„Un/Organisierte Bewegungen des Erinnerns“ lautet der Untertitel des Symposiums, das am 13. und 14. November in Graz aus Anlass des über 30-jährigen Bestehens des Grazer Arbeitskreises für Psychoanalyse stattfindet.
Mitorganisator Christian Eigner nennt als zentrales Anliegen der Tagung, „wieder einmal die Institutionalisierung der Psychoanalyse zu diskutieren - einfach deshalb, weil gerade die Analyse selbst dieser Thematik gerne ausweicht.“ In diesem Zusammenhang soll übrigens auch die Rolle Igor Carusos (des Gründers des Arbeitskreises) mit seinen Verstrickungen in das Kindereuthanasieprogramm der Nationalsozialisten diskutiert werden.
Funktioniert die Analyse auch im multikulturellen Kontext? Neben den Ansätzen der Selbstreflexion der Psychoanalyse bietet das Symposium jedoch auch Diskussionen und Vorträge zur Rolle der Psychoanalyse zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einer multikulturell geprägten Welt. Im Rahmen einer Psychoanalyse agieren PsychoanalytikerIn und AnalysandIn im Regelfall auf Basis eines gemeinsamen Deutungshintergrundes. Sie teilen eine Kultur innerhalb derer freies Assoziieren und Deutungen stattfinden können. Kann Psychoanalyse auch dann funktionieren, wenn dieser gemeinsame Hintergrund fehlt? Ulrike Körbitz und Gert Lyon, PsychoanalytikerInnen und MitorganisatorInnen des Symposiums, stimmen darin überein, dass sich Psychoanalyse auch zur Behandlung von MigrantInnen eignet. So erklärt Körbitz, dass sich „die Psychoanalyse, insbesonders die Ethno-Psychoanalyse, fundamental mit Fragen der Fremdheit, der Konflikte zwischen Subjekt und Kultur beziehungsweise zwischen familiären und kulturellen Übereinkünften und mit dem Phänomen des „Kulturschocks“ beschäftigt. Lyon betont, dass sich „alle TherapeutInnen, die die schwere und dringend nötige Arbeit mit schwer traumatisierten Menschen auf sich nehmen, mit den kulturellen Hintergründen, aus denen ihre KlientInnen/PatientInnen kommen, auseinandersetzen müssen.“ Die Entwicklung eines gemeinsamen Bezugssystems ist nötig. Körbitz ist in diesem Zusammenhang wichtig, „das Wesen der Migration nicht unter der Perspektive des Mangels, sondern unter derjenigen des mitgebrachten kulturellen Potentials oder ,Reichtums‘ zu begreifen. Hierzu gehört eine Haltung der Neugier des Analytikers/der Analytikerin auf vorhandenes Wissen, auf die jeweiligen Krankheitsvorstellungen in einer anderen Kultur, Heilrituale, Mythen, Erklärungsmodelle für diverse Symptome, kulturelle Spielregeln, Geschlechtsrollen, kulturell bedeutsame Sprechakte, Verwandtschaftssysteme usw.“ Um wirksam sein zu können, sind jedoch, betonen beide, Modifikationen des Settings nötig. Körbitz: „Ein therapeutischer Raum im Sinne des „asylons“ (geschützte Zone, Zufluchtsort) entsteht dann, wenn TherapeutInnen und MigrantInnen, Asylsuchende etc. versuchen, ein gemeinsames Bezugsystem von sprachlichen Übereinkünften, Kenntnissen, Erfahrungen zu entwickeln, das Verständigung erlaubt und in der Folge die transformierende Verarbeitung von manchmal geradezu unerträglichen Spannungen. Der therapeutische Raum wird zu einem „Übergangsraum“, in dem durch die langsame Versprachlichung meist niemals ausgesprochener (traumatischer) Erfahrungen etwas Neues entstehen kann.“ Gerade für MigrantInnen in prekären Lebenssituationen ist die Psychoanalyse damit, so Lyon, „in ihrem radikalen Bemühen um Selbst-Reflexion und für die Befreiung aus selbst verschuldeter Unmündigkeit und als kulturkritische Theorie – aus meiner Sicht – einmalig und durch nichts zu ersetzen.“ So könne die Psychoanalyse „zum Erkennen und Verstehen psycho-sozialer Zusammenhänge, also der Zusammenhänge zwischen individuellem, neurotischem Leid und dem gesellschaftlich produzierten Elend, Hunger, Kriegs- und Ausbeutungsfolgen“ beitragen – wodurch sie zu einem unverzichtbaren Analyseinstrument der Gegenwart wird.
|Johanna Muckenhuber
Das genaue Programm des Symposiums findet sich unter: http://www.psychoanalyse-graz.at/
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