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BAWAG, Hypo Alpe-Adria & Co: Was tun gegen den Casino-Kapitalismus?
Archiv - Arbeit und Wirtschaft
Samstag, 6. Mai 2006
ImageDie BAWAG-Affäre hat Österreich erschüttert wie kein anderer Wirtschaftsskandal der Zweiten Republik. Sie hat der Regierung die Möglichkeit geboten, der selbst verschuldeten Schwächung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes drei weitere Demütigungen hinzuzufügen: Die Offenlegung des Streikfonds und der gesamten Vermögensverhältnisse, den Verkauf der Nationalbankanteile zum Nominalwert und last but not least die Tatsache, dass mit diesen beiden Schritten die finanzielle Rettung der Bank und des ÖGB durch den politischen Gegner erkauft werden musste. Der BAWAG-Skandal hat damit in Zeiten, wo die Lohnquote gegenüber Unternehmenseinkünften deutlich sinkt, die Kraft der offiziellen Vertretung der ArbeitnehmerInnen deutlich geschwächt.

Und er hat wegen der politischen Dimension der Ereignisse den – gemessen am wesentlich kleineren Geschäftsvolumen der Bank und der extrem kurzen Zeitspanne, innerhalb der die Verluste eingefahren wurden – noch frappanteren Fall der Hypo Alpe-Adria aus den Schlagzeilen verdrängt.
Er hat aber auch sichtbar gemacht, welche Folgen die schrankenlose Liberalisierung der Finanzmärkte nach sich zieht – und dass die Wirtschaftspolitik der Union fahrlässig handelt, wenn sie weiterhin neoliberalen Dogmen folgend auf ihre Regulierung verzichtet.

In Panik geraten. Wie die Verluste zustande kamen, ist ja nun – zum Teil durch die Aussagen des ehemaligen BAWAG-Chefs Helmut Elsner, zum anderen durch Eingeständnisse des Hauptakteurs Dr. Wolfgang Flöttl – hinreichend bekannt geworden: Erste Karibik-Spekulationen Anfang der neunziger Jahre – abgewickelt mit Hilfe von Flöttls Firmen auf den Bermudas – wurden 1994, vermutlich nach ersten Pleiten, gestoppt und 1995 wieder aufgenommen; die dabei eingesetzten 550 Mio Euro sollen – so Elsner laut „STANDARD" zu den Ermittlern – bereits 1998 vernichtet gewesen sein. (Darüber, ob die 1995 wieder begonnenen Spekulationen nur den Versuch darstellten, Verluste aus den Jahren zuvor zu kompensieren, gehen die Vermutungen auseinander.) 1998 sollen die BAWAG-Banker auf eigene Faust weiter spekuliert haben; auch diese Deals gingen daneben, und so gingen bis zum Jahr 2000 weitere 500 Mio Dollar verloren. Im selben Jahr folgte dann der Versuch eines Befreiungsschlages – wieder mit Hilfe von Flöttl. Dieser schildert in einer Sachverhaltsdarstellung, die er 2000 dem BAWAG-Vorstand übermittelte und die in „NEWS" abgedruckt wurde, wie er – wegen der unbefriedigenden Performance von sieben Bonds, deren Emission er organisiert hatte – „in Panik" geriet; mit den erwarteten Gewinnen sollte ja die BAWAG saniert werden. Entgegen der vereinbarten Strategie der Risikostreuung setzte Flöttl dann alles auf eine Karte und spekulierte mit japanischen Zinsenswaps, mit dem Ergebnis eines Totalverlustes: Weitere 350 Mio Euro und 80 Mio Dollar waren verspielt.

