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Jörg-Martin Willnauer: „Wichtig ist, wer Dritter wird“
Dienstag, 13. April 2010
Unaufhaltsam naht die steirische Landtagswahl. KORSO bringt in den nächsten vier Ausgaben ausführliche Interviews mit den SpitzenkandidatInnen der steirischen Landtagsparteien. Den Anfang machen die Grünen, die derzeit drei Mandate im Regionalparlament halten. Sie sind dem (durchaus erfolgreichen) Beispiel ihrer Kärntner Parteifreunde gefolgt und haben mit Jörg-Martin Willnauer einen Kabarettisten zum Spitzenkandidaten gewählt.
Mit Willnauer sprach Christian Stenner Mitte März 2010 – noch vor den Gemeinderatswahlen.

Die Probleme, die sich in der Steiermark derzeit auftun – von der krisenbedingt steigenden Arbeitslosigkeit bis zum Klimawandel – sind keine steirischen Probleme; sie sind österreichische, europäische, globale. Was lässt sich denn da schon auf regionaler Ebene dagegen unternehmen?
Die steirische Landespolitik hat schon Möglichkeiten, positive Änderungen durchzusetzen, z.B. was die Klimapolitik betrifft. Wenn etwa Franz Voves seine Ankündigung aus dem Jahr 2004 wahr gemacht hätte, als er nach einem Vortrag des deutschen Sozialdemokraten und Solarexperten Hermann Scheer erklärte, er werde im Fall seiner Wahl für eine energieautarke Steiermark eintreten, wären wir heute schon sehr viel weiter. Er hätte sich ein Beispiel an Oberösterreich nehmen sollen, wo eine schwarz-grüne Landesregierung mit dem gleichen Budget wesentlich mehr erreicht hat. Die vorbildlichen Initiativen in Gleisdorf oder Weiz sind ja nicht vom Land gekommen, sondern von unten.
Sogar Niederösterreich will bis zum Jahr 2015, also in fünf Jahren, den Strom zur Gänze mit Hilfe von naturnahen, regenerierbaren Energiequellen erzeugen; da ist zugegebenermaßen die zum Teil problematische Wasserkraft dabei. Die Steiermark ist einfach hinten geblieben und hat diese Entwicklungen verschlafen.
Sie haben schon Recht, natürlich kann man sich von den Trends nicht abkoppeln, die Steiermark ist ja keine Isel. Dennoch gibt es auch Spielraum für regionale Initiativen.
 
Sie werfen der Sozialdemokratie Versagen in der Energiepolitik vor. Führen Sie das auf Desinteresse der Akteure an diesem Thema zurück oder –  was noch bedenklicher wäre – auf Lobbys, die eine andere Energiepolitik verhindern? Wenn Letzteres zutrifft: Wie wollen dann die Grünen, die schwächer sind als die SP, die Macht dieser Lobbys brechen?
Das Problem ist: Die Energie Steiermark hat zu viel Macht. Diese Macht muss reduziert werden, und das heißt: Dezentrale Energieversorgung. Die Großprojekte wie Mellach, Voitsberg oder die 380-kV-Leitung, durch die unser Bundesland zu einer Energiedrehscheibe geworden ist, müssen ein Ende finden.
 
Zumindest Voitsberg und die 380-kV-Leitung haben nichts mit der Energie Steiermark zu tun.
Nein, aber zum Beispiel die Mur-Wasserkraftwerke: Da inseriert die Energie Steiermark sehr viel, dementsprechend sparsam fällt die mediale Kritik aus.
 
Auch der Landesenergiebeauftragte hat unserer Zeitschrift gegenüber betont: Wenn der Stromverbrauch weiterhin so ansteigt, wie er es jetzt tut, dann ist ihm lieber, dass die Murkraftwerke gebaut werden als weitere Gas- oder gar Kohlekraftwerke. Hat er nicht Recht?
Die Energie Steiermark ist nicht daran interessiert, dass der Stromverbrauch sinkt, genau deswegen muss auch ihre Macht reduziert werden. Wir müssen zu einer besseren Energieeffizienz gelangen – die Steiermark vergeudet jedes Jahr Millionen von Kilowattstunden durch reine Dummheit und Gedankenlosigkeit. Ich will gar nicht von Sparen reden: Die Energieeffizienz muss erhöht werden, dann gibt es keine Steigerungsraten von 2% im Jahr mehr.
 
Wie soll diese Effizienzsteigerung erreicht werden?
Zum Beispiel durch eine massive Förderung des Landes Steiermark für Wärmedämmung und für zukunftsorientierte dezentrale Energieversorgung. In Hamburg stehen zum Beispiel Schwarmkraftwerke, eine einzelne Einheit findet im Keller eines Einfamilienhauses Platz, zusammengeschlossen bringen sie eine ordentliche Energieleistung zustande und bei Bedarf können sie auch viel schneller rauf- und runtergefahren werden als große Kraftwerke. Die sind auch viel weniger anfällig gegenüber Terroranschlägen.
Die zwei Prozent Zuwachs beim Stromverbrauch müssen auf jeden Fall eingebremst werden – es gibt kein unbegrenztes Wachstum im begrenzten Raum.
Was die Frage betrifft, wie die Grünen die Macht der Lobbys einbremsen könnten: Wir sind im Landtag ein innovatives Element, das auch mit relativ geringer Mandatsstärke etwas bewirken kann, weil sich die anderen Parteien mit unseren Argumenten auseinandersetzen müssen. Wir sind ja die einzige Partei, der es um inhaltliche Fragen, um die Sache geht und nicht um die Durchsetzung materieller Interessen.
 
