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Hexen und Märchen zum Saisonauftakt
Dienstag, 5. Oktober 2010
Fußfrei – Theatertrips und -tipps von Willi Hengstler Hexenjagd. Gelegentlich werden reale Ereignisse zu Standardmodellen für historisch wiederkehrende Abläufe: die Französische Revolution ist ein solches, was Umstürze betrifft, die Hexenprozesse in Salem 1692 stehen paradigmatisch für die Verfolgung Unschuldiger. Henry Miller hat in „Hexenjagd“ diese Mischung aus glosendem Triebstau, Gier und Theokratie, aus Denunziation und Religionswahn, bigotter Enge und Massenhysterie, kollektiver Schuld und persönlicher Integrität dramatisch nachgezeichnet und zugleich punktgenau die McCarthy-Ära getroffen.
Anna Badora, Intendantin des Grazer Schauspielhauses, hat mit diesem Stück die Saison in Graz eröffnet.
Werke wie die „Hexenjagd“ sind schwer zu inszenieren. Ihre Bedeutung, die ja gerade in der Modellhaftigkeit historisch dokumentierten Geschehens liegt, entzieht sich eigentlich dem „a-historischen“ Zugriff des Regietheaters: eine Herausforderung für die Intendantin, deren Arbeit meist politische Korrektheit mit ästhetischer Robustheit verbindet.
Der Abend beginnt mit einem wunderbaren Einfall: Die Mädchen von Salem, puritanische Backfische, tanzen voll Lust-
angst im „Wald“, entkleiden sich, treiben (bis auf Abigail, die die Frau ihres Geliebten tot wünscht) zum Spaß Voodoo mit einer Sklavin. Sie werden von Pfarrer Parris ertappt, dessen Tochter psychisch zusammenbricht,  womit das Unglück seinen Lauf nimmt. Der nicht sehr helle Parris fordert den Hexenexperten Hale an. Die Mädchen, hysterisch vor Angst, beginnen, anfangs um sich selbst zu retten, später aus bösem Kalkül, mit den Denunziationen. Ein gegen alle Vernunft imprägniertes Gericht glaubt, ja will den Mädchen glauben, bis es zum Gefangenen der eigenen Prozessführung wird und vor den kindlichen Zeugen selbst Angst bekommt. Am Ende gibt es 20 Hingerichtete  und ein rundum zerstörtes Gemeinwesen.

Zimmertheater.
Nach dem schönen Beginn wird die Bühne leider für lange Zeit zum überdimensionierten, nur mit Kerzen erhellten Zimmertheater. Die Schauspieler müssen sich, gerade zu einem Zeitpunkt, als sie ihre Rollen definieren sollten, im Halbdunkeln abmühen. Sehr effektvoll wirkt die Bühne, als die Mädchen schließlich die Wand des Gerichtes einreißen und wieder hinaus in die Wildnis rennen; der eigentliche Befreiungsakt liegt allerdings bei Proctor, der darauf verzichtet, sich durch das Geständnis eines imaginären Verbrechens zu retten. Jan Thümer als zerrissener Ehebrecher zeigt, dass er viel mehr kann, als mit Muskeln protzen. Die anderen Herren – Sebastian Reiß als Reverend Parris, Florian Köhler als Reverend Hale und Neuzugang Stefan Suske als Danforth, der dem Gericht vorsitzt – kämpfen mit ihren echten (oder gedachten) Perücken. Thomas Frank, der als Putnam den Prozess für seinen ökonomischen Vorteil  instrumentiert, ist interessant, wenn auch eher neben seiner Rolle kostümiert. Otto David erfrischt als ein gegen sein Image besetzter, polternder, unbeugsamer Greis. Und die Hexenmädchen … bei all dem Schreien und Wirbeln haben nur Katharina Klar als Mary Warren und ein bisschen auch Seraphine Rastls böse Abigail die Gelegenheit, sich zu profilieren.
Im Programmheft stellt Andreas Karlaganis, der Dramaturg der Produktion, seiner Regisseurin Fragen zu dem, was sich beide vorher für die Inszenierung ausgedacht haben: arbeitssparend.
Ein verdienstvoller Abend, insgesamt spannend.
Noch am 6., 7. und 12. Oktober und am 5. und 26. November

