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Kleiner Kulturführer durch die Krise (III) |
Sonntag, 16. Mai 2010 | |
Keine Neidkomplexe, bitte!
Karl Wimmler, ständiger Feuilletonist des KORSO, hat in jenem Sektor seines überbordenden Archivs gegraben, der mit „Krise“ überschrieben ist – und dabei Fundstücke aus mehreren Jahrzehnten zu Tage gefördert, die wir unseren LeserInnen nicht vorenthalten wollen. Woher kommen die deutschen Soldaten in Afghanistan? – Zur Hälfte, genauer gesagt zu 49,2 Prozent aus der ehemaligen DDR (Bevölkerungsanteil weniger als 25%, Arbeitslosigkeit offiziell großteils über 20%, trotz Massenabwanderung). Man muss nicht auf die Schilder tragenden Verzweifelten von 1929ff. warten: „Suche Arbeit, mache alles“. (Passend für werdende Soldaten: „Verübe Morde aller Art für Kost und Quartier“!). Heute spielt sich der Katastrophenmarkt im Internet ab (ihn darzustellen ist mir zu mühsam; mögen sich Jüngere abquälen!). Seitenwechsel: Was passiert, wenn ein deutscher Betroffenheitsschnösel seine Gedanken in die Ferne schweifen lässt? Er schreibt einen Leitartikel in der liberalen Wochenzeitung „Die Zeit“ und beginnt im vollen Ernst mit den Worten: „Das hätte man am wenigsten erwartet: dass die Wirtschaftsmisere auch den Hunger in der Welt verschlimmert.“ Am wenigsten! „Ohne Krise geht gar nichts.“ Alles weit weg!? – Selbst wer sich hierzulande nicht bei den mehr als 400.000 Arbeitslosen oder der stetig zunehmenden Gruppe der Teilzeitbeschäftigten, sondern nur bei den angeblich „Glücklichen“ mit einem fixen Vollzeitarbeitsplatz umsieht, könnte bemerken: Hier eine Personalreduktion, dort keine Nachbesetzung, immer gereiztere Stimmung in den Büros, Labors, Werkhallen und Konsumtempeln, einerseits gespeist aus der Angst um den Arbeitsplatz, andererseits aus einem nie gekannten Leistungsdruck. Und viele schaffen den Tag nicht, ohne sich die Ohren zuzuhalten, wenn die täglichen Meldungen anrollen: Arbeitslosigkeitsplus, Lohnsenkungsdrohungen, Klagen über Steuereinnahmenminus, in immer kürzeren Abständen Streit um die Krankenkassen- oder Spitälerfinanzierung und vieles mehr. Und man versucht vielleicht auch bewusst nicht zuzuhören, wenn intern aus den Chefetagen Drastischeres zu hören ist, als es öffentlich aus dem Mund von Böhler-Chef Claus J. Raidl klingt: „Wir (gemeint ist die gesamte Industrie; K.W.) haben viele Überkapazitäten, die dürfen nicht künstlich am Leben gehalten werden. (…) Investitionen, Export und Konsum werden nur moderat wachsen (im Klartext: schrumpfen; K.W.). Das wird – leider – zu Kürzungen in Produktion, Dienstleistungen führen.“ – Raidl weist hiemit auch freundlicherweise darauf hin, dass es mit dem Hin- und Herwenden der „Finanzkrise“ nicht getan ist. Wohl sind die zerstörerischen Wirkungen der neoliberal entfesselten Finanzsphäre auf die sogenannte „Realwirtschaft“ beachtlich. Aber verhängnisvoll wäre es, ihren realen Fundus zu ignorieren und die „Realwirtschaft“ schönzureden. Das bestätigte auf seine Art auch der frühere steirische Wirtschaftslandesrat (ÖVP) und nunmehrige Magna-Manager Herbert Paierl: „Ohne Krise geht gar nichts.“ Begleitet wird dieses Trommelfeuer zu guter Letzt dann von obszönen Jubelberichten. „Vom Glück einer Tüchtigen“ titelte beispielsweise die „Kleine Zeitung“ zu einem Ganzseitenfoto auf Seite eins, weil es einer 47-Jährigen ein halbes Jahr davor gelungen war, nach vier Jahren vergeblicher Suche einen Job zu ergattern. Dabei wurde die Information, dass die Arbeit unter dem Notstandshilfeniveau bezahlt wird, in einem Nebensatz des zwei ganze Seiten langen Berichts versteckt. Risiko ja – aber für die anderen. Ich bin ja ein Anhänger davon, die agierenden Personen immer wieder ins rechte Licht zu rücken. Und nicht nur von den Strukturen zu reden. Die eigentlich das Wichtigste sein mögen. Die man aber schwer zu fassen kriegt. Wer aber von Personen spricht, landet leicht auf der Anklagebank unserer famosen Meinungsmacher: „Neidkomplex!“ heißt es dann. (Übrigens der Umkehrmechanismus, wenn es um Mitleid und Forderungen für Arme und Benachteiligte geht: „Gutmenschentum!