In Hinblick auf den im Dezember stattfindenden UN-Gipfel figurierte der Begriff der Klimagerechtigkeit beim diesjährigen Elevate-Diskurs als zentrales Thema. Die Klimaaktivistin Mona Bricke, die bereits 2006/07 als NGO-Koordinatorin gegen den peinlich abgeschotteten G8-Gipfel in Heiligendamm tätig war, plant und organisiert derzeit mit Hilfe verschiedener Klimaaktionsgruppen Proteste und Aktionen gegen die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen. Sie sprach mit Josef Schiffer für KORSO über den notwendigen Systemwandel, globale Gerechtigkeit und die fragwürdigen Segnungen der „Green Economy“.
Wofür steht der von Ihnen in der Diskussion angesprochene „radikale Systemwandel“? Der Begriff „Whole System Change“ kommt ursprünglich aus der feministischen Forschung und bezieht sich auf den Kampf gegen die wirtschaftliche Ausbeutung von Frauen, denn innerhalb eines politischen Systems, das auf Ungleichheit und Ausbeutung beruht, kann eine echte Gleichberechtigung niemals möglich sein. Auch in Bezug auf die Klimapolitik kann es ohne tiefgreifende Ansätze und Ideen, vom bestehenden System weg zu kommen, keine grundsätzliche Änderung in Richtung einer gerechteren Gesellschaft geben. Wie hängt dieses Konzept mit der Klimagerechtigkeit zusammen? Die Parole der Klimagerechtigkeit entstammt afro-amerikanischen Protesten in den USA gegen eine bürgerliche Umweltschutzbewegung, die nur an ihren lokalen Problemen interessiert war. Gegenwärtig stehen wir jedoch vor weltweiten Herausforderungen, die regional nicht mehr zu bewältigen sind. Globale Gerechtigkeit muss heute einen zentralen Platz im ökologischen Denken haben, weil sonst alle Forderungen leere Worthülsen bleiben. Es kann nicht sein, dass die Reichen es sich guten Gewissens gemütlich machen, während die Armen weiter im Dreck leben müssen. Dasselbe gilt analog für jene reichen Staaten, die wie Deutschland oder Großbritannien ihren Atommüll und ihre Giftabfälle irgendwo in der südlichen Hemisphäre, also möglichst weit weg, verklappen.
Inwiefern äußert sich das im gegenwärtigen Klimaaktivismus? Die traditionellen Umweltbewegungen, die gegen einzelne Projekte gekämpft haben, müssen sich heute neu orientieren. Das Thema Klimawandel hat eine den Planeten Erde betreffende Dimension, die globales Handeln und Kooperieren der unterschiedlichsten Gruppen erforderlich macht. Ein Beispiel dafür ist Climate Justice Now!, das wesentlich von indigenen Bewegungen aus Südamerika und Asien getragen wird. Dadurch wird deutlich, dass unser kapitalistisch-westlicher Lebensstil weder der einzig mögliche noch der beste unter allen bestehenden Gesellschaftsentwürfen ist. Daran haben sich soziale Bewegungen angedockt, wie La Via Campesina, Focus on the Global South oder Klimaschutzgruppen wie die Initiative Gegenstrom. Eine Forderung von Climate Justice Now! besteht darin, dass wir die Produktion von Lebensmitteln und Energie dezentralisieren und relokalisieren müssen. Es geht hier nicht darum, dass wir wieder zur dörflichen Wirtschaft zurückkehren, sondern dass die Machtkonzentration, die heute in den Händen einiger weniger Konzerne liegt, aufgebrochen wird. Erst dann haben regionale Initiativen wieder eine Chance, sich frei zu entfalten.
Wie wollen Sie einen wirksamen Protest gegen den UN-Klimagipfel in Kopenhagen organisieren? Vor kurzem hat sich Climate Justice Now! mit der Plattform Climate Justice Action zusammengeschlossen, die die Aktionen beim Kopenhagener Klima-Gipfel koordiniert. Der Schwerpunkt liegt zunächst auf unserem Aktionstag am 16. Dezember, der unter dem Motto „Reclaim Power! Pushing for Climate Justice“ die Konferenz für einen Tag unterbrechen soll, um die Klimagerechtigkeit dort zum Diskussionsthema zu machen. Auf dem parallel zum UN-Gipfel stattfindenden Klimaforum sollen die Details unserer Initiative präsentiert werden. Unabhängig davon, zu welchen Schlüssen wir hinsichtlich der möglichen Strategien und Aktionsformen kommen, werden wir uns fragen, wie wir am effektivsten zusammenarbeiten können, um möglichst viele Menschen für das Thema zu sensibilisieren. Daneben gilt es, für die Grundrechte einzutreten, denn von Seiten des dänischen Staates sind Gesetze für massive Einschränkungen bei Protesten in Vorbereitung, sodass Menschen ohne Angabe von Gründen bis zu 40 Tage in Haft genommen werden können.
Sehen Sie in der angesichts der Krise gern propagierten Green Economy einen Beitrag zur Lösung der Klimaproblematik? Ich betrachte die Ideen der Green Economy, die ja nicht zuletzt von den Grünen massiv mitgetragen wird, mit sehr großer Skepsis. Erstens stellt sich das Dilemma, dass die Produktion von Hybridautos, Solaranlagen etc. nicht gerade CO2-neutral ist und viele Ressourcen verschlingt, und zum anderen ist es eine eminent soziale Frage, wer sich all diese wunderbaren Errungenschaften zur Rettung der Erde leisten kann. Ich sehe eine gefährliche Entwicklung darin, dass sich die Wohlhabenden auf diese Weise ein gutes Gewissen verschaffen, bestärkt in der Meinung, dass im Grunde alles so weitergehen kann. Es gibt wenige Medien, die das Thema kritisch ansprechen, zum überwiegenden Teil wird etwa die Abwrackprämie als großer Sprung nach vorne verkauft. Es wird uns immer wieder eingeredet, dass wir angesichts der Klimaerwärmung keine Zeit mehr haben und darum stur nach den Vorgaben der Kioto-Protokolle und des Emissionshandels vorgehen müssen. Ich halte das für grundfalsch: wir sollten uns vielmehr die Zeit nehmen, über einen tiefgreifenden Wandel des ganzen Systems nachzudenken anstatt den Zwängen einer von industriellen Interessen und Lobbys gelenkten Politik zu nachzugeben.
Infos: http://www.climate-justice-action.org; http://www.klimaforum09.dk
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