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Songs wie Atemzüge
Montag, 19. Juli 2010
Nick Cohn schreibt in seiner berühmten Rockgeschichte „A WopBopaLooBopALopBamBoom“ von den Kinks, dass sie als die Schlechtesten von allen anfingen, sich schließlich aber als die bei weitem Besten entpuppten. Leonard Cohen andererseits kommt bei Cohn (1971) noch gar nicht vor. Heute ist der Flirt der Kinks mit der Arbeiterklasse ausgeträumt, während der unpolitische Leonard Cohen immer noch in ausverkauften Konzertsälen singt. Das erste Mal nahm ich Cohen mit „Sisters of Mercy“, dem letzten Track auf der ersten Seite der CBS-LP „The Rock Machine Turns You On“ (80 Schilling) wahr. Er hörte sich ohne Zweifel gut an, ohne dass ich damals sagen konnte, woran es lag.  „I Won‘t Leave My Wooden Wife For You, Sugar“ der „United States of America“ oder „Time of the Season“ von den „Zombies“ sagten mir mehr damals mehr – ganz zu schweigen von „I`ll Be Your Baby Tonight“ von Dylan oder „My Days Are Numbered“ von Blood Sweat and Tears … Deshalb stritt ich mit der blonden, schönen Frau eines Freundes, die Leonard Cohen schon damals absolut verfallen war, und bezeichnete seine Songs als „akustischen Honig, der sich einem in Gemüt und Ohren schmiert“. Das änderte sich dann mit Robert Altmanns Film „McCabe und Mrs. Miller“, einem der wenigen Western, der im Schnee spielt und für dessen melancholische Atmosphäre nicht zuletzt Cohen mit seinen Songs sorgte. Julie Christie spielt eine Bordellbetreiberin, die von ihrem Partner Warren Beatty, der sie liebt, trotzdem für jede Umarmung fünf Dollar verlangt. Und Warren Beatty ist am Ende gezwungen, sich den drei Killern einer Eisenbahngesellschaft zu stellen, nachdem er seine Stadt erst zu teuer und dann zu spät verkaufen will. Er siegt, verblutet aber im Schnee, während Julie Andrews zu „Sisters of Mercy“ beim Chinesen an ihrer Opiumpfeife dahin dämmert. Cohen verknüpft mit seinem Sound gleichsam das Scheitern des Paares mit dem kollektiven Scheitern der Stadt, die in Flammen aufgeht. Spätestens seit dieser Parabel über das Big Business, die Vergeblichkeit der Ich-AGs und der Flucht in die Drogen hörte ich damit auf, der Frau meines Freundes vorzuhalten, dass sie ein Cohenfan sei.

Die Unberührbarkeit des wirklichen Dichters.
Vojo Radkovic von Vojo Concerts, Organisator des Grazer Konzertes, legte fast auf, als ich Cohen als old fashioned bezeichnete. Viele junge Musikfreunde, junge Frauen, die normalerweise David Guetta oder andere DJs schätzen, kämen ebenfalls zu Cohen, entgegnete er. Schon wegen seiner vielen Songs, die bereits Evergreens seien – Family Entertainment pur eben. Cohen, dem er, Vojo, mehrere Male persönlich begegnete, sei einer der wenigen Musik-Stars mit persönlicher Ausstrahlung. Was ich in der Geschwindigkeit nicht anders als mit „old fashioned“ ausdrücken konnte, war ja genau das: Cohen repräsentiert den Mythos des klassischen, amerikanischen Dichters à la Hemingway oder Bukowski, den es auf der Suche nach sich selbst in entlegene Gegenden und extreme Zustände verschlägt. Bei Cohen war es die griechische Insel Hydra (wo er seine Romane schrieb)  und ein Zen-Lehrer in Kalifornien oder Bombay. Seine Songtexte oder Gedichte verbinden archaische, an religiöse Texte angelehnte Sprachbilder mit den Dingen, bei denen jeder Experte ist: Liebe, Vergeblichkeit, Abschied … Auch dass sich Cohens Persönlichkeit nicht durch Blitzlichtgewitter erhellen lässt und er bei allem Entgegenkommen sein anderes Leben für das wichtigere hält, gehört zu dieser Unberührbarkeit, die wirkliche Dichter so an sich haben (sollten). Old fashioned ist Cohen auch – und damit meine ich jetzt das Modernste, was sich vorstellen lässt – weil Frauen für ihn absolut im Zentrum des Werkes stehen, Ausdrücke wie KulturarbeiterIn oder Gender Politics bei ihm undenkbar sind.

Zyklisch wie der Atem und das Leben.
Die BBC-Dokumentation „Songs from the live of Leonard Cohen“ aus dem Jahr 1988 machte mir dann das Eigentümliche an Cohens dunklem, melodischen Sprechgesang klar, das ich mir damals beim Anhören von „The Rock Machine Turns You On“ noch nicht hatte erklären können.
Cohen erzählt von einem Freund, dem er anvertraut, dass er, Cohen, eigentlich nicht singen könne. Der tröstet ihn: „Das brauchst du nicht zu können. Wenn ich jemand singen hören will, dann gehe ich in die Oper.“ Tatsächlich gleicht Cohens Sprechgesang eher einem Atmen mit Stimme, jedenfalls singt er wie unsereiner atmet. Zeilen wie „Oh the sisters of mercy / they are not departed or gone“  …„I saw you this morning. / You were moving so fast.“ oder „The ponies run / the girls are young“ lassen den Rhythmus des Ein- und Ausatmens spüren, gleichmäßig wie Wellen, die gegen den Strand laufen. Vielleicht bilden auch die vielen Rückzüge und Comebacks des Sängers das Zyklische des Atems und des Lebens ab. Der einzige, der eine ähnliche Unabänderlichkeit zustande brachte, war vielleicht Johnny Cash: Man mag darin die Instrumentierung zenbuddhistischer Atemtechniken für seine Songs sehen. Oder die  Erweiterung dieser Songs zu modernen orphischen Urwörtern. Deshalb haben jedenfalls Cohens Lieder bei aller Düsterkeit und vergeblichen Sehnsucht auch immer einen Kern strahlender Zuversicht. Auf jedes Scheitern folgt die Hoffnung auf einen Sieg, auf jede Enttäuschung die Hoffnung auf eine neue Eroberung …

Stadthalle Graz, 27. Juli, 20:00, Tickets unter www.oeticket.com

| Willi Hengstler
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