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maiö – Das Kollektiv und die Flut
Mittwoch, 10. März 2010
Als FotografInnen-Kollektiv hat sich maiö zusammengefunden, um neben individuellen Projekten gemeinsam auch medienimmanente Problemfelder umzupflügen.

Das Atelier im Rondo, das zwischen 2008/2009 von ihnen bespielt wurde, fungierte gewissermaßen als Initialzündung. Für die Bewerbung hat sich die lose Gruppe, die sich am Kolleg für Fineart Photography & MultimediaArt an der HTBLVA Ortweinschule während der Ausbildung kennen gelernt hat, fix formiert und eine erste konzeptuelle Arbeit eingereicht. Es war eine fotografische „Stille Post“, die im Übertragenen auch für die Herangehensweise an die „Gruppenarbeit“ an sich gelesen werden könnte: ein Bild und ein formulierter Satz wird weitergereicht und jeweils neu interpretiert. Auch in der
gemeinsamen Diskussion über mögliche Projekte läuft es letztlich so ab, dass eine Idee entwickelt, kritisiert und erweitert oder am Ende doch wieder verworfen wird.
maiö ist dabei von ursprünglich acht auf fünf Mitglieder geschrumpft. Drei FotografInnnen gaben geografischen oder zeittechnischen Hinderungsgründen nach und so sind es nun Marianne Borowiec,
Martin Grabner, Sabine Hoffmann, Thomas Raggam
und Maria Schnabl, die weiter gemeinsam agieren.
 

Bilderflut im Internet.
Als Betätigungsfeld wurde relativ rasch eine konzeptuelle Herangehensweise gewählt, die sich vor allem mit den gegenwärtigen Entwicklungen eines Massenaufkommens von Fotos in
digitaler Form anlegt. In diese Richtung zielt auch der Name maiö, der zwar einen fiktiv-phantasievollen Ton aufweist, aber durchaus mit einem
realen Anstoß oder vielmehr „Anschlag“ verbunden ist: eine Referenz zur Medienwelt und zur allzu menschlichen Fehlleistung, die der Umgang mit Maschinen mit sich bringt. maiö entsteht nämlich immer dann, wenn man beim Versuch das Wort „mail“ in den Computer einzutippen „tastaturisch“ scheitert und z.B. mit
maiö.yahoo.de auf Nicht-
information stößt. Immer dann spuckt das System Internet mit Fehlermeldungen um sich, weil maiö eben nicht existiert (hat).
In den letzten beiden Jahren war das Rondo Hauptschauplatz für die maiö-Projekte. Man hat nicht wie üblich die
Arbeitsplätze ins Atelier verlegt, sondern den Raum für gemeinsam entwickelte Ausstellungen und Installationen genutzt. Während die Arbeit „Nasszelle“ noch mit den
lokalen Gegebenheiten spielt, wagt man sich mit „Rauschen“ bereits in Richtung Medien-Materie: Es sind wahre Bilderfluten, die in den digitalen Foto­archiven über einen hereinbrechen können, wenn ungehemmtes Abdrücken zwar die Quantität fördert, die inflationäre Verwendung des Mediums aber zu Lasten eines Bemühens um das einzelne Bild geht. Gleichzeitig ist es unsere Wahrnehmung, die immer mehr abstumpft, nur Oberflächlichkeiten aufnimmt und Details allzu oft ausblenden muss. „Rauschen“ kopiert eine Bilderwoge aus dem privaten Fotoarchiv des Kollektivs und bringt sie in unterschiedlichen Kopierqualitäten eindrucksvoll an die Wand. Das
eigentliche Original lehnt
dabei im Abseits.

Künstlich verkürzter Lebenslauf. Demnach nimmt gleichzeitig mit der Masse die Essenz des rezipierten, fotografischen Bildes stetig ab, visuelle Reize werden flüchtig. „Bleichen“ gibt dazu eine quasi vollautomatisierte „Bildstrecke“ vor: Im fotostudioartigen Ambiente wird der Besucher selbst zum Auslöser einer Installation, fertigt ein Portraitfoto von sich, das automatisch an Computer und Drucker gesendet wird. Das „fertige“ Bild blitzt allerdings nur kurz in der materiel­len Sphäre auf, denn auf die nachvollziehbare Fertigung folgen umgehend ein Säurebad und das langsame Verschwinden des erzeugten Abbilds.