Wetten und Umverteilungsspiele. In der Medienberichterstattung der letzten Wochen stand das Fehlverhalten der Eigentümervertreter und der BAWAG-Spitze im Vordergrund. Nur wenige Journalisten konnten sich Untertöne über die offenbar gewordene Unfähigkeit sozialdemokratischer Banker zu erfolgreichen Geschäften verkneifen – Untertöne, die dann etwa in Postings wie im „Standard" zu veritablen Hasstiraden („Die SPÖ ist die größte Geldvernichtungsmaschine des Landes") führten. Es ist allerdings kein sozialdemokratisches Privileg, Banken in die Pleite zu führen – abgesehen von den beiden Privatbanken-Konkursen der Riegerbank und der Grazer Bank für Handel und Industrie spricht da auch das jüngste Beispiel der Hypo Alpe-Adria eine deutliche Sprache, deren Treasury-Abteilung 2004 innerhalb von zwei Wochen 328 Mio Euro bei Währungsspekulationen in Dollar gegen Schweizer Franken, Euro und Yen in den Sand setzte.
Die – verständliche – Suche nach Verantwortlichen und Schuldigen lenkt allerdings auch von der Tatsache ab, dass es bei Spekulationen der genannten Art im Gegensatz zu klassischen Bankgeschäften, wo das überschüssige Kapital der einen der Vorfinanzierung der Investitionen oder des Konsums der anderen dient und wo in einem gewissen Ausmaß rationale Risikoabschätzungen möglich sind, immer Gewinner und Verlierer geben muss – schließlich handelt es sich dabei bloß um Wetten auf die Entwicklung von Zinsen und Währungen. Der bekannte Wiener Wirrtschaftsforscher Dr. Stephan Schulmeister findet deswegen auch den Ausdruck „Casino" für diese Art der Transaktionen „nicht polemisch": „Flöttl hat sich eines derivativen Instruments, der so genannten Swaps, bedient; das impliziert, dass er sein Geschäft nur realisieren konnte, indem er einen anderen Spekulanten fand, der gegen ihn wettete. Das sind letztendlich nur Umverteilungsspiele." Der in letzter Zeit immer wieder als Entschuldigung der BAWAG- und ÖGB-Spitze vorgebrachten Ansicht, dass Spekulationen dieser Art zum obligatorischen Banken-Business zählen, widerspricht Schulmeister allerdings heftig: „Eine Bank von der Größe der BAWAG und mit ihrer Kundenstruktur muss sich überhaupt nicht an spekulativen Geschäften beteiligen; bloß riesige Bankhäuser wie die Citibank tun sich wahrscheinlich schwer damit, auf diesen Marktbereich völlig zu verzichten."

1900 Mrd. Dollar am Tag. Die Möglichkeit zu kurzfristigen Spekulationen auf den Devisenmärkten besteht seit der Aufgabe der festen Wechselkurse zwischen den Währungen im Jahr 1973. „Akut wurde das Problem allerdings erst durch die Anhebung der Zinssätze durch die Notenbanken um 1980", sagt Schulmeister. In der Folge stiegen nämlich die Rendite-Forderungen, die an Investitionen in den realen Sektor – v.a. in Industriebetriebe – gestellt wurden – damit wurde es für Industriekonzerne oftmals rentabler auf den Finanzmärkten zu veranlagen als reale Investitionen zu tätigen. Und schließlich kam es seit Mitte der achtziger Jahre zur Entstehung von „Finanzinnovationen", im Wesentlichen so genannter „Derivate", deren Namen davon herrührt, dass sie von einem zugrunde liegenden „Produkt" abgeleitet sind und Wetten auf dessen zukünftige Entwicklung darstellen – ob es sich dabei nun um Rohstoffpreise, Wechselkurse oder Aktienkurse handelt. Besonders riskant ist in diesem Zusammenhang der Hebel-(„leverage"-Effekt) der eingesetzten Finanzinstrumente, erläutert Schulmeister: Wer auf den Anstieg des Dollars gegenüber dem Euro wettet, kann bei einem realen Anstieg von einem Prozent auch schon mal 20% Gewinn einstreifen; trifft die Erwartung nicht ein, ist der Verlust genau so hoch. „Die Gesamtverluste, die jeden Tag auf den Weltfinanzmärkten eingefahren werden, sind sicherlich um das Dreißig-, Vierzigfache höher als die Verluste, die die BAWAG in zehn Jahren akkumuliert hat."
Allein 2004 machten die Devisentransaktionen 1900 Mrd. Dollar täglich aus, davon betrafen aber bloß 2 bis 3% reale Geschäfte – etwa die Bezahlung von Gütern oder Dienstleistungen aus dem Ausland oder Tourismus-Ausgaben. Der Rest ist Spekulation, was auch daran deutlich wird, dass die durchschnittliche Haltedauer für einen Durchschnittswetteinsatz von 5 Mio Dollar gerade 10 Minuten beträgt – dann wird weiterverkauft.

