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Im Gravitationszentrum
Sonntag, 16. Mai 2010
Kopfzeile von Martin Novak Die Mächtigen sind am mächtigsten im Geheimen. Das lassen die Medien nur nicht zu. Sie zerren sie an die Öffentlichkeit, Opus Dei, Freimaurer, Gewerkschaften, die Wirtschaft, das Internationale Olympische Komitee, die ’Ndrangheta, die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und Greenpeace. Den „arcana imperii“, den geheimen Praktiken, die den Erhalt über das unmündige Volk sichern sollen, „wird … das Prinzip der Publizität entgegengehalten“, hat schon Jürgen Habermas in seinem „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ konstatiert. Wer die Mächtigen kontrolliert, darf nicht ganz ohnmächtig sein. Daher sind die Medien auch mächtig, ganz besonders die auflagen- und leserstärkste Zeitung des Landes. „Offensichtlich ist die Kronenzeitung … ein potenter innenpolitischer Macht- und Einflussfaktor und repräsentiert das Redaktionsgebäude der Kronenzeitung in der Muthgasse das informelle Gravitationszentrum österreichischer Innenpolitik“, schreibt der Politikwissenschaftler Fritz Plasser (Politik in der Medienarena, 2010): Kanzler und Wahlsieger würden in der österreichischen Medienarena gekürt, sogar Kandidaten für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten nominiert. Richtig, Hans-Peter Martin wurde von der Kronenzeitung 2009 tatsächlich (mehr als) kräftig geholfen, er hat mehr als 500.000 Stimmen bekommen. Man darf das auch nüchterner sehen: Um die 18 Prozent der Krone-Leser haben ihn gewählt, das entspricht ziemlich genau den 17,7 Prozent, die das amtliche Wahlergebnis für die Liste Dr. Martin ausweist. Und dann war da natürlich noch Kanzler Faymann, den ein Jahr zuvor  auch die Kronenzeitung zum selbigen gemacht hat. Bei den Bundespräsidentenwahlen hat das Machen schon nicht mehr so gut funktioniert. Die Nominierung Erwin Prölls, die in Plassers Buch ebenfalls als Beleg für die Medienmacht dient, ist ja mittlerweile widerlegt. Und die Unterstützung für Barbara Rosenkranz hat zum Ergebnis geführt, dass sie laut ISA/SORA-Wahltagsbefragung unter den KroneleserInnen sogar etwas weniger Unterstützung fand als insgesamt. Wobei man der Fairness halber anmerken muss, dass die Hilfe der Kronenzeitung etwas halbherzig war  – die Aufforderung an die Kandidatin, sich von allen nationalsozialistischen Gedanken eidesstattlich zu distanzieren, war ja vielleicht nicht so hilfreich.

Aber selbst wenn man einen kausalen Zusammenhang zwischen den Sympathieerklärungen von Zeitungen für ein bestimmtes Wahlverhalten und dem tatsächlichen Verhalten der Wählerinnen und Wähler als gegeben nimmt, wäre auch die umgekehrte Kausalität plausibel: Die Zeitung setzt sich für jene Kandidatinnen und Kandidaten ein, von denen sie annimmt, dass sie ihren Leserinnen und Lesern besonders ans Herz gewachsen sind. Das hat dann aber nichts mit Machtausübung zu tun, sondern mit Lesermarketing.

Dass die Macht der Medien, Menschen zu bestimmten Handlungen zu bewegen, überschätzt wird, zeigt sich ein bisschen auch darin, dass fast 3,2 Millionen Wahlberechtigte entgegen der Empfehlungen praktisch aller Zeitungen zuletzt nicht oder ungültig gewählt haben. An dieser Überschätzung, so sieht es Plasser, leiden insbesondere Journalisten und politische Eliten. Der eine oder andere mag auch damit kokettieren. Meinte doch der designierte Kurier-Chefredakteur Helmut Brandstätter in einem Falter-Interview: „Ich hab es ja gerne, wenn man mich überschätzt.“ Damit ist er wahrscheinlich nicht allein.
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