Leere Rahmen, zerlegte Bilder. Von Anfang an ephemere Lichtzeichnung bleibt das Foto in der dritten Arbeit, „Auflösung“ – via Beamer in den Bilderrahmen projiziert und wird im Laufe des Ausstellungsabends sukzessive zersetzt. Auf der Ebene der Objekte passiert eine Retusche, die immer größere Dinge nach und nach auszublenden beginnt, um am Ende nur einen leeren Rahmen stehen zu lassen. Als Simulation der Rezeptionsfähigkeit. Denn wendet man den Blick kurz ab und eine Ebene ist verschwunden, beweist nichts, dass sie je vorhanden war. Ein Bild als kurzweilige Zustandsform. Und die Frage nach einem
visuellen Gedächtnis. Nach dem, was bleibt.

„Gut getroffen“. In einer Portraitserie bildet maiö die reine Manipulierbarkeit ab, präsen­tieren sich nebeneinander scheinbar klare, gut ausgeleuchtete Gesichter der Mitglieder. Mittels Compositing aus verschiedensten Gesichtpartien zusammengewürfelt, überzeugen sie unser Auge dennoch. Vielleicht empfinden wir sie ein wenig „optimiert“, aber jedenfalls durchaus realistisch. Gesichtsfremde Nasen- und Mundpartien werden von unserer Wahrnehmung erst gar nicht demaskiert.

Räume drinnen und draußen. „Raumheit“ nimmt die Verflachung der Perspektive als Reibepunkt und zaubert ein Wohnzimmer als irrealen, weil verkleinerten Eindruck auf Fototapete und Wohnwagen-Innenwand. So mangelt es dem fahrenden Wohnraum zwar an Dreidimensionalität, nicht aber an einer feinen Portion Witz – und die Besucher finden sich in Liliput wieder.
Die Frage nach gültigen Abbildungen wird auch auf den öffentlichen Raum übertragen, wenn die fotografische „Meinung“ der Grätzelbewohner über vordefinierte Guckkästen zu persönlichen Anschauungen der Stadt führen will. Beim Lendwirbel haben maiö so an 20 ausgesuchten Orten mit installierten Löchern den fotografischen Blick diktiert.

Vom Dilemma der Berieselung. Ungehemmte Vervielfältigung, heimliche Verfälschung und leises Verschwinden. Wenn die Fotografie sich selbst zum Thema macht, wird die Wahrnehmung auf die Probe gestellt und die Technik auf die Spitze getrieben. Jean Baudrillard formulierte in „Der symbolische Tausch und der Tod“, dass Bilder heute nicht mehr eine tiefer liegende Realität abbilden, sondern die Realität bereits ersetzen. Einstige Wirklichkeiten wurden durch die Medien längst verwässert. Und maiö regt an: Wenn die Flut naht, ist es Zeit, endlich schwimmen zu lernen.

www.maiö.at

| Eva Pichler

 

MAIÖ ...

sind (v.l.n.r.) Marianne Borowiec (geboren 1984 in Salzburg), Martin Grabner (geboren 1979 in Graz), Thomas Raggam (geboren 1983 in Bad Radkersburg), Maria Schnabl (geboren 1983 in Graz) und Sabine Hoffmann (geboren 1984 in Graz); Fotografieausbildung am Kolleg für Fine Art Photography & Multimedia Art an der HTBLVA Graz – Ortweinschule; Gründung Anfang 2008 aus gemeinsamer Zusammenarbeit im Zuge der Ausbildung; Oktober 2008 – Dezember 2009 Stipendium für Künstlerateliers des Landes Steiermark im Atelier Rondo Graz. Ausstellungen: 2008 „Nasszelle“, photo_graz08, Künstlerhaus Graz; 2008 „Rauschen“, Rondo Graz; 2009 „Vollbepackt mit tollen Sachen“, Atelierpräsentation im Rondo, Präsentation von Einzelarbeiten und den gemeinsamen Arbeiten „Portrait“ und „Bleichen“; 2009 „Meinung“, Street Gallery Lendwirbel; 2009 „Raumheit“, Abbey: die mobile Galerie; 2009 „Auflösung“, Happy B2rthday Rondo, Ausstellung im Zuge des 2. Geburtstages des Rondo, maiö leben und arbeiten in Graz.

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