Das insinuiert, dass es den anderen Parteien nicht um die Sache geht.
Es ist doch interessant, dass die Grünen vom Herrn Stronach nicht gefragt wurden. Dass die Grünen auch von der Industriellenvereinigung kein Geld bekommen. Es ist doch interessant, dass die großen Partei-
spenden an viele Parteien gehen, aber nicht an die Grünen. Und es ist auch interessant, dass die Grünen die einzigen sind, die ihre Finanzierung offenlegen. All das muss man benennen, auch wenn man es nicht verändern kann.
 
Dinge zu benennen, die in der öffentlichen Diskussion gerne unterschlagen werden, ist sicher wichtig. Das ersetzt aber nicht die politische Schwerpunktsetzung.
Meine Schwerpunkte lassen sich frei nach Jürgen Trittin folgendermaßen zusammenfassen: Wir müssen in Klima, Bildung und Gerechtigkeit investieren. Dafür gibt es auch Bündnispartner – zum Beispiel hat gerade die schon angesprochene Industriellenvereinigung ein Interesse daran, dass wir in der Steiermark eine zeitgemäße Bildungspolitik bekommen. Was die Klimapolitik und ihre Umsetzung – z.B. durch ausreichende Wärmedämmung – betrifft, so ist die Bauwirtschaft ein potenzieller Bündnispartner.
Ein weiterer Schwerpunkt meiner Tätigkeit wird der Kampf gegen den Proporz sein. Der Proporz ist ungerecht, Proporz ist nur ein anderes Wort für Korruption. Er mag über vierzig Jahre seine Berechtigung gehabt haben, aber spätestens seit Mitte der 80er Jahre ist er obsolet und schadet inzwischen dem Land extrem. Viele gut ausgebildete, qualifizierte Leute kommen nicht zum Zug, weil  abwechselnd ein schwarzer und ein roter Kandidat die Posten besetzen.
 
Wenn wir schon über Demokratiereform sprechen: Die Steiermark leistet sich Gemeindestrukturen mit unter 200 EinwohnerInnen. Da gibt es Parallelstrukturen, die auch von den Grünen nicht thematisiert werden.
Meine persönliche Meinung ist: 542 BürgermeisterInnen in der Steiermark sind zu viel. Demokratie und Identität können nicht daran hängen, dass ein Ort mit 160 Wahlberechtigten einen Bürgermeister hat. Demokratie ist auch in größeren Strukturen möglich. Mein Verdacht ist ohnehin, dass es da um Macht und nicht um Demokratie geht. Ich bin kein Anhänger eines extremen Zentralismus, weil der ebenfalls viele Nachteile hat, aber was da in der Steiermark passiert, schadet dem Land. Die Zersiedelung ist ja auch eine Folge dieser zersplitterten Strukturen.

Als einen Ihrer Schwerpunkte haben Sie vorhin die ,Gerechtigkeit‘ genannt. Nun sind bereits Einsparungen auf allen Ebenen von Bund bis hinunter zu den Gemeinden angekündigt; die Mindestsicherung, die im September kommen soll, liegt deutlich unter der Armutsgrenze und ist mit extrem strengen Bedingungen verknüpft. Kürzungen im Sozial- und Bildungsbereich sind zu erwarten. Wie soll man auf Basis von Kürzungen zu mehr sozialer Geerechtigkeit kommen?
Gerechtigkeit ist immer eine Annäherungswert. Wer behauptet, absolute Gerechtigkeit verwirklichen zu wollen oder zu können, ist demagogisch.

Auch im Annäherungswert geht die Gerechtigkeit zurück – der gesellschaftliche Reichtum konzentriert sich nach allen vorliegenden Daten bei immer weniger Personen, während z.B. Löhne und Gehälter vor allem im unteren Bereich real sinken.
Ich würde den Begriff Gerechtigkeit etwas weiter fassen wollen. In den letzten 25 Jahren hatten wir Landesregierungen, die großen Firmen und Dampfplauderern Millionenförderungen reingeschoben haben. Da gab’s gratis Grundstücke, gratis Anschlüsse, Steuerfreiheit und so weiter. Bestimmte große Firmen haben die Landespolitik mit dem Arbeitsplatzargument erpresst: Wenn ihr uns nichts gebt, sperren wir zu.
Gerechtigkeit heißt auch, dass Klein- und Mittelbetriebe entsprechend gefördert werden, denn die sind das Rückgrat des Wirtschaftsstandortes. Ein Abrücken von den großen Förderungen für große Firmen ist daher auch ein Ausdruck von Gerechtigkeit; die haben genug bekommen. Zum Teil haben sie ohnehin ihre Zusicherungen nicht eingehalten, was die Arbeitsplatzsicherung betrifft. Mehr Gerechtigkeit bedeutet daher mehr intelligente Förderungen für Klein- und Mittelbetriebe.
Was die soziale Schiene angeht, wird es sehr schwierig werden, weil da in vielen Bereichen das Land bloß zur Durchreiche vom Bund zu den Bezugsberechtigten geworden ist. Die Steiermark hat ein Budget von ca. 5 Milliarden pro Jahr, davon sind  90% durch langfristige Vereinbarungen fix vergeben. Das wird nicht einfach werden.
 
