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Die Zeitung richtet es sich |
Dienstag, 5. Oktober 2010 | |
Kopfzeile von Martin Novak
Jörg Kachelmann und Alberto Contador sind freigesprochen. Im Fall Kachelmann haben Spiegel und Zeit nach minutiösen Ermittlungen das Verfahren quasi eingestellt, der Stern gab eine Ende Juli veröffentlichte Umfrage in Auftrag – die Mehrheit glaubt, dass der Wettermo-derator unschuldig ist. „Tour de France“-Sieger Contador ist ein Unschuldskalb, kein Doping-Sünder, das steht mit einer Online-Umfrage der spanischen Sporttageszeitung Marca fest. Der reguläre Vergewaltigungsprozess gegen Kachelmann wird wohl noch eine Zeit dauern, der Doping-Verdachtsfall Contador ist gerade erst öffentlich geworden. Aber was sollen die Medien machen? Warten, bis die endlos langen Verfahren in mehreren Instanzen abgeschlossen sind, vage Vermutungen anstellen, Pro und Kontra abwägen? Das tun ja viele auch, aber eine derart distanzierte, leidenschaftslose Berichterstattung funktioniert nur, wenn die Medienkonsumenten ebenfalls distanziert und leidenschaftslos sind. Und das ist das Publikum spanischer Zeitungen ganz ebenso wenig wie die deutschen MedienkonsumentInnen, wenn es um den ehemals so beliebten Wetteransager geht. „Gerichte und Staatsanwälte sollen sich nicht am öffentlichen Diskurs beteiligen und ein zweites Verhandlungsfeld eröffnen“, sagt Christoph Frank, Chef des Deutschen Richterbundes in einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen über den zunehmenden Druck, dem sich Gerichte und Staatsanwaltschaften durch die öffentlichen Debatten, gesteuert von den StrategInnen der Verteidigung, zunehmend ausgesetzt fühlen. Herrn Frank kann man beruhigen: Das zweite Verhandlungsfeld ist längst eröffnet, Medien, Politik und andere Stakeholder spielen dort längst. Das Dilemma der Justiz ist, dass sie dort nicht mitspielen kann, ohne ihre Grundprinzipien aufzugeben, etwas, was die Politik schon längst getan hat. Tele-Realität, Horserace-Journalismus, Talkshow-Politik … Was Philosophen, Politik- und KommunikationswissenschafterInnen und ehrenamtliche KulturpessimistInnen in Fachmedien und im Feuilleton beklagen, dominiert die Quoten und Auflagen stimulierenden Medienformate. Und funktioniert in der politischen Kommunikation: „Mit den Fernseh- und Managementtechniken verfügt der ‚Sarkoberlusconismus‘ über ein hochentwickeltes Know-how, mit dem er den politischen Bereich und die Gesellschaft auf einer fiktionalen Ebene leiten kann“, kritisiert der französische Philosoph und Kommunikationswissenschafter Pierre Musso und drückt damit – vielleicht ungewollt – gleichzeitig seine Bewunderung für das bunte Treiben aus. Theatralisierung und Inszenierung sind längst auf allen Ebenen angekommen, die Kritik fällt jedoch nicht immer so „positiv“ aus: Schon im Wahlkampf 2005 brachte der politische Quereinsteiger … in seinen schwerfälligen Auftritten nur lange und komplizierte Wahlreden zu-stande. Dass er dennoch siegte, war damals mehr den Umständen als seinen politischen Fähigkeiten zu verdanken. In den neuesten Umfragen zeigen zwar SPÖ und ÖVP fast identische Werte, aber der trotz seinen unverkennbaren Schwächen markantere Politiker … verzeichnet gegenüber seinem farblosen Herausforderer … einen klaren Vorsprung. So hart urteilte der österreichische NZZ-Korrespondent Charles Ritterband unmittelbar vor den steirischen Landtagswahlen über die Spitzenkandidaten. Voves und Schützenhöfer mag trösteten, dass Contador in Österreich ebenfalls keine gute Presse hat. Und für Bernhard Kohl wird Marca ja auch keine entlastende Umfrage aus dem Internet gezaubert haben.
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