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„Werde Trickster oder gehe unter!“
Montag, 13. September 2010
Der „Trickster“, die ambivalente Figur des klugen, eben trickreichen, Betrügers ist so alt wie die Mythen der Menschheit, in denen sie uns entgegentritt – vom Pan und Prometheus der griechischen Sagen über den Loki der germanischen Mythenwelt bis zu den in der ethnologischen Literatur ausführlich beschriebenen Gestaltwandlern in den Mythen indigener Völker der beiden Amerikas und Afrikas. Die neoliberale Offensive hat eine neue Art von „Trickstern“ hervorgebracht: Auf der einen Seite den bonusgierigen Banker, der wertlose Asset Backed Securities  in Form von Collateralized Debt Obligations unter die Leute bringt, auf der anderen Seite den/die prekäre/n SelbstausbeuterIn, der/die seine/ihre Rolle je nach Marktbedarf wechseln und heute den Marketing-Konsulenten, morgen den Konzeptkünstler und übermorgen die Event-Managerin geben muss – manchmal auch alles gleichzeitig und  immer mit dem Anspruch, allen Anforderungen virtuos gerecht zu werden; denn die Konkurrenz schläft nicht. Damit entstehen neue Arten von Bricolage-Biografien, die sich aus verschiedenen vordefinierten Rollen zusammensetzen.
Das theoretische Kernstück des heurigen herbst bildet eine Konferenz am 08. / 09. Oktober, die den gleichen Titel trägt wie das gesamte Festival; Künstler und Theoretiker, Trickster und Virtuosen aus verschiedenen Feldern werden dort Virtuosität als Figur zeitgenössischen politischen und künstlerischen Denkens  diskutieren. Quasi als praktische Vorbereitung zu den Vorträgen findet von 02. bis 09. Oktober – das „Casino of Tricks“ statt, das alle Trickster und Tricksterinnen zum Mitmachen einlädt. Eine Woche lang werden dort Tricks gesammelt, gehandelt und geteilt. Dabeisein kann jede/r, der/die einen überzeugenden Trick kennt und darbieten kann; organisiert wird das Casino von der „geheimagentur“ in Kooperation mit dem steirischen herbst.
KORSO wollte von der „geheimagentur“ Genaueres erfahren und hat mit dem Kollektiv, das anonym bleiben will, folgendes Gespräch geführt:

Der Trickster ist eine Figur, die in der Mythologie fast aller Völker auftaucht, vom En-Kidi des Gilgamesch-Epos bis zu Reineke Fuchs oder Eulenspiegel. Er ist listig, betrügt, wechselt manchmal sogar seine Gestalt und nützt die Schwächen der anderen aus. Welche Funktion hat der Trickster im heutigen soziokulturellen Zusammenhang? Welche – reale oder dem Bereich der (pop)kulturellen Produktion angehörigen – Figuren würden Sie heute als paradigmatisch für die Rolle des Trickster sehen?
Zur Ehrenrettung der mythischen Trickster: Sie machen es spannend, sorgen für Veränderung und stehen allen bei, die einen überraschenden Coup landen wollen.
Heute Trickster zu sein, heißt zum Beispiel, dass man diese Woche das eine ist und nächste Woche schon wieder etwas anderes. Vom Philosophen Paolo Virno stammt die These, dass wir in diesem Sinne derzeit alle zu Performern mutieren. Berufe und festgefügte Rollen verflüchtigen sich. Das hat man uns einst für den Eintritt in den Kommunismus prophezeit. Jetzt ist das Ganze kaum noch von einer neoliberalen Strategie zu unterscheiden. Für viele ist es wahrlich kein Vergnügen, sich ständig neu erfinden zu sollen, ganz flexibel und je nach Marktlage: ,Werde Trickster oder gehe unter!‘. Neoliberal ist das, weil hier ein gesellschaftliches Problem in ein individuelles verwandelt wird. Das führt dann dazu, dass der Einzelne, zwangsweise zum Trickster mutiert, immer wieder seine Bindungen verliert und sein jeweils neues Instant-Leben aus den Versatzstücken zusammensetzen muss, die am Markt sind. Wir sollten unbedingt mehr über Netzwerke von Trickstern nachdenken als über einzelne paradigmatische Trickster-Figuren. In der popkulturellen Mythenproduktion finden sich ja auch Trickster-Kollektive, die Magierzirkel des Hogwarts-Universums, die Gangster-Elite in „Ocean’s Eleven“ oder die Alliance of Magicians and Outlaws, kurz: AMO.

