Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Im herbst: Virtuositäten, Öffentlichkeiten …
Dienstag, 5. Oktober 2010
Der steirische herbst ist in vollem Gange. KORSO dokumentiert einige Highlights. Utopie und Monument, part II: „Der öffentliche Raum ist ein prekärer Raum, er ist ein Raum, der viel zu wenig öffentlich ist“ – mit diesen Worten eröffnete Intendantin Veronika Kaup-Hasler den von Sabine Breitwieser (früher Generali Foundation, jetzt Chefkuratorin für Medien- und Performance-Kunst im Museum of Modern Art in New York) kuratierten, auf 10 Positionen angelegten und als Fortsetzung des vorjährigen gedachten Interventionen-Parcours „Utopie und Monument“. Dass auf die Kunst im öffentlichen Raum oft zu viele Faktoren einwirken, wird gerade im Setting des Mariahilferplatzes deutlich: „Scheinbar ist das Vertrauen in die Kunst nicht sehr groß – man braucht unbedingt auch Design“, kommentiert Sabine Breitwieser die Bemühungen der Stadt um besagten Titel, in dessen Erwartung die Plätze mit den verschiedensten Bank-Ausgeburten überschwemmt werden, die hier just der Künstlerin und ihrer Intervention in die Quere kommen. Isa Genzken spielt nämlich mit Alltagsmaterialien, sie verschönert nicht. Mit zwei Rollstühlen in Glasvitrinen und einer Wäscheleine – dedicated to Michael Jackson – versucht sie Mehrdeutigkeiten herzustellen, die auf den ersten Blick beunruhigen. Gegenüber der Oper reagiert Armando Andrade Tudela auf eine Pergola, die den Lüftungsschacht in modernistischer Manier auslaufen lässt, mit gedoppelter Künstlichkeit – er hat eine ebenso abstrakte Lochblechkonstruktion geschaffen, die ihre Definition im Benutzungskanon erst finden muss.

Öffentliche Informationskanäle.
Die Kartografien von Andrea Fraser haben sich über alle Punkte in der Stadt verteilt. Mit „You are here“ wird die Position der BetrachterInnen vor Ort dargestellt – dabei geht es nicht um geografische, sondern um soziale und institutionelle Beziehungen. Von Bildung und Parteienlandschaft bis zu Migranten, Konsumenten und Museumsbesuchern wurden in der Kollaboration zwischen Künstlerin, Forschern und Informationsdesignern Daten recherchiert und zu Beziehungsgrafiken verwoben. Informationskanäle ganz anderer Herkunft zitiert Angela Ferreira mit ihrer Turmkonstruktion aus Rundholz, die in ihrem Geburtsland Mozambique für einen kollektiven Radioempfang in ländlichen Gebieten sorgt. Aus Megaphonen erklingen die „Cape Sonnets“ – Gedichte von Peter Blum – in idiomatischem Afrikaans, der Sprache der „Cape Coloureds“. Und auch hier hatte es die Kunst denkbar schwer, ihren Standpunkt zu verteidigen – wegen einer Wahlveranstaltung musste das Objekt kurzerhand vom Pfauengarten in den Volksgarten übersiedeln.
 
Bezahlte Leere, verbotener Inhalt. John Knight
lässt selbstverständlich Vorhandenes temporär unsichtbar werden – die für den Herbst gebuchten Fahnenmasten auf einer Straßenseite der Herrengasse bleiben für die Dauer des Festivals leer. Knights „Lange Tage der Freizeit“ werden allerdings vom Nationalfeiertag unterbrochen, wo obligatorisch rot-weiß-rot aufgezogen wird. „A perfect problem“ das die Intervention nur verstärkt, so der Künstler. Im „klassisch“ öffentlichen Raum gar nicht realisieren ließ sich Michael Schusters Schriftskulptur für das Rathaus. Wo im Vorjahr ein Vorhang eine Bühne andeutete, kann heuer aus angeblich denkmalschützerischen Gründen nichts mehr angebracht werden – vielleicht hat es auch mit der Eröffnung der Intervention noch vor den Wahlen zu tun und/oder mit der Tragweite ihres Inhalts: AUFEINWORT konnte aber immerhin im medialen Raum transferiert werden.
Ganz zufrieden mit ihrer Ortswahl sind die Polin Paulina Olowska, die drei rekonstruierte Neonreklamen aus Warschau auf das Rondeau am Andreas-Hofer-Platz verpflanzt oder Jutta Koether, die vor dem Kunsthaus in die Doppelung einer Haltestelle ihre Schätze eingelassen hat – eine mit „Dämonen für Damen, Herren und Kinder“ bemalte und mit allerhand Tand beklebte Leinwand. Direkt in den Bahnen läuft Kader Attias Video „Mythos der Ordnung I“ als poetische wie politische Geste. Mit Couscous hat er eine Linie gezogen und damit den Platz in zwei Sektoren geteilt – das Gefühl der ImmigrantInnen, die durch eine Grenze sowohl vom eigenen Land, als auch von wirklicher Intergration in Österreich getrennt sind. Dass die Linie verschwindet, sich die Vögel, ihrer annehmen zeigt, dass sich die Natur um derlei Grenzen, die der Mensch erdacht hat, nicht kümmert.

Das Forum und die Tribüne.
Collagiert wurde in Hinblick auf die heurige Herbst-Architektur. Die jungen Wiener Architekten feld 72 haben dem Forum Stadtpark einen Parasiten verpasst, der dem Haus sichtlich gut tut. 2000 Europaletten sorgen für das nachhaltige, weil nur geborgte Baumaterial, das das Haus zum Bühnenraum werden lässt. Den wunderbaren Blick über das Geschehen im Park könnte man nutzen, um sich der Arbeit von Susanne Kudielka und Kaspar Wimberley zu widmen, die hier ihr Feldforschungsprojekt zum Geschehen rund um den Stadtparkbrunnen präsentieren. Und sich anhand der Zeitleiste live in das tägliche Ritual am Platz einklinken. Nebenbei lässt es sich in der Herbstbar gemütlich konsumieren und vom Ausstellungsraum aus an den Palettentischen die bunten Blätter des Herbsts genießen.

Die Eröffnung. Eingeleitet wurde all das und mehr (dieser Beitrag ersetzt keinen Blick ins herbst-Programm) von einem sehr soliden Eröffnungs-Act, der Ballettinszenierung „Maschinenhalle#1“ von Bernhard Lang, Christine Gaigg, Winfried Ritsch und Philipp Harnoncourt. 12 TänzerInnen bewegten sich zu von computergesteuerten Klavieren generierter Musik, deren Klänge sie aber selbst durch ihre Bewegungen beeinflussten. Was also auf den ersten Blick und nach herkömmlicher Wahrnehmung wie eine linear-kausale Wirkungskette aussah, erwies sich als multikausaler Ursache-Wirkungs-Zusammenhang mit verschiedenen Rückkopplungsebenen – halt so wie das Leben selbst. Dass darin auch noch die Mensch-Maschinen-Problematik eingebettet lag (dominiert der Computer den Menschen oder umgekehrt?) bot weitere Interpretationsspielräume. Ganz zu schweigen von der dichten Atmosphäre, die an klassische technische Utopien erinnerte. Einziger Wermutstropfen: Mehr als ein/e PerformerIn war wegen der Menge an Eröffnungsgästen selten auszumachen, die da zwischen den Tanzpodien und Klavieren umherwogte.
Informationen:
www.steirischerherbst.at oder im Festivalzentrum Forum Stadtpark So - Do 10.00 - 1.00, Fr + Sa 10.00 - 3.00

| Eva Pichler, cs
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