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„Transparenz“ bei Sozialleistungen: So schürt man eine Neiddebatte
Mittwoch, 10. März 2010

Image Die Diskussion um das von der ÖVP geforderte „Transferkonto“, das alle Sozialleistungen der öffentlichen Hand auflisten soll, wird maßgeblich von einer Studie des Grazer Volkswirtes Franz Prettenthaler beeinflusst. KORSO hat die zentralen Ergebnisse der Untersuchung mit Grazer WissenschafterInnen diskutiert – dabei ist eine Reihe von Ungereimtheiten zutage getreten.

Schon im Oktober des vergangenen Jahres ging die ÖVP mit einer Presseerklärung zu den Sozialleistungen an die Öffentlichkeit: „Fehlende Transparenz“, heißt es da, sei „der Nährboden für jede Neiddebatte“. Und: „Deshalb wollen wir Klarheit schaffen mit einem Konto, das staatliche Beihilfen pro Haushalt zusammenführt und darstellt.“
Der Grund für die erwähnte „Neiddebatte“ liege nun darin, „dass 2,7 Mio steuerpflichtiger Personen keine Lohn- und Einkommenssteuer zahlen. Sie sind jedoch Empfänger vielfältiger sozialer Transferleistungen. Hingegen müssen Personen, die eine gewisse Einkommensgrenze überschreiten, gleichzeitig mit einer steigenden Steuerlast und wegfallenden Transferleistungen kämpfen.“ Das gehe so weit, dass „Familien mit arbeitenden Eltern oftmals über ein niedrigeres Familieneinkommen als Familien ohne Erwerbstätigkeit [verfügen], die aber zahlreiche Beihilfen in Anspruch nehmen.“

Weniger ist mehr? Diese Aussage – ganz offensichtlich als wirksamer Beitrag gegen die Neid-Debatte gedacht – stützt sich auf eine Studie, die der Grazer Volkswirt Franz Prettenthaler im Auftrag des von der Raiffeisen-Zentralbank gesponserten Karl-Kummer-Institutes erstellt hat. Prettenthaler untersucht darin unter anderem die Einkommensverhältnisse von drei Familien, die zwei Kinder im Alter von 10 Monaten und vier Jahren haben, aber über unterschiedliche Bruttoerwerbseinkommen verfügen  (jeweils 950,-, 1.900,- und 3.800,- Euro), wobei er davon ausgeht, dass beide Partner gleich viel verdienen.
Das wenig überraschende Ergebnis: Nach Berücksichtigung der Steuerleistung und der Transferzahlungen schließt sich die Einkommensschere zum Teil – die ärmste Familie hat nach Prettenthalers Berechnungen 2325,-- Euro monatlich zum Leben, die „mittlere“ 2540,-- und die wohlhabendste 3079,--. Die beiden ärmeren Familien haben also durch Transferleistungen netto gewonnen, während die „reiche“ Familie nach Abzug der Steuern weniger zur Verfügung hat als davor, weil die ihr gewährten Transferleistungen geringer sind als in den beiden anderen Fällen. Nicht bewahrheitet hat sich allerdings mit dieser Beispielrechnung die Behauptung der ÖVP, dass Familien, die mehr arbeiten (besser: höhere Löhne und Gehälter lukrieren) am Ende des Tages weniger zum Leben haben als solche, die sich mit zwei Gehältern knapp über der Geringfügigkeitsgrenze zufrieden geben (müssen). Allerdings sind auch solche Fälle denkbar, wie in der Prettenthaler-Studie auch gezeigt wird – das hängt allerdings vor allem mit der Gestaltung der Einschleifregelung des Kinderbetreungsgeldes zusammen, die von ÖVP und FPÖ so beschlossen wurde.

Sonderzahlungen und Steuerreform vergessen. Wie realistisch sind die Annahmen Prettenthalers denn überhaupt? Gerhard Wohlfahrt, Assistenzprofessor am Institut für Volkswirtschaftslehre, Experte für Familienökonomie  und grüner Gemeinderat, geht mit der Arbeit seines Fachkollegen hart ins Gericht: „Die Studie hat drei wesentliche Schwachstellen: Sie ist falsch, operiert mit veralteten Daten und untersucht irrationale Fälle.“ Falsch sei sie, weil sie „wesentliche Aspekte nicht berücksichtigt“: Während etwa jede Menge kleiner Transferzahlungen wie der Zuschuss zu Ferienlager-Besuchen, die nur einmal jährlich anfallen, korrekt auf monatliche Beträge umgerechnet werden, sind die Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) schlichtweg nicht mitgerechnet – „allein dadurch erhöht sich aber der Einkommensunterschied zwischen armer und reicher Familie  um rund 400,- Euro monatlich“, rechnet Wohlfahrt vor. Die Studie sei veraltet, weil sie – obwohl Ende 2009 präsentiert – auf der Rechtslage aus der Zeit vor der Steuerreform beruht, die im März beschlossen wurde und rückwirkend mit 1. Jänner 2009 in Kraft trat: „Durch diese Steuerreform hat sich das Einkommen der wohlhabenden Familie um weitere 300.- Euro erhöht, während die anderen beiden Familien davon nicht profitieren, weil sie ja gar keine Einkommensteuern zahlen.“

