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Problemzone Landwirtschaft: Förderwildwuchs oder mehr Nachhaltigkeit?
Dienstag, 5. Oktober 2010
Image Als Anfang September das „Schwarzbuch Landwirtschaft“ aus der Feder des bekannten Journalisten Hans Weiss im Wiener Deuticke Verlag erschienen ist, hat das nur knapp 170 Seiten umfassende Werk in der Agrarszene für beträchtliche Aufregung gesorgt, verhieß doch schon der Untertitel „Von den Machenschaften der Agrarpolitik“ nicht gerade Freundliches an die Adresse der bäuerlichen Interessenvertretungen. Ebenso prangt provokant der Aufkleber „Wie kleine Bauern ruiniert werden“ auf dem Umschlag. Dass trotz mancher Polemik und flotter Formulierungen die Botschaften des Buches nicht völlig ins Leere zielen, zeigten die teils heftigen Reaktionen von Agrarpolitikern, die dem Autor entweder völligen Mangel an Sachkenntnis bescheinigen oder ihm einseitige Argumentation unterstellen bzw. dahinter sogar ein Auftragswerk der politischen Gegenseite vermuteten.

Klare Zahlen- und Faktenlage. Dabei hantiert der Verfasser weder mit Informationen aus dubiosen Quellen noch mit unlauter erschlichenem Wissen, sondern hauptsächlich mit den offiziellen Zahlenwerken des „Grünen Berichts“ bzw. der Transparenzdatenbank, die Förderungen und Subventionen an bäuerliche Betriebe ebenso wie an Lebensmittel verarbeitende Unternehmen detailliert aufschlüsselt. Schließlich sind alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union seit Herbst 2008 verpflichtet, EU-finanzierte und -kofinanzierte Agrarförderungen zu veröffentlichen, auch wenn in Österreich manchmal der Eindruck vermittelt wurde, es handele sich dabei um ein freiwilliges Angebot der Landwirtschaftspolitik. Dass dem nicht ganz so ist, belegt auch der von Weiß monierte Umstand, dass die Landesförderungen von Seiten einzelnen Bundesländer, die immerhin rund 20% der Gesamtförderungen im Agrarsektor ausmachen, in besagter Datenbank überhaupt nicht aufscheinen. Schon vor zwei Jahren entflammte auf der Basis dieses Zahlenmaterials eine politische Debatte über die Höhe der Ausgleichszahlungen, deren Verteilung auf die einzelnen Betriebe und deren allgemeine Sinnhaftigkeit für das Überleben der traditionellen Strukturen. Immerhin fließen jährlich rund 2,2 Mia Euro an Förderungen und somit Steuergeldern an die Landwirte und Lebensmittelfirmen, während ein Ende des „Bauernsterbens“, das Tag für Tag etwa zwölf Bauern die Stalltüre zusperren lässt, noch nicht absehbar ist.

Schwindende Agrar-Einkommen.
Fakt ist jedoch auch: Die ökonomische Situation eines großen Teils der Bauernschaft stellt sich in den vergangenen Jahren alles andere rosig dar. Spätestens seit dem EU-Beitritt 1995 sorgen unter dem Eindruck der Weltmärkte stark sinkende Preise für die gängigen landwirtschaftlichen Erzeugnisse für rückläufige Einkommen bei den österreichischen Landwirten. Daran konnten auch die im Jahr 2008 kurzfristig massiv angestiegenen Marktpreise für agrarische Erzeugnisse nur wenig ändern. Auch wenn es zahlreiche profitabel wirtschaftende Betriebe gibt, so spricht doch die durchschnittliche Einkommenssituation der Bauern eine deutliche Sprache, wie der Präsident der Österreichischen Landwirtschaftskammer Gerhard Wlodkowski erklärt: „Die Einkünfte der heimischen Agrarbetriebe aus Land- und Forstwirtschaft sind 2009 im Vergleich zum Vorjahr um 28 Prozent auf durchschnittlich 19.000 Euro gefallen, davon stammen knapp 18.000 Euro aus den verschiedenen Förderprogrammen.“ Aus diesem Grund führe auch kein Weg am Festhalten des bisherigen Subventionssystems vorbei, um das Überleben des Bauernstandes zu gewährleisten. In der offiziellen Sprachregelung der Kammern spricht man inzwischen lieber von „Leistungsabgeltung“ für Landschaftspflege und Naturschutz, was zumindest für das ÖPUL-Programm, das naturschonenderes Wirtschaften fördern soll, als zutreffend bezeichnet werden kann.