“) – Sei’s drum. Nehmen wir beispielsweise die ehemalige Schüssel-Vizekanzlerin Riess-Passer. Als Haiders „Susi“ in die Regierung katapultiert, dort den Profithaien, Privatisierern und Finanzjongleuren eine Zeit lang zu Diensten, dann Absprung an die Spitze eines sogenannten „Finanzdienstleistungskonzerns“ – und dort bis Ende 2008 nicht nur „73 Millionen Euro verzockt“ (Der Standard), sondern darüber hinaus einen Jahresfehlbetrag des von ihr geführten Unternehmens (Wüstenrot) von 284 Millionen Euro zustande gebracht. Hut ab! - Die Dame ist natürlich, abgesehen von einem Jahresgehalt von mehr als € 300.000,--, wie alle Hin- und Herrschaften in solchen Positionen bestens abgesichert. Jeder kennt genug Beispiele von Leuten, die mit unvorstellbaren Summen und obszön hohen Pensionszahlungen „abgefunden“ werden und wurden. Und keiner dieser Leute hat sich auf das einlassen müssen, was jedem Normalverbraucher und jeder Durchschnittsfrau gesetzlich und durch gesellschaftlichen Druck angepriesen wurde: Pensionskassen mit riskanter Veranlagung und krassen Verlusten, „Eigenvorsorge“ mit Finanzprodukten, die in erster Linie Spielkapital für Zocker produzieren u.v.m. Was anderes als fixe vertragliche Zusagen schieben sich solche Herrschaften gegenseitig nicht zu. Nebenbei: Selbst beim gesamten von diesen Leuten propagierten Privatvorsorgesystem fällt unter den Tisch, dass eine zusätzliche Umverteilung von unten nach oben stattfindet: Mehr als Hälfte der Bevölkerung verdient zu wenig für das, was als Vorsorge durchgehen könnte, ein Drittel gerade so viel, dass damit höchstens eine kleine „Zusatzpension“ herausschauen würde. Die aber immerhin mit dem Steuergeld aller Staatsbürger gefördert wird. Und dann verbleiben vermutete 15%, die nicht nur die staatliche Förderung bis zum Höchstbetrag von 176 Euro jährlich ausreizen, sondern insgesamt genug auf die Seite legen könnten. Es lebe der Gleichheitsgrundsatz! Apropos Gleichheitsgrundsatz: Die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen in Österreich verdient brutto (teilweise weit) unter 1600 Euro im Monat. Wo Interessen sprechen, erübrigen sich Verschwörungstheorien. „Auf einer internationalen Konferenz von 500 Konzernmanagern und Top-Bankern – der Machtelite der Welt – in San Francisco im September 1995 wurde die unmittelbare globale Zukunft von Arbeit, Wachstum und Wettbewerb diskutiert und vorbestimmt. Dabei wurde von diesen Herren klar und ungeniert zum Ausdruck gebracht, dass es im 21.Jahrhundert eine unfassbare Massenarbeitslosigkeit (…) geben wird, in der nur noch ein Fünftel der Menschen Beschäftigung findet. (…) Der große Rest, die ‚überflüssigen’, wirtschaftlich nicht relevanten 80 Prozent, also vier Fünftel der Weltbevölkerung, solle deswegen aber nicht auf dumme Gedanken kommen. Durch ‚Tittymanagement’, d.h. durch eine Mischung aus betäubender Unterhaltung und ausreichender Ernährung’ solle die frustrierte Bevölkerung der Welt bei Laune gehalten werden“ (Jürgen Bruhn, Der Staat der Manager, Freibeuter 78, 1998). Ich hab ja meine Reserven gegenüber Verschwörungstheorien. Aber jedenfalls ist mir sympathisch, was der großartige bayrische Schauspieler Josef Bierbichler vor drei Jahren dazu geäußert hat: „Meine These ist: Mit der Verschwörungstheorie bin ich immer näher an der Wahrheit als mit der Wahrheit, die mir verkauft wird“ (Die Zeit, 23.11.06). Der im ersten Teil meines „Kulturführers“ angesprochene vergessene österreichische Schriftsteller Rudolf Brunngraber war kein Verschwörungstheoretiker. Er ließ in seinem Roman „Karl und das 20. Jahrhundert“ allerdings Interessen sprechen. Und stellte deshalb auch den fundamentalen Gegensatz der Mächtigen an der Pyramidenspitze gegenüber der Masse der Abhängigen in jenem System dar, dessen oberstes Prinzip die Jagd nach dem Maximalprofit ist. Deshalb wusste er, dass es Verschwörungen der Oberen gegen die Unteren ständig gibt, das Umgekehrte allerdings nur selten. Und er schrieb: „Die Welt des 20. Jahrhunderts (…) liegt in einem beispiellosen Krampf. Sie ist zum Krepieren voll Elend, wobei ihr Reichtum ihr als goldener Mühlstein um den Hals hängt. Sie tanzt wie ein Irrer zwischen den Abgründen ihrer Ordnung der Rockefeller und Taylor, die sich infernalisch ins eigene Gesicht schlägt.“ – Hat sich da im 21. Jahrhundert etwas geändert? (Nicht gekennzeichnete Zitate aus: Der Standard, 10., 18., 23.und 25.7.09, Die Zeit Nr.29/09, Die Presse 6.12.08, konkret Nr.11/2007, )
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