1.700.- Euro Einkommensunterschied, nicht 700.-. Irrational seien die gewählten Fälle schließlich, weil „die Auswahl der Modellfamilien keinesfalls der Realität entspricht“, ärgert sich Wohlfahrt. Für die wohlhabende Familie sei das Bruttoeinkommen gerade so gewählt worden, dass es genau über jener Grenze liegt, bis zu der das Kinderbetreuungsgeld ausbezahlt wird. „Natürlich wird jede Familie versuchen, ihre Arbeit so zu gestalten, dass sie sich nicht mit mehr Arbeit schlechter stellt.“ Wenn dann ein Elternteil etwas weniger arbeitet, dafür mehr Zeit mit dem Kind verbringt und der Einkommensentfall mit dem Kinderbetreuungsgeld kompensiert wird, hat die Familie damit genau den Absichten der schwarzblauen Regierung entsprechend gehandelt, die diese mit dem Kinderbetreuungsgeld verbunden hat. Und der reale Einkommensunterschied zwischen der „ärmsten“ und der „reichsten“ Familie steigt mit dem Bezug des Kinderbetreuungsgeldes auf monatlich 1.700.- Euro.
Wohlfahrt ortet noch andere Ungereimtheiten: Die Auswahl der Modellfamilien entspreche in keiner Weise den durchschnittlichen Anforderungen an Realitätsnähe. Was die ärmste Familie betrifft, pendeln beide Partner für ein Gehalt von 450 Euro brutto 30 Kilometer weit, das noch nicht einjährige Kind besucht eine Kinderkrippe, das vierjährige fährt im Sommer auf Ferienlager; die wohlhabendste Familie hingegen macht keine steuermindernden Sonderausgaben wie Lebensversicherung oder Kirchenbeitrag geltend.

Nach drei Jahren droht die Armutsfalle. Die von der ÖVP kritisierte „Ungerechtigkeit“ – die sich im Wesentlichen darauf reduziert, dass Familien mit kleinen Kindern trotz geringem Erwerbseinkommen ein halbwegs gutes Leben führen können – beruht im Wesentlichen auf einer zentralen Transferleistung, dem Kinderbetreuungsgeld, das von der schwarzblauen Bundesregierung 2001 eingeführt wurde.
Da das Kinderbetreuungsgeld maximal bis zum 36. Lebensmonat des Kindes gewährt wird, hört es sich dann aber auch auf mit der Herrlichkeit: Die beiden ärmeren Familien rutschen mit einem verfügbaren Einkommen von 1.140,- bzw. 1.947,- Euro deutlich bzw. knapp unter die Armutsgefährdungsgrenze. Bei der wohlhabenden Familie ändert sich nichts.
Wohlfahrt: „Leistung lohnt sich also – für alle in ähnlichem Ausmaß. Die einzige Ausnahme: Für Personen, die Kleinkinder unter drei Jahren betreuen, lohnt sich schlecht bezahlte Erwerbsarbeit, insbesondere Teilzeitarbeit, nicht, weil diese Personen durch das Kinderbetreuungsgeld und ähnliche Leistungen ein durchschnittliches Einkommen beziehen.“
Insofern verwundert die Kritik der ÖVP in der Tat, sagt doch bereits der Name der Leistung aus, was das Ziel war, das ihre Urheber (eben ÖVP und FPÖ) damit verfolgten: Eltern für eine gewisse Zeitspanne die Möglichkeit zu geben, sich neben oder sogar statt einer Erwerbsarbeit der Betreuung ihrer Kleinkinder zu widmen. „Durch das Kinderbetreuungsgeld wird die Betreuungsleistung der Eltern anerkannt und teilweise abgegolten, gleichzeitig die Wahlfreiheit vergrößert und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf deutlich verbessert“, stellten Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, Familienminister Herbert Haupt und Arbeitsminister Martin Bartenstein in einer gemeinsamen Presseerklärung am 19. April 2001 fest (die übrigens vom damaligen Pressesprecher des Sozialministers, dem jetzigen steirischen BZÖ-Chef Gerald Grosz, unterzeichnet ist).

