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Herbert Nichols-Schweiger: Klärender Kultur-Rebell
Mittwoch, 18. November 2009
Eine Plauderei mit der Kultur-Institution Herbert Nichols-Schweiger – der sich mit Jahresende aus dem Landesdienst in die Pension verabschiedet– gerät im Nu zu einem historischen Parcours durch die regionale Kulturszene.

In die Wiege gelegt war dem späteren Kulturjournalisten, -kommunikator, -initiator und -funktionär seine spätere Tätigkeit nicht: Als Bürolehrling hatte er vor über fünf Jahrzehnten seine berufliche Karriere in der Verwaltung des Amnton-Afritsch-Kinderdorfes begonnen, sich dann aber entschieden, die Abendmatura nachzumachen. Als Subsistenzgrundlage für diese Zeit kam da ein Job bei der Bergarbeiterversicherung gerade recht – „und da hat mir der Betriebsrat 1962 unmissverständlich klar gemacht, dass eine Arbeit in diesem Hause ohne Mitgliedschaft bei der SPÖ nicht üblich sei“. Der Logik des Zwangsbeitritts folgend quittierte er seine Mitgliedschaft 1966 umgehend, als er seine Tätigkeit bei der Versicherung beendete.

Von Thomas Bernhard zur NZ. Im gleichen Jahr begann er die Studien der Germanistik und der Kunstgeschichte, trat dem Institutsvertreterzentrum bei, einer unabhängigen Studentenorganisation, und wurde mit Unterstützung des VSStÖ 1969-70 ÖH-Vorsitzender (vor dem nachmaligen FPÖ-Chef Ludwig Rader). Obwohl er bereits an seiner Dissertation über Thomas Bernhard zu arbeiten begonnen hatte, folgte er schließlich dem Ruf des damaligen Kulturredakteurs der „Neuen Zeit“, Manfred Mixner (der später zum ORF und schließlich zum Sender Freies Berlin wechselte) und begann dort als Lokalredakteur zu arbeiten. „Da war ich aber noch ÖH-Vorsitzender, und in dieser Eigenschaft bin ich bei einer Diskussion bei den Minoriten mit dem damaligen (SP-)Bürgermeister Scherbaum in einen Disput geraten.“ Scherbaum intervenierte prompt bei der NZ, und Nichols-Schweiger hätte fast seinen Job verloren.

Telefonische Ratschläge an die Intendanz. 1971 wechselte er dann zur Kleinen Zeitung, wo er unter den beiden zentralen Figuren des steirischen Kulturjournalismus, Karl Hans Haysen und Peter Vujica, zu arbeiten begann – „da fühlte ich mich bestens aufgehoben.“ Vor allem das Gewicht Haysens in der Szene beeindruckte ihn – „der konnte direkt per Telefonat Einfluss auf eine Operninszenierung nehmen.“ Dennoch wechselte Nichols dann ins Politik-Ressort, wo er für Bildungsthemen zuständig war – „wegen meiner kritischen Haltung habe ich aber bald Probleme mit Chefredakteur Csoklich bekommen.“ 1976 führte dann eine Interven­tion eines ÖVP-nahen Universitätsprofessors wegen einer angeblichen Fehlmeldung zum endgültigen Bruch – „da hat dann Peter Vujica versucht einen Job für mich zu finden.“

„Möchte nicht jeden Monat in der Zeitung stehen.“ Im August 1976 stieg Herbert Nichols dann als Nachfolger Gerhard Melzers als Pressereferent beim steirischen herbst ein – und wurde drei Monate später vom damaligen, kürzlich verstorbenen SP-Finanzlandesrat Christoph Klauser ebenfalls als Pressereferent in dessen Büro geholt. „Auf besondere Presse-Betreuung legte Klauser aber wenig Wert“, erinnert sich Nichols: „Er hat mir explizit gesagt: ,Ich will nicht jeden Monat (!) in der Zeitung stehen.‘“ Die Pressekontakte Klausers, so Nichols, beschränkten sich auf jeweils ein Treffen pro Jahr mit den Chefredakteuren der Kleinen Zeitung und der NZ – „mit der ,Krone‘ hat er sich gar nicht getroffen.“ Dennoch war der „Pressereferent“ voll beschäftigt – mit der Erstellung von Kostenplänen für die großen Kulturinstitutionen des Landes, von Prioritätenlisten und Ähnlichem als Entscheidungsgrundlage für die Budgetpolitik des Landes.
Mitglied der SPÖ ist er dann erst in den 80ern unter Sinowatz geworden – „Klauser selbst hat mich gar nie danach gefragt.“