Kleinteilige Strukturen und Überalterung.
Das romantische Image der österreichischen Landwirtschaft mit kleinen und idyllischen Gehöften offenbart zugleich ihre größten Schwächen: Mit durchschnittlich weniger als 20 Hektar und rund zwei Drittel der Betriebe in Bergbauernlagen bzw. benachteiligten Gebieten hat man es gegen die europäische Konkurrenz alles andere als leicht. Das lässt sich besonders deutlich an den Milch produzierenden Betrieben ablesen, wo in Österreich auf einen Milchbauern ca. 10,5 Milchkühe kommen, während in Frankreich 41, in den Niederlanden 60 und in Dänemark gar 101 Tiere in den Ställen stehen. Österreich zählt zu den europäischen Spitzenreitern bei Agrarsubventionen, denn obwohl die derzeit noch existierenden 170.000 Bauernhöfe nur 1,2% aller Betriebe in der EU ausmachen, erhalten sie 2,6% der europäischen Fördermittel. Bei den Geldern für Umweltprogramme liegt der Anteil Österreichs sogar bei 4,4%, was zum Teil aus dem relativ hohen Anteil von Biobetrieben erklärlich ist. Über 100.000 der Höfe werden nur mehr im Nebenerwerb bewirtschaftet, weil die Verdienstbasis aus den landwirtschaftlichen Erträgen trotz Subventionen nicht ausreichend ist. Noch alarmierender ist die Tatsache, dass mehr als 60% der Betriebsleiter in Österreich über 45 Jahre alt sind und in vielen Fällen kein geeigneter bzw. williger Nachwuchs zum Weiterführen der Höfe mehr vorhanden ist. Allein zwischen seit dem EU-Beitritt 1995 und 2007 wurden über 50.000 bäuerliche Betriebe aufgegeben. Während auf der einen Seite nach den Bekundungen der Interessenvertreter das „Bauernsterben“ gebremst werden soll, ist man sich beim Ministerium darüber im Klaren, dass der Strukturwandel – Abnahme der Betriebe, Zunahme der Betriebsgröße – mit zwingender Notwendigkeit weiter voranschreiten wird. Diese Entwicklung entlockt sogar dem Raiffeisenmagazin „Unser Land“ (9/2010, S. 5) zweifelnde Töne am bestehenden Fördersystem: „Das Thema Förderung ist in der österreichischen Landwirtschaft ausgereizt wie kaum sonst wo. […] Die Notwendigkeit wirtschaftlichen Denkens wird gerne verdrängt. Einsparungen durch gezielte Investitionen, Kooperationen und Betriebsvereinfachungen sind nicht das Lieblingsbetätigungsfeld der heimischen Bauern.“ Mit anderen Worten: Subventionen verhindern und lähmen letztlich wie in vielen anderen Bereichen auch die Innovationsbreitschaft.

Krasse Ungleichgewichte.
Doch zurück zu den Berechnungen von Hans Weiss, der sich keineswegs als pauschaler Kritiker der Fördergelder für landwirtschaftliche Betriebe verstanden sehen will: „Vordergründig soll die kleinteilige, umweltverträgliche Struktur in Österreich erhalten werden, was durchaus Sinn macht, aber die Zahlen sprechen eine ganz andere Sprache.“ Weiss konstatiert, dass die viel beschworenen „kleinen Bauern“ nur rund 20% aller Agrarsubventionen erhalten, während der Löwenanteil „Großbauern, Privatstiftungen und vor allem Lebensmittel erzeugenden Firmen“ zugute kommt. Auch wenn hier vom Autor verschiedene Förderschienen in einen Topf geworfen werden, so bleibt doch als ernüchterndes Fazit, dass kleinere Höfe selten auch nur annähernd genug Förderung erhalten, um auf Dauer zu überleben, während z.B. die Zucker verarbeitende Industrie Millionenförderungen dafür kassiert, dass sie die als Ackerfrucht an sich unrentablen heimischen Rohprodukte zu verwenden gesetzlich angehalten ist. Aber auch innerhalb der Bauernschaft gibt es krasse Unterschiede, wie sich am Beispiel der Steiermark demonstrieren lässt: Mehr als die Hälfte der 30.000 bäuerlichen Betriebe bezieht Förderungen in Höhe von durchschnittlich nur 1892 Euro. Ebenso hoch sind in der Regel allein die Aufwendungen für die bäuerliche Sozialversicherung, die von vielen Nebenerwerbslandwirten zwar bezahlt werden muss, aber kaum in Anspruch genommen wird. Da hier in den meisten Fällen keine nennenswerten Reinerträge erwirtschaftet werden, findet im Prinzip eine Umverteilung der Agrarförderungen in die maroden Töpfe der bäuerlichen Sozialversicherung statt, die aufgrund ihres außerordentlich hohen Anteils an Pensionisten jährlich mit 1,7 Mrd Euro an öffentlichen Geldern ausgeglichen werden muss.

