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Geoff Tansey: „Die Ärmsten sind am schwersten betroffen“
Freitag, 16. Oktober 2009
Anlässlich des Elevate 2009 wird auch der britische Autor und Berater Geoff Tansey nach Graz kommen. Mit Gregor I. Stuhlpfarrer sprach er bereits jetzt über die die Folgen der Weltwirtschaftskrise auf das globale Ernährungssystem sowie die möglichen sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Klimaerwärmung. Tansey ist sicher: Ein Umdenken in der Produktion aber auch im Konsum von Lebensmitteln ist unabdingbar, die Folgen der Klimaerwärmung können fatale Konsequenzen haben.

Wie gerecht oder ungerecht sind Lebensmittel im globalen Kontext verteilt?
Sehr unfair. Die Zahl der hungernden Menschen hat die Ein-Milliarden-Grenze überschritten, gleichzeitig ist auch die Zahl jener, die fettleibig sind, auf mehr als eine Milliarde gestiegen. Gerade sehr viele kleine und kleinere Landwirte kämpfen um ihre Existenz.

Was sind die wesentlichen Interessen, wer die potenten AkteurInnen innerhalb des globalen Ernährungssystems?
Da gibt es einmal den immer stärker werdenden Einfluss der Wirtschaft, diese Macht konzentriert sich immer mehr, das heißt es gibt immer weniger Player, die in unterschiedlichen Bereichen des Systems zu immer mehr Macht kommen. Die zentrale Macht, die die Richtung vorgibt, wird am Wettbewerb sichtbar, der unter den einflussreichen Playern stattfindet: Es handelt sich dabei um jene, die für die Erzeugung und Herstellung von Nahrungsmitteln, beispielsweise Treibstoffe, Maschinen, Düngemittel und Pestizide, verantwortlich sind, und auf der anderen Seite jene, die den Vertrieb abwickeln, also die großen Händler und Lieferanten. Schlussendlich sind das all jene, die aus diesem Geschäft einen großen Profit ziehen. Darüber hinaus hat sich in den reichen Nationen ein Landwirtschafts-Modell herausgebildet, das von fossilen Brennstoffen abhängig ist und einer industriellen Verfahrensweise unterliegt.

Was hat sich innerhalb des Systems während der letzten zehn Jahre geändert?   
Da gibt es einmal neue wissenschaftliche Erkenntnisse im Bereich der Biologie zum menschlichen Leben und der Genetik. Zudem spielt hier auch die Weltwirtschaft hinein, so zeigt die Aufnahme von Handelsregeln der Welthandelsorganisation (WTO) natürlich ganz konkret Wirkung. In diesem Zusammenhang muss auch die Ausdehnung von Patentrechten genannt werden, die erst durch das Regelwerk der WTO möglich geworden ist. Was man in den letzten Jahren auch beobachten konnte, ist das Zurückziehen nationaler Regierungen, was die Ausgaben für Forschung und Entwicklung betrifft. Jetzt haben wir eine stärker von Werbung durchsetzte, auf Eigentumsrecht gestützte Situation innerhalb des Systems. Und natürlich ist in den letzten zehn Jahren die Machtzunahme von globalen Händlern stetig angewachsen.

Welche Konsequenzen hat die Weltwirtschaftskrise auf das Ernährungssystem?
Der Zusammenhang zwischen den Energiepreisen, also den Preisen für Öl, Gas usw. und den Preisen für Lebensmittel hat durch die Wirtschaftskrise ein Ansteigen der Preis-Instabilität und schlussendlich auch ein Ansteigen der Lebensmittelpreise bewirkt. Das schlimme ist, dass die Preise vor allem in armen Ländern gestiegen sind. Sie sind am schwersten betroffen.

Geht also durch die Wirtschaftskrise die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinander?
Ja, als Folge daraus steigt die Zahl jener, die täglich hungern. Die Wirtschaftskrise wird auch längerfristige Auswirkungen haben, denn die reicheren Staaten können ihre Vermögenswerte in Krisenzeiten bekanntlich eher steigern, als dies ärmere Staaten können.

Auch Klimaerwärmung zieht Folgen für das globale Ernährungswesen nach sich. Welche Effekte können Sie in diesem Zusammenhang beobachten?
Die Auswirkungen werden irgendwo zwischen gewaltig und katastrophal einzuordnen sein. Das hängt im Endeffekt davon ab, wie schnell und in welchem Ausmaß sich das Klima in Richtung extremer Wetterlagen verändert. Es wird auch darauf ankommen, inwiefern sich die Gesellschaften auf derlei Veränderungen einstellen können. Diese Veränderung des Klimas könnte auch Unruhen hervorrufen, könnte Migration in noch höherem Ausmaß zur Folge haben und zwischenstaatliche Konflikte um Nahrung auslösen. Die globale Ernährungssituation könnte noch viel prekärer werden.

Welche Rahmenbedingungen müssen erfüllt werden, um möglichst viele Menschen weltweit gerecht mit Essen versogen zu können?      
Eine gerechte und nachhaltige Verteilung von Nahrung darf sich nicht an aktuellen Trends orientieren. Erst jüngst wies das International Assessment of Agricultural Knowledge Science and Technology for Development darauf hin, dass es nicht wie gewohnt weitergehen kann. Wir müssen uns in Richtung eines agrar-ökologischen Modells von Landwirtschaft entwickeln. Ferner ist es unbestritten, dass man Probleme wie Mangelernährung nicht dadurch lösen kann, dass man neue Technologien auf den Markt bringt; diese Probleme sind nämlich keine technologischen, sondern vielmehr soziale. Wir müssen den Fortschritt daran messen, inwieweit er dazu in der Lage ist, eine nachhaltige, verlässliche, sichere, ausreichende Ernährungsweise für alle zu produzieren. Das erfordert eine gewisse Vielfältigkeit – nicht nur im Bereich der Landwirtschaft und der Artenvielfalt, sondern auch in sozialer, kultureller Hinsicht und in den Küchen selbst.

 

Zur Person: Geoff Tansey (UK)

Der unabhängige Autor und Berater beschäftigt sich in erster Linie mit Ernährung und Landwirtschaft, mit Fragen geistiger Eigentumsrechte und deren Auswirkungen auf den Welthandel und die biologische Vielfalt. Seit über 30 Jahren setzt sich Tansey für eine Welt ein, in der sich jeder gesund ernähren kann.
Er studierte Bodenwissenschaft, Geschichte und Sozialkunde der Wissenschaft und Technologie an verschiedenen Universitäten in Großbritannien und den USA und war in den 1970er Jahren an der Gründung der wichtigen Fachzeitschrift Food Policy beteiligt. Später arbeitete er an Entwicklungsprojekten im Bereich der nachhaltigen Landwirtschaft in der Türkei, der Mongolei, in Albanien und Kasachstan. Seit Ende der 1990er Jahre kritisiert Tansey das internationale Patentrecht, welches in erster Linie den Interessen mächtiger Konzerne dient und Entwicklungsländer benachteiligt. Er war Berater von internationalen Institutionen, Regierungen und NGOs und veröffentlichte mehrere einflussreiche Bücher. 2008 und 2009 wurde Tansey von der BBC mit dem Derek Cooper Award ausgezeichnet.

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