„Ein kulturpolitischer Fehler, der bis heute nachwirkt.“ Bis 1989 betreute Nichols parallel zu seiner Tätigkeit im Klauser-Büro die Pressearbeit des steirischen herbstes – „anfangs wusste ich gar nicht, was ich wirklich verkaufen sollte, da der herbst eigentlich nur eine Subventionsverschiebemaschine zwischen den Kulturinstitutionen – von den Bühnen über die Neue Galerie bis zum Forum Stadtpark – war und es deshalb kaum Eigenproduktionen gab. Das änderte sich erst, als sich der damalige Kulturlandesrat Kurt Jungwirth letztendlich doch zum Intendanzprinzip bekannte und Horst Gerhard Haberl und Peter Vujica ins Direktorium holte.“ Er erinnere sich noch gut an die Auseinandersetzungen zwischen dem Leiter der Neuen Galerie, Wilfreid Skreiner, und Emil Breisach, weil ersterer mehr Projekte im Bereich der Bildenden Kunst, Breisach aber mehr Theaterprojekte forderte.
Was waren die Highlights des herbstes während der Tätigkeitsperiode des damaligen Pressereferenten, was seine Schwächen? „An erster Stelle ohne Zweifel das New-Dance-Festival 1976, als wir erstmals in Österreich zeigten, wohin sich der Tanz international entwickelt. Dann, 1978, der Schwerpunkt zum nonverbalen Theater. Schließlich Horst Haberls berühmte Performances … Und natürlich die Ausstellungen Wilfried Skreiners, der in internationale Netzwerke eingebunden war, die weit über den TRIGON-Raum hinausgingen und die leider nicht ausreichend genützt wurden, um Ankäufe für die Neue Galerie zu tätigen.“
Ab Mitte der achtziger Jahre sei die Kulturpolitik allerdings einer Fehleinschätzung unterlegen: „Man glaubte, dass der herbst etwas Einzigartiges sei, dabei sind ähnliche Festivals in ganz Europa gewachsen. 1985 reifte dann die Idee der Styriarte – man wollte das bürgerlich-konservative Publikum wieder stärker ansprechen. Das hätte man ja auch machen können, dafür hätte aber der Kunstverein ausgereicht. So floss einiges von dem wenigen Geld, das zur Verfügung stand, in die Styriarte statt in die Stärkung des steirischen herbstes.“


Butoh: Das asiatische Pendant zum Aktionismus. Im Nebenberuf zu seinen sonstigen Tätigkeiten war Nichols-Schweiger immer auch als Kulturinitiator tätig – zunächst im Programmbeirat der steirischen Kulturinitiative, dann, ab 1994, als deren Geschäftsführer. In dieser Funktion hat er eine bei uns bis zu diesem Zeitpunkt wenig bekannte Form des Ausdruckstanzes, den japanischen Butoh-Tanz, bekannt gemacht. Wie kam es dazu? „Ich wollte die Kulturinitiative zum Träger innovativen Kulturgeschehens machen, da dachte ich zunächst an elektronische Musik, ich hab’ da auch noch mit Gerfried Stocker darüber gesprochen, das hat sich aber wegen seines Linz-Engagements nicht realisieren lassen; der zweite Gedanke war dann, dass bei uns eine gewaltige Lücke klafft, was das Tanztheater betrifft.“ Der im Japan der Nachkriegszeit entstandene Butoh-Tanz mit seiner weltweiten Verbreitung gilt als asiatisches Pendant zum europäischen Aktionismus der 50er und 60er Jahre. Die Aktivitäten der Kulturinitiative haben dazu beigetragen, dass sich Butoh-Interessierte, die in an Workshops teilnahmen, professionalisieren konnten – von Klaudia Reichenbacher über Diane Granitz bis Andrea Schmidt. Mit dem von ihm herausgegebenen Buch „Butoh – Klärende Rebellion“ schließlich hat Nichols-Schweiger einen weiteren Schritt zur Popularisierung dieser Kunstform in unseren Breiten getan. Zwei Ziele habe die Kulturinitiative immer verfolgt: „Interessierten, die sich keine teuren Kurse leisten können, die Gelegenheit zu geben, mit hervorragenden KünstlerInnen zu arbeiten und sich weiterzuentwickeln – und KünstlerInnen, die unter schlechten Bedingungen arbeiten müssen, eine Chance zu Veröffentlichungen oder Ausstellungen zu geben.“ So konnten etwa Fritz Ganser, Bruno Wildbach oder der früh verstorbene W. W. Anger dank der Initialzündung durch Nichols’ Steirische Kulturinitiative einen Weg in den Ausstellungs- und Galerienbetrieb finden.

Die Ära Flecker.
Als enger Mitarbeiter des im September aus dem Amt geschiedenen Kulturlandesrates Kurt Flecker zieht Nichols-Schweiger eine äußerst positive Bilanz von dessen Amtszeit: „Diejenigen, die Flecker noch immer als eine Art ideologischen Haudegen sehen, haben nicht wahrgenommen, welchen Schub er ins steirische Kulturleben hineingebracht hat und wie stark er auf die Kulturschaffenden eingegangen ist – gleich zu Beginn seiner Amtszeit haben wir uns zwei Monate lang bis zu 12 Stunden täglich mit KünstlerInnen und VertreterInnen von Institutionen und Initiativen getroffen, weil er genau wissen wollte, welche Projekte sie verfolgen, wo es Alleinstellungsmerkmale gibt, wie ihnen am effizientesten geholfen werden kann. In so engem Kontakt mit den Kulturschaffenden ist mit Abstand keiner der fünf Kulturreferenten vor ihm gestanden.“ Er habe sich vehement dafür eingesetzt, dass die Kreativen des Landes auch ausreichende Lebensgrundlagen bekämen. Nichols: „Man kann nur hoffen, dass die Landespolitik auch nach seinem Abgang klug genug ist zu begreifen, dass gemessen am gesamten Budget ein minimaler Betrag für Menschen aufgewandt wird, die sich ohnehin mit wenig bescheiden, wenn sie ihrer kreativen Berufung nachgehen können. Und dass man die Betroffenen nicht als politisch und sozial relevante Gruppe unterschätzt – es geht es um Tausende.“
| Christian Stenner

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