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Lear Light
Mittwoch, 10. Juni 2009
Das TiB (Theater im Bahnhof), tuned unter der Regie von Lorenz Kabas Shakespeares rätselhafte Tragödie auf „Unternehmen Lear“, eine Kleinbürgerstory herunter. King Lear hat sein Einsternhotel auf vier Sterne hochgebracht, um es anschließend an Goneril und Regan weiterzugeben. Die gute Cordelia scheidet wegen ihrer bekannten Herzensgüte aus dem Kreis der Beschenkten. Ziemlich bald geht der Alte dann den beiden Töchtern auf die Nerven, sie schmeißen ihn raus und später endet die Geschichte wie bekannt mit Giftmord, Selbstmord, Hängen und so weiter. Kabas oder vermutlich das Team haben die 21 Figuren des Originals (plus der hundert Ritter) auf die drei Töchter, den greisen Lear und einen Sänger/Narren reduziert, sich dafür aber eine hochkomplexe Struktur eingehandelt: Da werden Splitter des Originaltextes auf Englisch und Deutsch gelesen, dazu volkstheaterhaft die Altersthematik genau und gekonnt ausgebreitet, zwischendurch gibt´s das ausgezeichnete Banjospiel und Songs, die den Fortgang der Story aber nicht wirklich, wie im Programmzettel versprochen,  ankurbelt. Und zuletzt verwendet die TiB-Truppe die für sie typische „wirkliche Wirklichkeit“, etwa wenn Jacob Banigan mit seinem Akzent entschieden kein Schauspieler, als Narr, Sänger und Erzähler auftritt. Aber vor allem nötigt Kurt Garzaner viel Respekt als Lear ab. Garzaner ist wirklich alt, ein reales „Fundstück“ sozusagen, und die artistische Kaltblütigkeit, mit der er seinen nackten Oberkörper präsentiert, tanzend Restvitalität mobilisiert, zittrige Wut oder Vergesslichkeit zeigt, ist ein beklemmendes in die Theaterfiktion transferiertes Element der Wirklichkeit. Und zu diesen vielen Schichten klagt als Oberton gelegentlich noch ein echter Pfau draußen im Garten … Man muss schon so gut sein wie das TiB, um eine derart schräge Mischung über die Bühne zu bringen. Aber leider geht das Konzept nicht so recht auf. Gewiss, auch Shakespeares Original-Lear „kann nicht loslassen“, nervt mit dem Eigensinn, der Zärtlichkeit und Cholerik alter Leute -  aber das ist nicht das Zentrum dieses großen, absurden Stückes. Andererseits wird am Ende der TiB-Variante nicht wirklich klar, warum sich die Damen Goneril und Regan überhaupt bekriegen. Es fehlt der Sex, also die Männerrollen, außerdem die Adrenalin fördernde Bedrohung durch die Invasion Frankreichs, die blutige Mechanik dynastischer Machtkämpfe.

Rundum einsehbare Bühne. Im TiB geht es eher darum, ob für das Hotel italienische oder österreichische Möbel gekauft werden. Dafür sind die wechselseitige Vorhaltungen der beiden Schwestern „ du hättest auch was sagen können…“, in denen es erst um Krone und Thron geht, dann um alles, was sich so seit der Kindheit abgespielt hat, ein kleines Kabinettstück von Elisabeth Holzmeister (Goneril) und Martina Zinner (Regan). Und Juliette Eröd als Cordelia setzt mit ihrem selbstironischen Eigenlob der guten Cordelia diese heiligmäßige Tochterfigur in ein schönes, schräges Licht. Die rundum einsehbare Bühne (Heike Barnard) , Licht und Technik (Jürgen Geiger) sind in ihrer unauffälligen Perfektion richtig cool. „Unternehmen Lear“ ist eine sehenswerte, interessante Ergänzung zu Konwitschnys „Lear“ am Schauspielhaus, eine echte Alternative kaum.
Weitere Termine: 9. und 10. Juni im TTZ (Beginn, jeweils 20:00 Uhr)
| Willi Hengstler
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