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Armut macht (auch) Grazer krank
Sonntag, 31. Januar 2010
ImageEine neue Untersuchung des Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Medizinischen Universität Graz belegt eindeutig: Je niedriger das Einkommen, desto häufiger treten chronische Krankheiten auf. Vor mehr als zehn Jahren, im September 1998 in Kopenhagen: Auf der 48. Tagung des Regionalkomitees der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden die „Gesundheitsziele für das 21. Jahrhundert“ verabschiedet, darunter auch das Ziel der „gesundheitlichen Chancengleichheit“. Heute ist man selbst in Österreich, dem siebentreichsten Land der Welt, meilenweit von dieser Vorgabe entfernt. Das belegt auch eine Untersuchung der beiden Grazer Wissenschafter Univ.-Prof. Wolfgang Freidl, Vorstand des Instituts für Sozialmedizin an der Grazer Med-Uni, und Willibald J. Stronegger, a.o. Prof. am gleichen Institut, die KORSO exklusiv vorliegt. „Die empirischen Daten für Graz und Graz-Umgebung zeigen: Während in Haushalten der Einkommensgruppe über 1700 Euro Netto-Äquivalenzeinkommen nur jede fünfte Person unter einer chronischen Krankheit leidet oder Einschränkungen durch ein gesundheitliches Problem berichtet, ist in armutsgefährdeten Grazer Haushalten jede zweite Person von diesen Gesundheitsproblemen betroffen“, heißt es in der Einleitung zur Expertise. Auch was das Gesundheitsrisiko Adipositas (Übergewicht) betrifft, zeigt sich für Graz, was internationale Studien längst bewiesen haben: In armutsgefährdeten Haushalten leiden doppelt so viele Personen (14,5%) an Übergewicht als in wohlhabenden (7,1%).

Armut: 14 Jahre weniger Lebenserwartung. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen aus Deutschland weisen zudem aus, auf welche dramatische Art und Weise Armut die Lebenserwartung einkommensschwächerer Menschen vermindert. So beträgt der Unterschied in der Lebenserwartung bei Männern in Deutschland zwischen der untersten und der obersten Einkommensgruppe 14 Jahre, bei Frauen beträgt der Abstand noch immer acht Jahre. Vergleichbare Untersuchungen existieren für Österreich nicht, wohl aber solche, die den Zusammenhängen zwischen Bildungsniveau und Lebenserwartung auf den Grund gehen (wobei zwischen Bildungsniveau und Einkommen nach wie vor ein recht enger Zusammenhang besteht). So haben heute 25-jährige männliche Österreicher, die nur über einen Pflichtschulabschluss verfügen, eine (fernere) Lebenserwartung von 51,1 Jahren, ihre Altersgenossen mit zumindest Matura-Abschluss aber von noch 56,3 Jahren. Stronegger: „Würde man nur die Männer mit Hochschulabschluss zum Vergleich heranziehen, so fiele der Unterschied mit Sicherheit noch deutlicher aus.“ Heute 65-Jährige der obersten Bildungs-Kategorie haben noch 19,3 Jahre zu leben, Gleichaltrige mit Pflichtschulabschluss nur 16,6 Jahre. Bei den Frauen sind die Unterschiede nicht ganz so deutlich, betragen aber bei den 25-Jährigen doch 2,1 Jahre, also etwa 4% von einer noch zu erwartenden Lebenszeit von 59,8 Jahren, auf die gut Gebildete hoffen dürfen.

Entscheidend für die Gesundheit: Lebensverhältnisse, Verhalten und Zugang zum Gesundheitswesen. Dass Frauen und Männer umso häufiger von Krankheit und gesundheitlichen Beeinträchtigungen betroffen sind, je niedriger sozialer Status und Einkommen sind, davon weiß die Wissenschaft nicht erst seit kurzer Zeit. Auch für Österreich konnte der Zusammenhang zwischen Armut und erhöhter Morbidität und Mortalität im Erwachsenenalter bereits mehrfach nachgewiesen werden.
Doch welche Faktoren sind für die höheren Gesundheitsrisiken von einkommensschwachen Personen ausschlaggebend? Abgesehen von genetisch festgelegten Dispositionen nennen die Wissenschafter von der Medizinischen Universität Graz drei wesentliche Ursachen, die entweder gesund oder krank machen: Erstens wird Gesundheit demnach durch die Lebensverhältnisse bestimmt; durch die persönliche Lebensumwelt und die Wohn-, Arbeits- und Verkehrssituation. Zweitens wird Gesundheit natürlich auch durch das jeweilige individuelle Verhalten mitbestimmt – wobei die Art der Ernährung, die Frage, ob der/die Betroffene ausreichend Bewegung hat, aber auch die Bewältigung etwaiger Gesundheitsrisiken wiederum in engem Zusammenhang mit den Lebensverhältnissen und dem bestehenden Gesundheitssystem stehen. Das vorhandene Gesundheitswesen und die Art und der Umfang seiner Leistungen sind der dritte bestimmende Faktor – vor allem aber auch die Zugangsmöglichkeiten zum Gesundheitssystem, im Besonderen für jene, die nicht mit Reichtum gesegnet sind.