Tobin-Steuer und Finanz-Transaktions-Steuer. Es sind allerdings nicht in erster Linie die mit den Spekulationsgeschäften verbundenen Umverteilungseffekte, die Ökonomen wie Schulmeister Sorgen bereiten, sondern die Tatsache, „dass die Aktivitäten im Casino die reale Wirtschaft außerhalb beeinflussen – etwa Zinssätze oder Rohstoffpreise." Je nachdem, wie hoch die Summen sind, die gerade auf oder gegen sie gewettet werden, unterliegen diese „quasi manisch-depressiven Schwankungen" (Schulmeister), es kann auch zu schubartigen Entwicklungen kommen, wenn etwa große Fonds auf steigende Preise setzen und deren Anstieg dadurch zusätzlich verstärken – mit allen denkbaren negativen Auswirkungen auf ProduzentInnen und KonsumentInnen. Letztendlich strafen so gerade die Finanzmärkte jene neoliberalen Ideologen Lügen, die nach wie vor behaupten, nur im Marktprinzip käme ökonomische Rationalität zum Tragen.
Darüber, welche Mittel zur Eindämmung der weiterhin zunehmenden Wirtschaftswetten am geeignetsten seien, wird schon seit Jahren eine intensive Debatte unter den Neoliberalismus ablehnenden Ökonomen und Nicht-Regierungs-Organisationen geführt. Zurzeit hat dabei die Tobin-Steuer die Nase vorn – kürzlich wurde sogar im österreichischen Parlament eine Vier-Parteien-Resolution verabschiedet, mit der die Bundesregierung aufgefordert wird, sich auf europäischer Ebene unter anderem für die Prüfung und Einführung einer solchen Steuer einzusetzen, die im Wesentlichen aus einem geringen Steuersatz von 0,05% bis 1% auf Devisentransaktionen besteht. Längerfristiger Devisenhandel und der internationale Güterverkehr würden damit kaum belastet; der spekulative kurzfristige Handel wesentlich stärker, weil ja bei jeder der rasch aufeinander folgenden Transaktionen der Steueraufschlag fällig würde. Schulmeister würde eine generelle Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene bevorzugen: „Sie ist von der Einhebung her praktikabler, weil sie auch den Handel mit Wertpapieren und Derivaten erfasst, der an den zentralen Börsenplätzen computerunterstützt stattfindet – damit kann die fällige Steuer sofort und ohne jeden Zusatzaufwand berechnet werden." Der Devisenhandel hingegen sei wegen seiner dezentralen Abwicklung schwerer erfassbar. Eine solche Steuer brächte die öffentliche Hand unabhängig von den zwei möglichen Reaktionen der Märkte immer in eine Win-Situation: Wenn sie die Spekulation eindämmt, hat sie ihren Zweck erfüllt, wenn sie es nicht im erwarteten Ausmaß tut, bleiben zumindest die Einnahmen. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer mache – entgegen den Unkenrufen der Neoliberalen, dass dies den „Finanzplatz Europa" gefährden würde – auch auf Unionsebene Sinn; es sei kaum zu befürchten, „dass an der Frankfurter Börse gehandelte Siemensaktien an eine andere Börse abwanderten, wenn der spekulative Handel mit Derivaten dieser Aktien mit einem geringen Steuersatz belastet würde."
Und Schulmeister bringt ein weiteres Argument: „In Deutschland ist das an den Börsen gehandelte Volumen dreimal so hoch wie der private Konsum; belastet man die Transaktionen mit einem Steuersatz von einem Prozent, dann ergeben sich daraus gleich hohe Einnahmen wie bei der geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozent von 16 auf 19%. Nur: Im Gegensatz zu einer Finanztransaktionssteuer wird die Mehrwertsteuererhöhung den privaten Konsum einschränken und damit eine dämpfende Wirkung auf die Konjunktur haben."
Eine Rückkehr zum System der festen Wechselkurse – das Devisenspekulationen per se verunmöglichen würde – hält Schulmeister zwar für „prinzipiell jederzeit machbar, aber derzeit kaum wahrscheinlich". Nachsatz: „Ich bin aber davon überzeugt, dass so etwas wieder kommen wird."

Legitimationskrise des Neoliberalismus. Warum sind die Widerstände gegen die Eindämmung der Spekulation so massiv? Zum einen gibt es zweifellos handfeste materielle Interessen der davon profitierenden Gruppen – dabei darf nicht übersehen werden, dass große Industriekonzerne wesentliche Teile ihres Profits über ihre spekulierenden Treasury-Abteilungen realisieren: Schon 1992 ergab eine MacKinsey-Umfrage unter 325 multinationalen Konzernen, dass der Finanzabteilung die bestimmende Rolle bei der Optimierung des Cash-Flows zukommt. Schulmeister nennt einen zweiten nicht minder wichtigen Grund: „Sobald ein Ökonom oder Berater offiziell befürwortet, dass genau jene Märkte, die von ihren Bedingungen her dem optimalen Markt der Wirtschaftstheorie am ehesten entsprechen – nämlich die Finanzmärkte – wieder reguliert werden sollten, gerät das ganze neoliberale Gedankengebäude in eine Legitimationskrise. Dann wäre natürlich auch ein Einfallstor für die Regulierung aller anderen Märkte geöffnet."
Christian Stenner

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