Wer profitiert von staatlichen Leistungen? Dass die ÖVP nun auf dem Umweg der Kritik an einer von ihr selbst forcierten und beschlossenen Transferleistung mit Hilfe eines „Transparenzkontos“ alle Sozialleistungen durchleuchten und hinterfragen will, ist zumindest pikant. Aber: Angenommen, es gibt wirklich Missbrauch an Sozialleistungen, kann ein solches gläsernes Sozialkonto diesen überhaupt unterbinden? Wenn jemand etwa zu Unrecht Arbeitslosengeld bezieht, weil er schwarz arbeitet oder nicht arbeitswillig ist, lässt sich das ja nicht mit Transparenz verhindern. „Missbrauch kann man grundsätzlich nicht mit einer Transparenzdatenbank stoppen, das ist Unsinn“, sagt auch der Leiter des Institutes für Finanzwissenschaft der Grazer Uni, a.o. Prof. Richard Sturn. „Das einzige, was damit gemeint sein könnte, wäre, dass man angesichts eines sehr stark aufgesplitterten Systems mit vielen Transferinstrumenten bestimmte negative Effekte enthüllt, die eben aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher Leistungen resultieren“ – zum Beispiel die von Prettenthaler monierte falsche Einschleifregelung beim Kinderbetreuungsgeld. Allerdings könne man diese Effekte auch einfach in Modellrechnungen nachweisen – „allerhöchstens könnte eine solche Datenbank dazu dienen, systematischere Erkenntnisse über diese Effekte zu gewinnen.“ Nicht zu unterschätzen sei aber die bereits sichtbare negative Auswirkung der Forderung nach einem „gläsernen“ Transferkonto, nämlich „eine oberflächliche und dümmliche Sozialschmarotzerdebatte“.
Auch Ass.-Prof. Rudolf Dujmovits – ebenfalls Mitarbeiter am Institut für Finanzwissenschaft – hält das von den Propagandisten des Transferkontos angegebene Ziel der Missbrauchsbekämpfung für keines, das mit diesem Instrument verfolgt werden könnte. „Manche Transferleistungen sind vielleicht nicht treffsicher – das hat aber nichts mit Missbrauch zu tun.“ Allenfalls könnte ein One-Stop-Shop, also die Auszahlung aller Sozialleistungen aus einer Hand, der öffentlichen Hand ein klareres Bild über die Einkommensverhältnisse des/der Leistungsbeziehers/in erlauben.
Letztendlich gehe es um nichts anderes, sagt Dujmovits, wie die alte Frage nach sozialer Gerechtigkeit gelöst werden könne – und ob die Umverteilung innerhalb des Staates diesem Ziel diene oder nicht: „Diese Frage nur unter dem Aspekt der Sozialtransfers zu sehen ist eine Engführung. Pauschal lässt sich feststellen, dass die höheren Einkommensschichten von wichtigen und auch teuren staatlichen Leistungen tendenziell mehr profitieren als die unteren. Wenn die Polizei Vermögen schützt, profitieren per definitionem die davon, die eines haben – aber nicht der Obdachlose. Die Kultur­angebote der öffentlichen Hand werden hauptsächlich von Wohlhabenden genützt, das Gleiche gilt für die höhere Bildung.“

Wer Kapitaleinkommen hat, fährt am günstigsten. Und, ließe sich hinzufügen, inzwischen auch für das Steuersystem.
KORSO hat sich den Spaß gemacht nachzurechnen, welches verfügbare Einkommen einer Familie monatlich übrig bleiben würde, deren Mitglieder sich nicht von der Arbeit der Eltern, sondern aus Kapitalerträgen ernähren. Bei einem Kapitalstock von 5 Mio (damit gehören die Betreffenden zum obersten Prozent der Vermögensbesitzer) und einer geschätzten Rendite von 5% ergibt das ein verfügbares Monatseinkommen von EUR 19.222,- , wenn man davon ausgeht, dass die Hälfte der Einkünfte einer Endbesteuerung von 25% Kapitalertragssteuer unterliegt, die zweite Hälfte aber als Kursgewinn steuerfrei lukriert werden kann. Entsprechend den aktuellen Regelungen hätte die Familie auch Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld. Einer ausgezeichnet verdienenden Arbeitnehmerfamilie, die das gleiche Bruttoeinkommen erzielt, bleiben aber „nur“ EUR 12.973,- monatlich; sie unterliegt nämlich dem normalen Einkommenssteuertarif. Ein konstruiertes Beispiel? Mag sein, aber keineswegs unrealistischer als jenes einer Familie, in der jeder Elternteil um 450,- Euro in die 30 km entfernte Stadt arbeiten fährt, während das ein paar Monate alte Kleinkind in einer Krippe betreut wird …


| Christian Stenner

» 1 Kommentar
1Kommentar
am Freitag, 12. März 2010 11:00von A.N.
Lieber Christian, herzliche Gratulation zu diesem gelungenen Artikel!
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