Ist von Technik, Wissenschaft und Kunst in einem Atemzug die Rede, denkt man unbewusst an ein solides Nebeneinander der verschiedenen Kräfte. Versuchte Vernetzung verschwimmt oft zu undeutlichen Ergebnissen – in Form von oberflächlichen Berührungsbojen der Fachgebiete innerhalb des Kunstbassins. Das muss sie aber nicht – demonstriert das Künstlerduo 0512.
Die gigantische Explosion eines sich stetig erweiternden Wissenskosmos gepaart mit wenig hinterfragter Expertengläubigkeit in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens ist einer der Angelpunkte der künstlerischen Arbeit von Martin Mathy und Steffen Strassnig, die seit 2008 gemeinsam als 0512 künstlerisch operieren. Im Nachhall der in aller Munde zerkauten Interdisziplinarität knüpfen sie zarte Bande zu verschiedensten „Fachmenschen“ und nützen die gewonnenen gegenkonventionellen Erkenntnisse zur Offenlegung neuer Zusammenhänge, die den fokussierenden Blick auf die Einzelerscheinung im abgesteckten Forschungs- gebiet gezielt umgehen und abseits ausgetretener Wege zu einer künstlerischen Verbild- lichung gelangen. Einen Beitrag zum Bewusstsein für bestimmte Vorgänge in unserer Umwelt leisten, Schnittstellen zwischen den Wissenswelten aufspüren und ihre Überblendungen in Kunstwerken wirken lassen – so könnte man ihre Projekte beschreiben.
Kunst kommt von Querdenken. Die Künstlerperson trägt die ausufernde Spezialisierung also nicht mit, sondern arbeitet gegenläufig, zieht daraus ihre Querverbindungen. Interessant sind für 0512 dabei Systeme und Relationen verschiedensten Ursprungs, die künstlerischen Teststrecken unterzogen und mit neuen Bezügen aufgewertet werden. Die Art und Weise hat dabei kaum etwas von einer strengen Versuchs-anordnung. Zufällige Impulse diktieren für die beiden verschiedenste Problemstellungen der Beschäftigung – manchmal ist es ein simples Wort, an dessen Bedeutungszusammenhang sich eine Diskussion entzündet – die Anknüpfungspunkte sind dabei so vielfältig wie die Spezialisten, die es zur späteren Umsetzung braucht: Vom Islamforscher über den Herzchirurgen bis zum praktizierenden Buddhisten werden Experten in fachfremde Kunstrichtungen dirigiert. Auch die persönlichen Spezial- und Studiengebiete üben an dieser Stelle ihre Einflüsse aus – Design und Grafik bei Martin Mathy, Chemie und Fotografie bei Steffen Strassnig.
Eine Ebene der strengen Bildlichkeit. So begegnet das Wort „Allah“, eingesprochen von einer synthetischen Stimme, dem Bilderverbot im Islam auf wissenschaftlicher Ebene: Anhand einer akustischen Analyse wird die Informa- tion in ein Koordinatensystem übertragen, welches über Zeit, Frequenz und Intensität eine dreidimensionale Umsetzung des Gesprochenen ermöglicht. Es entsteht ein Bildwerk, das sich visuell an den erlaubten Kanon des Ornament- schmuckes anlehnt, um gleichzeitig das verbotene Gottesbild auf naturwissenschaftlicher Basis umzusetzen. Der technische Abstraktionsgrad versucht dabei der Vielheit des Göttlichen gerecht zu werden und erhebt dennoch synchron die Abbildbarkeit eines Göttlichen zur Frage, wenn sich im metallischen Hintergrund der menschliche Betrachter als Teil dieses Bildes erkennt.
Symbole der Finanz- und Konsumsysteme. Noch vor der Krise entstand die Idee zum so genannten „Forbes chart house“. Selbiges New Yorker Wirtschaftsmagazin pflegt bekanntlich jährlich ein aktuelles Ranking der „World’s Billionaires“ zu veröffentlichen. 0512 vereint die offiziell 25 Reichsten der Welt in einem fragilen Kartenhaus aus fingierten Kreditkarten und schafft so ein Konstrukt, das die „Welt- spitze“ prophetisch auf äußerst wackeligen Beinen zeigt: Sollte einer abstürzen, reißt er auf einen Schlag ein ganzes System in den Abgrund. Das Shoppingcenter als heilsverkündender Tempel der Konsumwelt verspricht hermetisch-hektisches Indoor-Freizeitvergnügen. Den Gegenpol einer ruhenden Kraft setzt in der Videoarbeit „Achtsamkeit“ eine ganz auf Reglosigkeit konzentrierte Person, die sich mitten im „Zentrum“ in buddhistischer „Vipassana“ übt und das Gewirr einer rein auf Äußerlichkeiten konzentrierten Einkaufszone am buchstäblich entschleunigten Kontrast der eigenen Innenwelt abprallen lässt.
