Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Oh Täler weit, oh Höhen…
Montag, 13. September 2010
kulturIMcontext von Herbert Nichols-Schweiger Neben beachtlichem Eigenbau fußte ein Gutteil künstlerischer und damit kultureller Erneuerung in der Steiermark auf geistigem Import – etwa seit den 1960er Jahren, dem Ende der kulturellen Nachkriegszeit(!). Die Landespreisträgerlisten aller Sparten (ganz wenige weibliche Ausnahmen!) belegen, wie sehr die Kultur dieses Landes bis dahin im Dung der Tausendjährigen verfangen blieb. Viele damalige Entscheidungen stinken nach „Großen Koalitionen“ in den Jurys – aber nicht nach der bis heute gewöhnten SPÖVP sondern zwischen den geistig verschmutzten Altvorderen und damals neuerer Konservativität (Alfred Kolleritsch nannte sie in der Mitte der 1970er Jahre „Aarnochen“).
Das ist alles längst vorbei, kann begütigend eingeworfen werden, und wirft noch immer (oder schon wieder?) helldunkle (einige trauen sich sagen: bräunliche) Schatten. Viele Medien(-VertreterInnen) können sich da noch nicht wirklich orientieren. Allerdings ist seither in die entgegengesetzte Richtung ziemlich viel geschehen und passiert auch weiter einiges. Aber manche halten es sogar für Souveränität, nicht mehr an diese Vergangenheit denken zu sollen. – Alles zusammen sind das die Mühen der Ebenen, das Durchdringen der Täler.
Großer Sprung in das erste Jahrzehnt des inzwischen auch schon alt ausschauenden neuen Jahrtausends, vor allem ab 2005: Kultur-Import ist weiter ok, Export wird - nun auch in Kunst und Kultur – nicht nur ab und an gefördert sondern initiiert. In der Wirtschaft gibt es das schon so lange, dass Import-Export als Unternehmensgegenstand anrüchig wurde. Aber das ist ein anderes, auf anderen Seiten, in einem anderen Bundesland besonders turbulent abzuhandelndes Thema …
Wir bleiben in der Steiermark. Da hat der vor einem Jahr abgesägte, aber in guter Erinnerung bleibende Kulturreferent Kurt Flecker u. a. begonnen, nicht nur alle paar Dezennien steirische Muster-Kulturfirmen in Weltstädten zu präsentieren (z. B. Steirischer Herbst 1985 in New York). Plötzlich war das Suchen von Herausforderungen in anderen, spannenden Weltgegenden auch für die steirische Kulturpolitik wichtig. Für KünstlerInnen ohnedies schon länger, aber mit wenig öffentlichem Geld.
Syrien, Nicaragua, Kuba waren die wichtigsten der seither aus der Steiermark angepeilten Destinationen. Die temporäre Kunst-Drehscheibe Venedig zählt dazu nur in Verbindung mit Architektur. Fleckers Nachfolgerin seit elf Monaten, Bettina Vollath, will dieses Grundprinzip am Leben erhalten. Einiges nicht. Dafür hat sie als Dachmarke Kultur Steiermark International direkt im Kulturressort etabliert, unter Barbara Binders energiegebündelter Leitung.
Gar nicht so wenige steirische KünstlerInnen sind so stark, so interessant, dass sie dringendst über die Steiermark, auch Österreich hinaus müssen, auch um international stärker und konkurrenzfähiger zu werden. Diese Art von gefördertem Wettbewerb ist in den meisten anderen Politikfeldern Selbstverständlichkeit seit Jahrzehnten.
Eine weitere, dringend angezeigte Erneuerung in der Steiermark selbst ist nur durch eine Kräftestraffung der handelnden Personen und Gruppen abroad möglich – obwohl wir ein multikulturelles Land wurden (nicht nur mit Hammelbraten im Hinterhof u. dgl. Einseitigkeiten) und in einen großen Staatenverbund hineinwachsen.
Die EU ist zwar ein buntes Staatenbündel, künstlerische Herausforderungen kommen jedoch nur aus wenigen Mitgliedsländern und Sparten. Auch aus der letzten Aufnahmetranche wurden nur minimale Aufreger in Richtung Innovation deutlich. Also muss der Horizont erweitert werden. Vor mehreren Jahrhunderten, ohne Internet, E-Mail, Telefon u. dgl., waren wir im Zentrum eines Staatengebildes, in dem die Sonne nicht unterging. Das neue steirische Kulturabenteuer ist dagegen doch sehr zivilisiert, oder nicht? Und könnte so entsprechend nachhaltig sein.
Ende August war steirische Architektur zum zweiten Mal mit einem selbständigen Beitrag bei ihrer Biennale in Venedig. Diesmal stadtgeographisch schon ziemlich nahe dem eigentlichen Geschehen, wobei die 2008 entferntere Position sicher nichts mit der Qualität zu tun hatte. Ganz im Gegenteil. Heuer und vor zwei Jahren war der Österreich-Beitrag zur Architektur-Biennale im Giardini-Pavillion größer (no na), aber nicht wirklich gleichrangig. Ministerin Schmied ist zu gratulieren, dass sie einen Kommissär außerhalb Österreichs engagierte. Dass der Kalifornier Eric Owen Moss jedoch in einem prallen Ausstellungsbauchladen nur bestätigte, was aus der jüngeren Architekturgeschichte ziemlich bekannt ist, beeinträchtigt das ministerielle Wagnis einigermaßen.
Charlotte Pöchhacker und Alexander Kada hatten dergleichen bei der Architekturbiennale 2008 am Campo Madonna dell’ Orto für die Steiermark unendlich smarter, anschaulicher und mit künstlerischer Verve vorgeführt. So konnten sie sich heuer am Arsenale-Ostende architekturminimalistisch gebärden. Ausgehend von der neuen Grazer Bau-Ikone an der Autobahn-Osteinfahrt, dem Pachleitner-Unternehmenssitz, betteten sie in die gewaltige Halle eine technoide Skulptur, die ein Bauwerk, ein Laufsteg und eine Bühne für Tanz zugleich ist. So wie 2008 Nonos Musik in der Kirche ist diesmal mit Tanz die Brücke zu anderen Künsten, die Räume brauchen, gebaut.
Vielleicht mögen viele daran nur mehr – gutwillig – die Idee von Architektur erahnen. Über seine Grenzen und Schnitte hinaus erlaubt das schwarze, glatte, glänzende Riesending jedoch, dass Menschen sich darauf und darin (!) bewegen, noch dazu eindeutig tänzerisch (in Richard Siegals Choreographie), und dass ziemlich viel elektronisches Gerät darauf und darin Platz hat und seine Funktion ausleben kann.
Kann es also sein, dass dieser steirische (Sonder-)Beitrag zur Architekturbiennale 2010 (wie andere in den Giardini, im Arsenale und vielen weiteren Orten der Lagunenstadt) einen ästhetischen Ausflug unternimmt und damit einen geistigen Freiraum schafft, über die seit Menschengedenken reichlich erkannten Möglichkeiten des Bauens hinausdenkend zu neuen zu gelangen?
Pöchhacker, Kada & Co. müssen dafür keine Garantie übernehmen. Aber sie hätten mit vielen Determinanten einen Weg eröffnet, der durchaus zu architektonischen Höhen führen kann. Das gilt natürlich für die Bauherren ebenso, primär die öffentliche Hand, die im Falle des Bundes und der Steiermark durch Frauen entschieden. Beachtlich auch das Engagement der Kultur-Hauptstadt Graz und der Retter in letzter Not.

Sie erreichen den Autor unter: nichols@mur.at.
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