Fördersegen für Agrarunternehmer.
Die ökonomisch schwierige Situation vieler Familienbetriebe dient in der politischen Auseinandersetzung jedoch nicht selten als Schutzmantel gegen aus der Sicht der ÖVP-dominierten Bauernfunktionäre „klassenkämpferische Neiddebatten“. Dabei liegen die Missverhältnisse in der Förderpolitik selbst in den Augen von vielen Landwirten auf der Hand, wie Biobauer Richard Hubmann erläutert: „Es wäre gerechter, die Förderungen z.B. am realen Einsatz von Arbeitskraft zu orientieren und nicht an der Größe der bewirtschafteten Ackerfläche. Anstatt widrige strukturelle Bedingungen auszugleichen und auch den Kleinbetrieben den Aufbau von Kapitalreserven zu ermöglichen, wird durch das bestehende System der Strukturwandel hin zu agrarindustriellen Produktionsweisen eindeutig verschärft.“
Dass diese Beobachtung auch einer objektiven Überprüfung standhält, zeigt ein Blick auf die Förderlandkarte des Instituts für Raumplanung (Raum 76/09): Besonders hohe Direktzahlungen fließen in den Osten Österreichs, insbesondere das Weinviertel, das Waldviertel, das Wiener Becken, die Ackerbaugebiete Oberösterreichs sowie das Burgenland. Dort erhalten die Höfe im Schnitt meist deutlich mehr als 10.000 bzw. 20.000 Euro im Jahr, während in den kleinstrukturierten Gemeinden Südösterreichs die 2500 Euro-Grenze selten überschritten wird. Als besonders absurd kritisiert Weiss jedoch die Förderungen für Industrielle und Privatstiftungen, die nebenher Landwirtschaften betreiben, insbesondere wenn Top-Manager wie Siegfried Wolf oder Banker wie Julius Meinl für das Unterhalten ihrer exklusiven Hobby-Güter unter dem Titel der Hilfe „zur Erzielung eines stabilen Einkommens“ mit öffentlichen Geldern verwöhnt werden.

Nachhaltige Alternativen fördern.
Die Widersprüche innerhalb der agrarischen Fördersysteme mit ihrer offensichtlichen Benachteiligung von Kleinbetrieben wären mit einigen regulativen Maßnahmen zumindest abzumildern, fordert Weiss in seinem „Schwarzbuch Landwirtschaft“. Ob der politische Wille zu tief greifenden Änderungen vorhanden ist, darf allerdings angesichts der Tatsache bezweifelt werden, dass von Bauernvertreter-Seite in Reaktion auf entsprechende Vorstöße vorbeugend meist rasch auf zentrale Vorgaben aus Brüssel verwiesen wird. Dabei wäre gerade in einem Land wie Österreich, das sich gentechnikfreie und naturnahe Wirtschaftsweisen mit einem hohen Anteil von biologischer Landwirtschaft auf die Fahnen geheftet hat, eine Förderung von nachhaltiger Landwirtschaft, wie sie der Schweizer Volkswirt Mathias Binswanger vorschlägt, ein naheliegendes Modell. Seine Empfehlung geht dahin, die Bauern stärker an der Wertschöpfung, also der Verarbeitung ihrer Produkte zu beteiligen, damit ihre Abhängigkeit von Subventionen reduziert werden kann. Angesichts der globalen Konkurrenz mit dem Import von billigen Agrarprodukten aus Übersee und der massiven Überproduktion in Europa sollte die Bevorzugung von Großbetrieben schleunigst beendet werden, regt Weiss an: „Ein erster wichtiger Schritt wäre der Förderstopp von Agrarsubventionen an Privatstiftungen sowie jene Personen, die mehr als 57.000 Euro Einkommen haben. Außerdem sollte ihre Höhe pro Betrieb auf 25.000 Euro begrenzt werden. Ergänzend dazu bedürfte es einer lückenlosen Kennzeichnung aller Bestandteile von Lebensmitteln, um den weit verbreiteten Missbrauch im Interesse der Konsumenten einzudämmen.“ Trotz der politisch sicher nicht einfachen Umsetzung dieser Maßnahmen hätten wohl nur die wenigsten Landwirte dadurch eine echte Verschlechterung ihrer Situation zu  befürchten.

| Josef Schiffer
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