wir ja mit dem Universalmuseum Joanneum, das nächstes Jahr seinen 200. Geburtstag feiert, mit dem neuen Museumsquartier und seinen Dependancen und Filialen ohnehin einen ordentlichen Beitrag zur österreichischen Museumslandschaft leisten. Eine weitere Belebung könnte aber nicht schaden, vor allem angesichts der Tatsache, dass Bundesmittel in der Höhe eines Vielfachen des steirischen Kulturbudgets in die Bundeshauptstadt fließen. Insofern wäre es schon gerechtfertigt, dass wir auch ein wenig an den Kulturinstitutionen des Bundes partizipieren. Kooperationen können sich aber auch in eine andere Richtung entwickeln. Maribor wird ja 2012 Europäische Kulturhauptstadt sein, und da möchte ich eine Kulturachse zwischen der Kulturhauptstadt 2012 und der Kulturhauptstadt 2003 spannen. Den Bürgermeister konnte ich schon für diese Idee gewinnen, wir werden uns noch im Herbst auf den Weg nach Maribor machen. Es gibt schon ein gutes Konzept, das auch Orte wie Leibnitz integriert. A propos Kulturhauptstadt: Vieles, was damals so veranstaltet wurde, war trotz anderslautender Beteuerungen nicht wirklich nachhaltig. Auch jetzt tauchen in regelmäßigen Abständen Projekte auf, die mehr auf der Ebene der Proklamation angesiedelt sind denn auf einer ernsthaften längerfristigen Entwicklung beruhen – von der „Architekturhauptstadt“ bis zur „City of Design“. Ja, ich kann dazu ergänzen, dass mir auch der „Designmonat“ vergangenen Mai ähnlich seifenblasenartig erschienen ist. Die Präsentation im ehemaligen „Wilden Mann“ war sehr ambitioniert und originell, aber die längerfristige Wirkung bezweifle ich. Genau die sollte Kulturpolitik meines Erachtens aber anstreben. Bei 2003 bestand die Nachhaltigkeit – zum Teil – ja auch nur darin, dass wir weiterhin für Betriebs- und Erhaltungskosten von Großprojekten aufkommen müssen. Mir liegen aber die heimischen KünstlerInnen mehr am Herzen als irgendwelche von außen nach Graz transferierten Großprojekte; für die Kulturschaffenden sind oft kleine Förderungen existenziell wichtig und lebensentscheidend, damit sie ihre Kreativität entfalten und mit ihrer Arbeit weitermachen können. kürzbarIch würde mir jedenfalls wünschen, dass es zwischen Land und Stadt, aber auch in der Stadt selbst mehr Zusammenarbeit gäbe, damit nicht nur die jeweils Ressortverantwortlichen ihre Lieblingsprojekte forcieren. Genau darum habe ich auch die Zusammenarbeit mit dem Bürgermeister gesucht, was die Kulturachse mit Maribor, die HistorikerInnenkommission und alle Bereiche der Erinnerungskultur betrifft. Abschließend eine Frage aus doppelt aktuellem Anlass: Sie haben betont, dass Ihnen die Förderung kultureller Aktivitäten im migrantischen Milieu als Integrationsmaßnahme wichtig ist. Nun hat die Kronenzeitung kürzlich gegen die – ohnehin bescheidene – Förderung von Kulturvereinen getobt, die sich genau dieser Aufgabe widmen. FPÖ und BZÖ haben sofort den Ball aufgenommen – den sie wohl ursprünglich selbst abgespielt hatten – und in Aussendungen und Leserbriefen die größtenteils ehrenamtliche Arbeit der Vereine verunglimpft. Gesetzt den Fall, es käme zu einer rotblauen Koalition auf Landesebene, wie könnte man dann solche Aktivitäten überhaut weiterführen? Ich hoffe, dass diese Konstellation nicht eintritt und dass sich die vernünftigen Kräfte zusammenfinden, in welcher personellen Konstellation in Zukunft dann auch immer – denn ich würde mir nicht vorschreiben lassen, was in Zukunft gefördert oder nicht gefördert wird. Das war eine üble Denunziation von Vereinen, in denen Menschen mit Migrationshintergrund tätig sind. Das Kulturressort wird jedenfalls weiter seinen Beitrag zur Integration leisten, gemeinsam mit NGOs, aber auch mit der Kirche, z.B. mit Pfarrer Glettler von der Andrä-Pfarre. Ganz zum Schluss die Pflichtfrage an den Kulturpolitiker: Was sind Ihre persönlichen Präferenzen als Kulturkonsument? Ich bin ein Lese- und Filmfreak, Theatergeher, Opernbesucher, Galerienbesucher, mir ist nichts fremd und ich habe Lust auf viel Kultur, weil sie mein existentielles Nahrungsmittel darstellt.
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