Sie postulieren, dass heute „das kritische Potenzial des Tricks“ „affirmiert“ wird. Können Sie Beispiele für dieses kritische Potenzial nennen? Oder lässt sich Trickwissen nicht ebenso gut im herrschaftserhaltenden Sinn verwerten (vergleiche etwa die Kniffe der Banker, Broker und Steuerhinterzieher und das virtuose Verbiegen von Realität durch die ökonomischen und politischen Eliten)?
Tatsächlich setzen linksalternative Politiken schon seit dem Mauerfall verstärkt auf das kritische Potential des Tricks. Seitdem glaubt nämlich keiner mehr, dass ein rein abstraktes Verständnis von Gesellschaft uns wirklich weiterhelfen kann. Daraus folgt eine neue Wertschätzung des Tricks als praktisch-emanzipatorische Wissensform, siehe ,Hacking‘ oder „Handbuch der Kommunikationsguerilla“. Aktivistische Szenarien, wie man sie zum Beispiel bei ATTAC-Seminaren oder von der auf Diebstahl spezialisierten Künstlergruppe Yomango lernen kann, basieren meist auf Tricks. Im Casino of Tricks wollen wir natürlich nicht zuletzt solche Tricks sammeln. Zu Beginn der Konferenz wird diskutiert, welchen Erfolg solche Strategien eigentlich haben.
Im übrigen trifft die Frage einen wichtigen Punkt: Man könnte eine Kulturgeschichte des Tricks schreiben, die die Tricks der Eliten zu den Tricks der Underdogs ins Verhältnis setzt. Heute wird das kritische Potenzial des Tricks aber vor allem deshalb fraglich, weil Trickstersein zur allgemeinen Verpflichtung wird. Und das ist dann auch das Ende der Unterscheidung zwischen den Tricks der Eliten und den Tricks der Underdogs. Positiv könnte man formulieren: Der Trick ist demokratisch geworden. Aber im Ernst: Selbst angesichts der Tricks der Bankster, Stichwort Finanzkrise, kann man doch nicht miteinstimmen, wenn die bürgerliche Presse einmal mehr Anstand und grundsolides Kopfrechnen fordert. Zu behaupten, dass die Tricks als solche das Problem wären, lenkt nur ab. Viel näher liegt doch die Frage, warum sich eigentlich die politisch Verantwortlichen von den Bankstern ständig austricksen lassen bzw. warum es ihnen nie gelingt, umgekehrt mal einen Coup fürs Gemeinwesen zu landen. Die Antwort liegt wohl auf der Hand: Sie versuchen es erst gar nicht. Also müssen wir wohl selber ran.

Last but not least: Was sind Ihre Erwartungen an das Casino of Tricksters?
Schampus, Tricks und Cash für alle! Außerdem ist das Casino selbst ein Trick: Ursprünglich wollten wir nur möglichst viele Trickster anlocken, ihr Wissen anzapfen und vernetzen. Nur - wie kriegt man Trickster dazu? Die wollen verführt sein. Und welcher Trickster hat nicht schon davon geträumt, ein Kasino auszuräumen? (Der Spieltheoretiker Pierre Basieux hat das übrigens mal geschafft und wird bei der Konferenz davon berichten.) Das Casino of Tricks legt es also drauf an, sich ausräumen zu lassen. Die Besucher werden die Bank sprengen und unser stattliches Kapital wird sich unter den Trickstern der Stadt zerstreuen. Im Casino ensteht dafür eine unbezahlbare Sammlung von Tricks aus den Bereichen movement, economies, magic, public order und knowledge.
Übrigens verraten wir den Trick mit dem Casino gerne. Ein Geheimnis bleibt dennoch. Wir sind deshalb gespannt, was für ein Trickster-Netz sich im Laufe der Zeit im Casino manifestiert. Ob sich die Demokratisierung des Tricks da wiederfindet? Ladendiebe, Philosophen, Wohnungslose, Bankster – mal sehen, wer kommt und wen wir in Graz noch so auftreiben, um ihn oder sie zum Trickster of the Day zu ernennen.
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