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Wendelin Pressl – ein Beobachter und seine Umlaufbahn
Sonntag, 16. Mai 2010
Es sind die kleinen Dinge. „Ich glaube, man sieht irgend-etwas, das man umformen möchte, um so seine Bedeutung zu verschieben“. Das ist die Idee. In der Umkreisung und Umsetzung konveniert sie wie von selbst in ein größeres Ganzes der Auseinandersetzung. Das ist das Feld.

Wenn Feldforschung Beobachtung und Befragung im natürlichen Kontext, im Alltagsleben, über Verhältnisse in der Wirklichkeit meint, so ist es genau dieser Vorgang. Der Spürsinn des Künstlers streckt sich in alle Richtungen. Die Entdeckung eines Phänomens reizt die künstlerische Sammelleidenschaft, seine Umdeutung, das Zerlegen in die Bestandteile und deren Neukombination befördern diese Transformationen ins Kunst-Universum.
Wenn auch das Kategorisieren, die Typenbildung, Gegenstand der Feldforschung ist, ist Wendelin Pressl ein Feldforscher par excellence. Denn es gibt etwas, das sich durchzieht. Zwei Konstanten rund um die Fotografien, Malereien, Zeichnungen, Collagen, Objekte,
Installationen, Videos, Aktionen, die erstaunlicherweise geometrischer Natur sind:
Linie und Kreis.

Das weiße Feld und das Chaos.
Zuerst die Linie: Als landläufiger Zebrastreifen im öffentlichen Raum, dessen Ordnung und Regelbehaftetheit von Wendelin Pressl an die pure Verwirrung ausgeliefert wird, wenn er ein Durcheinander an Streifen vom Experimentierfeld Leinwand auf der Straße anbringt. Oder im Video, wenn ein Passant im konträr zum Bodenbelag gestreiften Sakko für eine wandelnde visuelle Karierung der Straße sorgt. Im eigenen Chaos verstrickt scheinen die Zebrastreifen in den Bildern beinahe wie abstrakte Teilchen im Mikroskop des Künstlers, deren Ordnung es erst zu erforschen gilt. Erste Ansätze gibt es bereits: „Der Kreis und das Feld sind verwandt“ lautet einer der Bildtitel.
Wirrwarr als formaler Kulminationspunkt ergibt sich oft auch sehr zufällig – in gefundenen Strukturen. So ist des einen Hindernis, wenn der Blick in die famose Kuppel des Pantheons mit einem Gerüst verstellt ist, des Pressls Freude, weil genau dieses Moment Gelegenheit zur Observation eines ephemeren Licht- und Schattenspiels bietet.

In Betrachtung der Weltraumbetrachtungsmaschine.
Ähnliche Tragwerkskonstruktionen waren es auch, die Wendelin Pressl nach Effelsberg lockten. Das vollschwenkbare Radioteleskop, entdeckt in einem Buch über technische Wunder aus den 70ern, kann nämlich mit einem einzigartigen Gerüst-Wirrwarr aufwarten. In einer Fotoserie inszeniert er sich als Betrachter dieser Maschine zur Weltraumbetrachtung.

Aber um zu den kleinen Dingen zurückzukommen: Vom Besuch in Effelsberg brachte er auch eine triviale Kostbarkeit mit, die für seine Arbeit umso mehr wiegt. Ein Souvenirtellerchen mit dem Effelsberger Teleskop wird als Apparatur selbst in automatische Drehbewegung versetzt und scheint für sich wiederum den Himmel abzutasten – vom Porzellanschrank aus.

Die Vermessung der Welt. Und doch ist die in Effelsberg eingesetzte Technik objektiver Himmelsbeobachtung für den
Laien kaum nachvollziehbar. Den berühmten Bildern fehlt zum allgemeinen Verständnis ein greifbares Bezugssystem. Für seine Serie vom „Hubble Deep Field“ greift Wendelin Pressl zum Zeichenstift und malt sich seine eigenen interstellaren Bilder, die im Leuchtkasten perfekt in
Szene gesetzt diesen scheinbar objektiven Blick hinaus in die
Tiefen des Weltraums ins Wanken bringen.

Die Arbeit „Delirious“ enttarnt dagegen die virtuelle Bildproduktionsmaschinerie von Google Earth und ihre unangezweifelte Genauigkeit in der Realitätsabbildung, die Häuserfluchten in unperspektivischer Weise zusammenlaufen lässt. Pressl exerziert diesen Irrtum anschaulich im Kartonmodell.
Bei „Airlines“ und „Loop“ war indes die künstlerische Beobachtung noch mit dem freien Auge möglich. Fotos von weißen Kondensstreifen arrangieren den internationalen Flugverkehr zur Kreisform oder kaschieren ihn auf die verkleinerte Kuppel des Pantheons zu einem Objekt, das wie in den Facetten einer Diskokugel den Himmel selbst zigfach zu spiegeln scheint.

