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LT-Präsident Kurt Flecker fordert „Emanzipation der Landtage“, aber weniger Landesgesetze
Freitag, 18. Dezember 2009
Während der Föderalismus in ganz Europa hauptsächlich unter dem Aspekt von Einsparungen diskutiert wird, will die multikulturelle Vojvodina mehr föderale Autonomie gegenüber Serbien erlangen. Landtagspräsident Dr. Kurt Flecker traf sich im Rahmen einer Landtagsdelegation in Novi Sad mit seinem Amtkollegen Sándor Egeresi, um die im Vorjahr im Rahmen der Regionalen Internationalisierung Steiermark (RIST) beschlossene Kooperation zu vertiefen. Christian Stenner sprach mit Kurt Flecker über die Bestrebungen der Vojvodina, vor allem aber über die aktuelle Föderalismusdebatte in Österreich.

Die Vojvodina, die zu zwei Drittel von Serben, aber auch von Ungarn, Slowaken, Kroaten, Russinen, Roma, Deutschen, Bulgaren und einer ganzen Reihe weiterer Minderheiten bevölkert ist, hatte ja bekanntlich im alten Tito-Jugoslawien ebenso wie der Kosovo einen sehr weit reichenden Autonomiestatus, der erst 1989 unter Milosevic aufgehoben wurde – bezieht man sich bei den aktuellen Forderungen auf diese alten Rechte?
Man muss vorweg sagen, dass die Autonomiebestrebungen in der Vojvodina nicht auf Sezession abzielen, die Menschen wollen vor allem ihr multikulturelles Zusammenleben nicht gefährdet wissen. Die Serben sind natürlich alarmiert durch die Ereignisse des letzten  Jahrzehnts, aber es hat sich die Vernunft durchgesetzt. Es geht in erster Linie um eine Stärkung des regionalen Parlaments, vor allem im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung, und um stärkere finanzielle Autonomie gegenüber der Zentralregierung in Belgrad. Ich hatte auch den Eindruck, dass die Serben in der Vojvodina da mitziehen. Was ich sehr positiv empfunden habe, ist der starke Minderheitenschutz, der auch wirklich gelebt wird – es gibt ja sechs Amtssprachen in der Provinz. Und die ethnischen Parteien wie jene der Ungarn, die vom jetzigen Parlamentspräsidenten Egeresi gegründet wurde, arbeiten mit den nicht-ethnischen Parteien wie den Postkommunisten zusammen. Was alle eint, ist die Ablehnung des serbischen Nationalismus, der aber in der Vojvodina keine besondere Rolle spielt.

Bei uns stellen oft gerade diejenigen, die den Föderalismus in anderen Ländern gestärkt wissen wollen, diesen im eigenen Land in Frage. Andererseits stellt sich natürlich die Frage, wie zeitgemäß der Föderalismus innerhalb eines Nationalstaates ist, wenn sich alle wichtigen Entscheidungen ohnehin auf die supranationale Ebene verschieben. Und: Wie sinnvoll sind unter diesem Aspekt Kontakte zwischen Regionen wie der Steiermark und der Vojvodina?
Ich halte solche Kontakte für sehr sinnvoll, weil ja das Europa der Regionen Teil des Selbstverständnisses der EU ist.
Wir haben aber Probleme im eigenen Land, eine vernünftige Staatsreform umzusetzen, die sich dort auf die Länder stützt, wo sie sinnvoll einzusetzen sind. Das betrifft z.B. im Besonderen den Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung, die demokratisch und föderal organisiert werden muss.
Die zweite Kammer, der Bundesrat, sollte zu einer echten Vertretung der Länder werden, um deren Emanzipation vor allem in finanzieller Hinsicht zu stärken. Das bedingt zum Beispiel ein echtes Veto statt eines nur aufschiebenden – und dass der Bundesrat sich aus Landtagsabgeordneten zusammensetzt. Allerdings müssten die dann zumindest in manchen Materien – wenn es etwa um eine Entschließung von zumindest drei Landtagen geht, die auf eine Gesetzesinitiative abzielt – ihr Mandat als imperatives wahrnehmen, weil die Länderrechte sonst erst recht gegenüber den Wünschen der Parteien ins Hintertreffen geraten.
Auf der anderen Seite sind die Länder viel zu beharrend, was ihre Gesetzgebungskompetenzen betrifft; viele davon sind nicht mehr notwendig.

Welche Landesgesetze könnten zu Bundesgesetzen werden?
Das ist ja teilweise ohnehin schon im Gang: Die Mindestsicherung bedeutet eine Vereinheitlichung der Sozialhilfe-Gesetze, der Jugendschutz, die Jugendwohlfahrt, die Behindertengesetze und Behinderten-Standards gehören vereinheitlicht, aber wohlgemerkt nicht nach unten, sondern nach oben nivelliert.


Viele wollen auch einheitliche Bauordnungen.
Da wär’ ich eher nicht dafür, weil die doch in einem gewissen Zusammenhang mit der lokalen Topografie und anderen regionalen Bedingungen stehen; daher ist auch die Raumordnung für mich ein typisches Landesgesetz. Auch ein Teil der Umweltgesetze oder die Fördergesetze, die ja im Wesentlichen Selbstbindungsgesetze sind, sollten in der Landeszuständigkeit bleiben. Jedenfalls: Eine Menge an Gesetzen könnte zentralisiert werden, im Gegenzug sollte der Landtag in der Vollziehung mitwirken und wesentlich bessere Kontrollrechte haben. Wir kennen ja nicht einmal die Tagesordnung der Regierung; meiner Meinung nach darf es da kein Geheimnis vor dem Landtag geben, außer es geht um echte Datenschutzgründe. Und natürlich muss der Proporz bei der Regierungsbildung endlich abgeschafft werden.
Kurz gesagt: Der Landtag muss gestärkt werden und sich gegenüber der Regierung emanzipieren – wo man wirklich nachlassen kann, ist die Gesetzgebungskompetenz.

Die Föderalismusdebatte wird hierzulande weniger unter inhaltlichen oder wenigstens formaldemokratischen Prämissen geführt, sondern hauptsächlich unter dem Einsparungs-Aspekt, und der heißt in der Brachialvariante: Wir haben zu viele Politiker, die zu viel kosten.
Ich bin ausdrücklich gegen eine Reduktion der Anzahl der Abgeordneten und auch nicht der Regierungsmitglieder, das sind populistische Forderungen, die vor allem die Regionen außerhalb von Graz benachteiligen würden. Im ganzen großen Bezirk Liezen war ich z.B. der einzige Landtagsabgeordnete, dann gab es noch einen Nationalratsabgeordneten; der war aber zumeist in Wien. Wenn die Leute mit ihren Anliegen und Forderungen zu uns kommen wollten, war ich der einzige greifbare Ansprechpartner. Den Menschen in den Regionen auch noch die Abgeordneten wegzunehmen, halte ich für falsch.

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