Die Frau ohne Schatten.
Die Saison in der Grazer Oper wurde mit Richard Strauss’ „Die Frau ohne Schatten“ nach dem wunderbaren Libretto von Hugo von Hofmannsthal eröffnet, eine ungemein beeindruckende Aufführung.
Das von Johannes Fritzsch hervorragend geführte Grazer Philharmonische Orchester spielt das  späte Meisterwerk mit seinen plastischen, sinnlich-rauschhaften Klangflächen hinreißend. Und Regie und Bühnenbild von Marco Arturo Marelli demonstrieren, wie viel Spannung und Unterhaltung (mit Niveau) sich aus einer gemäßigt modernistischen Inszenierung herausholen lassen. Das ist natürlich auch Verdienst der hervorragenden Besetzung. James Rutherford als Färber Barak dominierte die Bühne nicht nur physisch, sondern auch mit seinem mächtigen und dabei flüssigen Bassbariton, Stephanie Friede als seine Frau und Michaela Martens als Amme boten kraftvollen und mühelosen Widerpart.
Mit postmoderner Ironie lässt sich die musikalische, sinnliche Sprache, in der Hofmannsthal in der 1919 uraufgeführten Oper die Bedeutung von Kindern und die Solidarität von Gatten beschwört, schwer schildern.
Das gar nicht angestaubte Märchen erzählt (wieder einmal) vom Unglück, das Wesen aus der Geisterwelt ereilt, wenn sie sich mit Sterblichen einlassen. Diesmal ist es die Tochter des Geisterkönigs Keikobad, die beinahe als Gazelle vom Kaiser der „südöstlichen Inseln“ erlegt, im letzten Moment Menschengestalt annimmt. Wie Jagd und Partnerwahl haben auch Schatten und Kind die gleiche Bedeutung. Ein Jahr sind die beiden nun schon Kaiser und Kaiserin, aber noch immer kein Anzeichen von Nachwuchs. Die Kaiserin hat nur mehr drei Tage, um einen Schatten aufzutreiben, ansonsten wird diesmal der Mann, der Kaiser, dem Gesetz nach zu Stein. Ihre Amme führt die Kaiserin zu dem Färber Barak und dessen Weib, das sich dem Mann verweigert, um das Elend nicht zu vergrößern. Baraks Weib soll für Schmuck, später für einen schmucken Typen ihren Schatten der Kaiserin abgeben … Leider funktioniert das nur halb, weil sie im letzten Moment Skrupel bekommt. Selbstbezichtigungen, Wutausbruch Baraks, Versteinerung des Kaisers, Abstieg der ganze Truppe zu den Gestaden des Lebens-/Todeswassers in Keikobads Reich. Danach die üblichen Prüfungen, Verdammung der Amme und Erlösung bzw. Gnadenerlass für die Übrigen.

Passende Bühnen-Metapher.
Der Bühnenbildner Marelli lässt seine bis an die Decke reichenden, halbrunden Elemente mittels Drehbühne ein Ballett aufführen, das den abwechslungsreichen, aber unaufdringlichen Hintergrund für die Orchesterpassagen bietet. Die rotierenden, verspiegelten  Elemente repräsentieren Traumland, Menschen- und Geisterwelt. Wenn man davon ausgeht, dass Märchen von der Durchmischung einer an sich vertikalen, psychoanalytischen Architektur (Es, Ich, Über-Ich) handeln, dann hat Marelli mit dieser Bühne die passende, vertikale Metapher dafür gefunden. Besonders geglückt eine Szene, in der Kaiserin und Amme in eine dunkle, glänzende Passage tauchen und von den Menschen, die da liegen, eingekreist werden. Im letzten, im Versöhnungsbild löst Regisseur Marelli diese hermetische Bühne mit einer großen Tafel – eben nicht das Letzte Abendmahl – ab, an der  Platz für alle ist: Für Barak, die Armen, den Kaiser (solide Corey Bix) und die Kaiserin (Marion Ammann beeindruckend vor allem in den lyrischen Passagen und durch ihr Spiel). Sogar ein Schwarzer darf Platz nehmen.
Mehr als ein nur gelungener Saisonstart. Noch am  6.10., 17.10., 30.10., 9.12., 12.12., 17.12. und  21.12.
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