Von Circus Maximus und Brot und Spielen.
Ein weiteres Wahrnehmungs-Feld spannt „Circo Maximo“ auf. In Annäherung an die römischen Wagenrennen werden Autos auf der Abbiegespur gefilmt – mit vier Fernsehern, als Kreuzungssituation aufgestellt, ergibt sich so ein stetiges Kreisen und ein ungehöriger Lärm. Im umgekehrten Fall schneidet die Form des „Circus“ sich als Collage in den Wiener Stadtplan.
 
Im Zusammendenken all dieser Arbeiten entstehen universelle Ausstellungsideen und Arbeitszyklen. So nimmt „Luna Park“ als Idee auf das Vergnügungsterrain auf Coney Island Bezug und konstruiert sich mit verschiedensten „Komponenten“ wie Astroland, Waterworld, Rollercoaster oder „Barrel of Love“ zu einem Rummelplatz der anderen Art.
Es gäbe noch viel zur erzählen – zum Beispiel von Brot und Spielen, wenn Spaghetti mit Acrylfarbe zu Mikadostäbchen oder Pizzakartons zu aufklappbaren Triptychen der Fernsehübertragung werden („Panem et Circensis“), von schwimmenden Haiflossen, dem Puzzle-(Turm-)Bau zu
Babel oder den Umwegen, die ein Gerüst als angeblich abgekürzte Zugangsform zur Galerie bedeuten kann („Abbreviation“). Aber vielleicht sehen Sie ganz einfach selbst:  

Zu „Zuschlag“ und „Revue“. In seiner aktuellen Ausstellung erteilt Wendelin Pressl dem Kunsthaus Mürz den „Zuschlag“: Vom Bauzuschlag, der als aufgebrochener „Betonstein“ in seinem Inneren wertvolle Kristallformen birgt und auf die äußert potente Bauindustrie anspielt, bis zum Kalkulationszuschlag, der den geräuschvollen Bühnenauftritt einer Rechenmaschine inszeniert. (bis 23. Mai)
Zur Zeit wäre auch die Installation „Revue“ am Fritz Grünbaum Platz in Wien/Mariahilf zu empfehlen, die bis 15. Oktober als städtebauliche Spiegelung der gegenüberliegenden Stiege im Stadtraum steht. Und als Tribüne und räumliche Dialogsituation, der von Fritz Grünbaum und Karl Farkas etablierten Doppelconférence Tribut zollend. Dass der Kabarettist in Dachau umkommen musste, spielt nicht zuletzt über den drohenden Flakturm auf dieser temporären Stadt-Bühne mit.
Alternativ geht man selbst mit offenen Augen durch die Stadt. Um bestimmte Strukturen zu begreifen und sie gegebenenfalls auf den Kopf zu stellen. Dann werden aus Kränen mit einem Mal Kreuzigungsgruppen mit impliziertem Stoßgebet. „Lieb ’Herr“, bau uns auf. Und Dank sei Wendelin Pressl.

www.wendelinpressl.com

| Eva Pichler

 


WENDELIN PRESSL ...
wurde 1971 in Graz geboren; 1991 – 1993 Meisterschule für Malerei, Ortweinschule, Graz; 1994 – 2000 Studium an der Akademie der bildenden Künste, Wien; 2004 Rom-Stipendium der Kunstsektion des Bundeskanzleramtes; 2005 Arbeitsstipendium am Dachstein; 2006 Budapest-Stipendium der Stadt Wien; 2009 Kunstförderungspreis der Stadt Graz; 2009 „REVUE“, erster Preis, geladener Wettbewerb Kunst im öffentlichen Raum Fritz Grünbaum-Platz, Wien. Ausstellungen (Auswahl):  2010 „zuschlag“, kunsthaus muerz, Mürzzuschlag; 2009 „Luna Park“, Neue Galerie, Studio, Graz; 2009 „The Flavors of Austria“, TAF, Athen; 2008 „ARTmART 08“, Künstlerhaus, Wien; 2008 Galerie Robert Kastovsky, Wien; 2008 „Recent Changes“, Galerie 5020, Salzburg; 2008 „unSICHTBAR“, Kulturverein Deutschvilla, Strobl, Salzburg; 2007„CIRCVS MAXIMVS“, Katalogpräsentation, Theseustempel, Wien; 2007 „kurzfristige einrichtung“, to be continued, Wien; 2007  ViennaFair, Schlebrügge.Editor, Wien; 2006 „Paradiese“, Schloss Aichberg, Stmk.; 2005 „Zirkulationen“, Solodebüt, Minoriten-Galerie, Graz; 2004 „Wand. .Wände. .Wendelin Pressl“, Artothek Galerie Alte Schmiede, Wien; 2003 „MiteinANDERS – Unionen & Separationen“, Kforum vienna, Wien; lebt und arbeitet in Wien.

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