Ja, aber angesichts des Anstiegs der Arbeitslosigkeit um 40% werden die Menschen Lösungen verlangen, da können sich die Grünen nicht drum rumschwindeln.
Das will ich auch gar nicht. Die Schaffung von Arbeitsplätzen geht z.B. Hand in Hand mit unserer Klimapolitik: Wärmedämmung schafft eine Vielzahl an Arbeitsplätzen, da geht es um Milliardenprojekte. Und noch eines: Natürlich dürfen die Einsparungen nicht zu Lasten derjenigen gehen, die ohnehin schon wenig haben.
 
Wird es von den Grünen Widerstand gegen die Sparmaßnahmen geben? Es gibt ja Ökonomen wie Stephan Schulmeister, die sagen, es sei total falsch, schon jetzt die öffentlichen Investitionen wieder runterzufahren.
Ich bin kein Wirtschaftswissenschafter, aber ich würde Folgendes sagen: Das muss man sich konkret anschauen, wenn das Budget für das Jahr 2011 vorliegt.
 
Was hat Sie eigentlich dazu motiviert, Ihre Kabarettistenkarriere an den Nagel zu hängen und in die Politik zu gehen? Und: Was ist Ihr Wahlziel?
Eine wichtige – nicht die einzige – Motivation besteht darin, dass die rechtsextreme Partei, die von Schwarz und Rot schon indirekt zum Königsmacher ausgerufen wurde, nicht das Zünglein an der Waage sein darf. Ich möchte am Wahlabend vor den Blauen liegen – und wenn es nur eine Stimme ist. Über den Landeshauptmann darf keinesfalls eine Partei entscheiden, die nicht über Handschlagqualität verfügt und schon ein Bundesland ruiniert hat. Wenn Rot und Schwarz sich in die Geiselhaft einer Kellernazipartei begeben, dann ist das für die Steiermark ein enormer Schaden. Und dazu ist mir das Land in den vergangenen 29 Jahren zu sehr ans Herz gewachsen. Das möchte ich, wenn ich es verhindern kann, nicht zulassen.
 
Werden Sie Ihren Beruf nach der Wahl weiter ausüben?
Es gibt Landtagsabgeordnete, die gleichzeitig Bürgermeister oder Schuldirektor sind. Die sich in ihrem Brotberuf karenzieren lassen, drei Gehälter einstecken oder noch eine Firma betreiben, das mag juristisch in Ordnung sein, ich halte es für unvereinbar: Die Arbeit als Landtagsabgeordneter ist ja nicht gerade unterbezahlt und sie ist ein Fulltimejob. Also werde ich mir für die Dauer meiner politischen Tätigkeit fallweise noch Benefizauftritte erlauben, aber abgesehen davon, auch wenn’s schwerfällt, meine künstlerische Tätigkeit ruhend stellen. Natürlich werde ich zuhause schreiben und auch Klavier spielen – Musik ist für mich einfach lebensnotwendig.
 
Angenommen, es hängt tatsächlich von den Grünen ab, wer nach der Landtagswahl Landeshauptmann wird, werden Sie sich für Franz Voves oder für Hermann Schützenhöfer entscheiden?
Wer Landeshauptmann wird, ist gar nicht so wichtig. Wir haben zwei konservative Parteien, und ob die rote konservative Partei oder die schwarze konservative Partei den LH-Sessel erringt, ist nicht wichtig – wichtig ist, wer Dritter wird, eine rückwärtsgewandte Partei oder eine Partei, die innovative Lösungen anbietet und transparent diskutiert. Diese Partei wird dann über den LH mitentscheiden und damit auch das rote und das schwarze Landtagsdrittel dazu bringen, innovativ zu werden. Das ist die Frage, die sich im Herbst stellt.
 
Und wenn sich SPÖ und ÖVP doch wieder einigen?
Eigentlich haben beide ja schon angekündigt, sich von FP-Kurzmann wählen zu lassen bzw. haben es zumindest nicht ausgeschlossen. Eine Einigung zwischen Rot und Schwarz halte ich für nicht sehr wahrscheinlich. Und eines ist klar: Bei der SPÖ wird sich nach der Landtagswahl vieles verändern.


Jörg-Martin Willnauer, geboren 1957 in Heidelberg als Sohn einer Pastorenfamilie, lebt seit fast 30 Jahren in der Steiermark. Er studierte Klavier in Heidelberg und Komposition in Graz. Als Kabarettist absolvierte er über 2000 Auftritte, im ORF Steiermark hat er über 1000 Sendungen produziert.

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