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Maryam Mohammadi – Weibliche Wirklichkeiten im Fokus
Donnerstag, 10. Juni 2010
Es geht um Menschen und ihr Verhalten zueinander. Um das Zwischenmenschliche, mit seinen Ausformungen von
Zuneigung und Zwang, von Annäherung und Abweisung. Es geht um Gesichter. Um Körper. Um Gesten, die Abhängigkeit, Unterdrückung oder Gewalt offenbaren. Es geht darum diese Beziehungen in Bildern spürbar werden zu lassen.

Maryam Mohammadi interessiert sich als Fotografin für die Rolle der Frau in diesem Geflecht. Aufgewachsen in einer stark religiös geprägten Gesellschaft stellt sie in verschiedenen kulturellen Kontexten, Traditionen und Religionen das Weibliche in den Fokus ihrer Arbeit, dokumentiert ihre Beobachtungen, inszeniert Situationen zwischen angeblicher Unabhängigkeit und latentem Despotismus zu durchdringenden, symbolischen Bildkompositionen, welche speziell weibliche Bedingtheiten aufzeichnen, die in unserer Gesellschaft kaum zur Diskussion stehen, ja scheinbar akzeptierte Normen darstellen. Es geht weiterhin um ökonomische Knechtschaft, wenn Frauen weniger verdienen. Es geht um mediale Tyrannei, wenn der nackte Frauenkörper als Werbeimage vereinnahmt wird – so sehr, dass uns diese Bilder nicht mehr anstößig vorkommen, weil sie wie selbstverständlich zum westlichen Weltbild gehören. Es geht um Gewalt, die sich in den Familien gegen Frauen richtet, um Unterdrückung, die hinter der Fassade bleibt. Die bei den Unbeteiligten stumme Betroffenheit auslöst und selten als gesellschaftliches Problem
thematisiert wird.

Der eigene Körper als Spiegel.
10 Jahre dominierte das Theater, die Bühne das fotografische Leben Maryam Mohammadis, das Jahr 2003 markiert einen Aufbruch zu neuen fotografischen Themen – auch wenn sie ihre mutigen Arbeiten in Teheran zunächst nicht veröffentlichen kann. Die Frau im Zentrum zieht sich nun wie ein roter Faden durch das Werk, ebenso wie die unterschiedlichen patriachalen Tendenzen. Denn letztlich ist es ist die Umgebung, die eine Frau zu dem macht, was sie ist. Was sie sein kann.
Dabei inszeniert sich Maryam Mohammadi selbst, bringt den eigenen Körper in Gegenposition, überarbeitet mit gezielten Posen Bildmotive, unterwandert männliche Domänen und erreicht dadurch eine Umdeutung der Bildwelten. In der Serie „Dame – Queen of the Cards“ sind es künstliche Darstellungen männlicher Körperhaltungen in einem Hammam-Museum in Yazd, die sie durch ihre weibliche Präsenz in ihrer Wirkung enttarnt. Überlagerungen, Überblendungen collagieren als gezielte Arrangements die allgemeinen Szenen im Bad durch mehrdeutige Blickwinkel und lassen unbequeme Spannungen aufkommen.

Die Mode der Gewalt.
Eine Serie von Schwarzweißfotos thematisiert Weiblichkeit in einem ganz anderen Bezugssystem. Wie auf einem Laufsteg wird der Bereich von den Zehenspitzen bis über die Knie ins rechte Licht gerückt. Auf dieser Bühne bewegt sich die Protagonistin mit einstudierten Haltungen, stellt die Makellosigkeit des weiblichen Körpers zur Schau und zerbricht dabei an ihrer Umgebung, die sich zu bedrohlichen Formen aufgerichtet hat, die fleischliche Beute zu begutachten. Es sind leere, hohle Augen, die wie Gaffer von unten her das Szenario umstehen – ein Spalier in Form von knöchernen Schafsköpfen. „The Fashion of Violence“ ist eine eindringliche Arbeit, die unter die Haut geht.
Zwischen den Falten eines schwarzen Stoffes, der entblößt und selten beschützt, zwischen spröden Knochen, die unverhohlen im Bild aufklaffen, wirken die zarten Beine wie Hauptdarsteller einer beklemmenden Brautschau – evozieren ein Gefühl zwischen Erotik und sexueller Gewalt, das sich kaum in Worte fassen lässt. Am Ende bleibt nur der schwarze Stoff am Boden zurück, Maryam Mohammadi lässt das Schicksal der Frau im Ungewissen und bezieht die Analogie der Schafsköpfe als traditionelle Opfertiere in ihre offene Deutung mit ein.

Behutsame Portraits.
Veränderliche Situationen fordern einen dokumentarischen Anspruch: im Rahmen des Projekts TO|YS ON TOUR fotografierte Maryam Mohammadi im Benin und in Nigeria. Wenn Aussagen und Eindrücke über Poren und präzise gewählte Bildausschnitte zu diffundieren beginnen und Narben ihre persönlichen Geschichten erzählen, wird das Portrait zu einem wiegespräch mit der Kamera, das allein durch gesprochene Wörter so nicht möglich wäre.
Diese Form der Annäherung entstand aus dem Gefühl heraus niemanden mit einem touristisch berechnenden, mit einem auf Motive lauernden Sucher belästigen zu wollen. So ging Maryam Mohammadi mit der Kamera um den Hals durch die Straßen. Und fand sich plötzlich in der Rolle wieder, selbst unaufgefordert bedrängt zu werden: „Snap me“ – so auch der Titel dieser Arbeit.