Zentrale Faktoren: Bildung und Einkommen. In einem weiteren Schritt untersuchten Stronegger und Freidl die subjektive Lebensqualität, so wurde etwa die Zufriedenheit mit der eigenen Wohnumgebung oder der vorhandenen Infrastruktur abgefragt. Auch in diesem Fall zeigte sich: Die Werte sind umso schlechter, je niedriger das Haushaltseinkommen ist, zeigen doch die Indikatoren für das psychische Wohlbefinden oder die vorhandenen sozialen Beziehungen in den unteren Einkommensgruppen eine Abnahme von bis zu zehn Prozentpunkten im Vergleich zu den oberen Einkommensgruppen. Generell seien die beiden zentralen Parameter für die Krankheitshäufigkeit einer Gesellschaft Bildung einerseits und Einkommen andererseits, erklärt Freidl. „Der Faktor Bildung wirkt sich tendenziell auf das Verhalten aus, der Faktor Einkommen ermöglicht es, auf höhere Ressourcen zurückzugreifen.“ Im Klartext: Gut Gebildete legen mehr Wert auf gesunde Ernährung oder bemühen sich, mehr Bewegung zu machen, ein höheres Einkommen erlaubt die private Konsultation spezialisierter Ärzte, aber auch einen ausgedehnten Wellness-Urlaub.
Wirkt sich die immer stärker aufklaffende Schere zwischen Arm und Reich bereits auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung aus? Einstweilen noch nicht, sagt Freidl, das österreichische Gesundheitswesen sei noch relativ egalitär, ein Abgleiten der Unterschicht werde einstweilen noch durch Transferleistungen verhindert. „Am ehesten ist derzeit der Mittelstand von Verschlechterungen betroffen“, fügt Stronegger hinzu.

Geld macht vieles wett. Alles in allem besteht für die Studienautoren kein Zweifel: Mit einem entsprechendem Einkommen kann selbst gesundheitsschädigendes Verhalten kompensiert werden. „Wenn jemand selbst verschuldet ungesund lebt, aber gleichzeitig über ausreichend finanzielle Ressourcen verfügt, dann können Risiken für die eigene Gesundheit abgefedert werden. Es gibt in diesem Zusammenhang genügend Studien, die zu diesem Schluss kommen“, sagt Freidl. Ein rauchender Millionär hat demnach bessere Chancen, nicht an einem Lungenkarzinom zu erkranken, als ein rauchender Sozialhilfeempfänger. „Wenn das zur Verfügung stehende Gesundheitssystem gut ausgeprägt ist und es auch um das persönliche Lebensumfeld gut bestellt ist, beispielsweise also die Wohngegend nichts zu wünschen übrig lässt, dann kann das individuelle Fehlverhalten leichter kompensiert werden“, ergänzt Stronnegger.

Mangelnde Daten und mangelnde Einsicht. Für ihre aktuelle Untersuchung konnten die beiden Studienautoren auf  Daten der „Österreichischen Gesundheitsbefragung 2006/2007“ zurückgreifen. Ihr Befund beruht auf einer gesonderten Analyse einer Teilstichprobe von 683 erwachsenen Personen über 20 Jahren. „Wir haben von 470 dieser Personen auch Angaben zu ihrem Netto-Haushaltseinkommen zur Verfügung gehabt. Diese Daten wurden in weiterer Folge in vier Gruppen eingeteilt“, erklärt der Mathematiker Stronegger das Procedere. Die oberste Einkommensgruppe umfasst dabei Personen, die über ein Netto-Äquivalenzeinkommen von mehr als 1700 Euro pro Monat verfügen (der Begriff Äquivalenzeinkommen rechnet das Haushaltseinkommen auf die Anzahl der darin lebenden Personen um, wobei Erwachsene und Kinder unterschiedlich gewichtet werden), die unterste Personen mit 600 bis 900 Euro Netto-Äquivalenzeinkommen. Diese unterste Kategorie entspricht dabei jener Personengruppe, die als armutsgefährdet bezeichnet wird, da in Österreich die Schwelle zur Armutsgefährdung für Ein-Personen-Haushalte bei 912,-- Euro liegt.
So aufschlussreich die Ergebnisse der Untersuchung auch sind: Es mangele in Österreich ganz allgemein an Daten, die eine Verbindung von sozialer Lage, Infrastruktur und Gesundheit ermöglichen, klagen Freidl und Stronegger. Grund dafür sei die Vorherrschaft individualistischer und „Lifestyle“-Theorien, was die Ursachen für Krankheit betreffe. Die politisch Verantwortlichen seien überzeugt davon, Änderungen im Gesundheitsverhalten seien ausreichend, den Gesundheitszustand der Menschen zu heben; für die „die große Bedeutung sozialer Bedingungen für das Auftreten von Krankheiten“ gebe es hingegen keine Einsicht.
 | Gregor Stuhlpfarrer,
Christian Stenner

Die Untersuchung „Soziale Ungleichheit und Gesundheit – Empirische Analysen aus Graz“ ist Teil des ersten Bandes der neuen Schriftenreihe „Grazer sozialpolitische Hefte“. Dieser Band, der den Titel „Am Beispiel Graz: Die Armut und die Kommune“ trägt, wird am 11. Jänner 2010 um 18.00 beim Verein ERfA in der Karlauerstraße 16-18 im Beisein von Sozialstadträtin Elke Edlinger präsentiert werden.
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