Kontrollierter Herzschlag und konsternierte DNA-Analysten. Die DNA Spur, die der Mensch mit sich durch sein geschäftiges Leben zieht und die damit verbundene Möglichkeit zur Identitätsfeststellung ist Anstoß für die Umsetzung des Projektes „DNA-Cover“, das gekonnt mit Problemen der zunehmenden Überwachung des Individuums jongliert. Mittels handlichem Pumpspray, der eine Mischung an DNA aus einem eigens geschaffenen Pool von 100 freiwilligen Probanten enthält, ist der Schutz der Privatsphäre mitunter nun wieder möglich. Sein Ausbringen begräbt das eigene Erbmaterial in einer für den Experten nicht mehr zu unterscheidenden Masse an Spuren. Zumindest auf künstlerischer Ebene kann Mensch sich so dieser Bevormundung entziehen. Natürliche Rückstände sind nicht immer unsichtbar – sie liefern mitunter ästhetische Bilder: gefundene Insektenleichen im biologischen Zersetzungsprozess zeigt die Fotoarbeit „Glimmering residues“. Vor schillerndem Hintergrund wird lichtdurchflutetes Totmaterial zum fragilen Kleinod.
In der Arbeit „Basic Hybrid“ werden technische mit biologischen und ethischen Fragestellungen zu einer hybriden Installation verknüpft, indem belebte Materie in zwei sehr unterschiedlichen Ausprägungen eine Verbindung eingeht und damit eine Visualisierung der grundlegenden Verbundenheit aller Lebensformen ermöglicht. Gleich einem Experiment aus dem Physikunterricht wird die Frucht des Zitronenbaums zur Batterie, um ein (im medizinischen Experiment verfügbares) extrahiertes Mäuseherz am Schlagen zu halten – energieautarkes System und poetisch-kinetische Skulptur zugleich.
Dinglich bis unendlich. Auch kleine „Spielereien“ finden sich im Experimentierkasten von 0512: Der digitale Abdruck, mit dem sich die Google Startseite in unser visuelles Gedächtnis brennt, wird zum analogen Stempel, der seine Lichtinformation auf simplem Fotopapier abdruckt. Die Bibel in ihrer „Einheitsübersetzung“ findet sich als literarischer Informationspool neu gemischt und in ein kompaktes Format von 82 x 58 cm gepresst wieder. Oder schlicht das Unendliche, das – in die Welt des Dinglichen überführt – in Form eines doktrinären Straßenschilds eine recht unklare Handlungsanweisung ergibt: Möglicherweise verweist es das endliche Individuum auf die Maxime der Vernunft, deren finaler Schritt sich mit Blaise Pascal in der Anerkennung der Tatsache ergibt, dass unendlich viele Dinge über sie hinausgehen. Über die Kunst könnte man wohl Ähnliches behaupten. www.zerofivetwelve.net
Eva Pichler 0512 ... sind Martin Mathy, geboren am 05.12.1976 in Wagna, 1996-1997 Studium Germanistik und Geschichte, 1997-2001 Studium „Industrial Design“ am Technikum Joanneum, 2001 Diplom Ingenieur für Industrial Design; und Steffen Strassnig, geboren am 05.12.1969 in Wagna, 1989-1996 Studium Technische Chemie, Mikrobiologie, Bio- und Lebensmittelchemie, TU Graz 1996-2002 Assistenzstelle und Promotion, Institut für Analytische Chemie, Mikro- und Radiochemie, TU Graz; 2008 gründen Mathy und Strassnig die Künstlergruppe „0512” und arbeiten seither in den Bereichen Fotografie und Konzeptkunst. Ausstellungen: 2009 „Imagineering“, Markthalle Lendplatz Graz; 2009 Ausstellung „XMESS“ PROTOTYP, ESC Graz; 2010 Künstleratelier der Steiermärkischen Landesregierung, Rondo Graz; 2010 Publikation Projekt “DNA Cover”, der Standard; 2010 Ausstellung “Wanted-Found”, Galerie Kon-Temporär Graz; 2010 Videoinstallation, “Springten” Festival für Elektronische Musik, Murinsel Graz; 2010 Ausstellung “Reliqte”, Kulturzentrum bei den Minoriten Graz (Ankauf); 2010 Ausstellung “Around the Block”, Rondo Graz; 0512 leben und arbeiten in Graz.
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