Rollen- und Straßenbilder.
Im nigerianischen Lagos hat Maryam Mohammadi Müllwagenfahrerinnen auf ihren
Tagestouren rund um die Müllbeseitigung begleitet und ist hier gegen alle Erwartungen auf starke weibliche Persönlichkeiten getroffen, die den Alltag zwischen Familie und Job meistern, die stolz sind auf ihren Beruf und die europäischen Frauen besonders eines voraushaben: Sie verdienen gleich viel wie ihre männlichen Kollegen.
Für den <rotor> und „Die Kunst des urbanen Handelns“ im Annenviertel beschäftigt sie sich gerade mit dem vielschichtigen Soziotop um den Marienplatz – und das Rondo, das seit einigen Jahren einen von Kreativen gezeichneten Hintergrund vor sozialen Einrichtungen wie Marienstüberl oder Danaida bildet. Hier geht es um die Wahrnehmungen des Gegenübers, des anderen – im Stadtraum oder auch hinter den Fassaden der Zugehörigkeit, die ihre ProtagonistInnen aus der gemeinsamen öffentlichen Sphäre in die ihnen bestimmten Bereiche saugen.

Fragmente von Vergangenheiten.
Wie ein leichter Schleier legt sich mitunter auch die Reflexion sozialer oder kultureller Entwicklungen über Maryam Mohammadis Bilder. In „Ishfahan Today and Yesterday“ verschmelzen Gegenwart und Zukunft und mit ihr gängige Klischees von Fortschritt und Zivilisation mit Bildern einer nahen Vergangenheit. Ausgangspunkt ist jener gewaltige Platz inmitten der Stadt Isfahan, der die Bedeutung der ehemaligen Hauptstadt bezeugt. Einem Fundus an historischen Bildern entstiegen, begegnen die Menschen von damals, die den Platz zur Fotokulisse erkoren, in Maryam Mohammadis Bildern all jenen, die ihn heute im Alltag nutzen. Dabei hat sich die umgebende Architektur in den letzten rund 100 Jahren kaum verändert und untermauert mit ihrer stillen Größe jene Frage nach der Zeit, die vergangen ist, nach der Fehlstelle zwischen den dargestellten Momenten, danach, was sich in einem Jahrhundert in einer Kultur verändert haben könnte oder ob die Zeit dem Anschein nach hier für sich entschieden hat inne zu halten.
Auch für die Regionale 10 gräbt die Fotografin in Archiven und im Fundus von alten Abbildungen: Im Eisenbahnerort Selzthal spürt sie den Geschichten rund um einen Bombentreffer im zweiten Weltkrieg nach. Forscht nach Effekten des Krieges, die heute noch sicht- oder fühlbar werden, sucht nach Fragmenten dieses Einschlags in der Geschichte der Stadt und in den Lebensgeschichten der Menschen, um diese vielleicht zu ähnlich eindrücklichen Bildern neu zusammenzusetzen.

www.maryammohammadi.com

| Eva Pichler


MARYAM MOHAMMADI..
wurde 1979 in Teheran geboren; 2002 B.A. in Fotografie, Kunstuniversität, Teheran, Iran; 2005 M.A. in Kunstgeschichte an der Azad Universität für Kunst & Archäologie, Teheran; seit 2009 phD-Studium an der Jan Evangelista Purkyn  Universität (Fakultät für Kunst und Design) in Ústí nad Labem (Tschechische Rep.); 2002 Auszeichnung als beste Fotografin beim International Fadjr Festival - ein Jahrzehnt Theaterfotografie, Teheran; 2003 und 2004 Auszeichnungen als iranische Fotografin des Jahres beim 2. (2. Preis) und 3. Festival (1. Preis) der Vereinigung Iranischer Theaterkritiker, Teheran; 2003 bis 2009 Dozentin für „Fotografie in Technik und Theorie“ an der Azad Universität für Kunst & Archäologie, Teheran; seit 2010 KünstlerInnen-Atelier im Rondo in Graz. Ausstellungen (Auswahl): 2010 Projekt „Women and Waste“ in Nigeria und Benin, TO|YS ON TOUR; 2009 “Umbildung im Bild“, Universität Basel; 2008 “Iran5” im Rahmen der regionale08, Pavelhaus, Laafeld; 2008 “Entlang der Seidenstraße”, ein Interkulturelles Projekt von X-Change, Isfahan und Yazd (Iran); 2006 “Behind the Walls”, Schüppenhauer Galerie, photokina & plan 06 Projekt, Köln und Architekturpavillon der TU Braunschweig; 2005 “Woman” zum Intern. Frauentag, SOAS Universität, London; 2005 Fotogalerie Wien; 2005 Ausstellung mit Morgan Gray, Französisches Fotografen-Künstlerforum, Teheran; 2004 “Teheran in der Sprache des Bildes”, Köln; 2003 “Iranian Theatre Images”, Paris; 2002 “Die Sprache des Bildes im Theater”,
Teheran; lebt und arbeitet in Graz.

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