Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Rezensionen
Mittwoch, 10. Juni 2009
Hellmut Flashar: Inszenierung der Antike. / Ballauff et al: FEMALE SCIENCE FACTION RELOADED / Peter Handke: Die Kuckucke von Velika Hoca. Eine Nachschrift. / 69. Wies: Edition kürbis 2009 / schreibkraft 18/2009 / Helmut Schranz: Birnall / Kainrath & Resetarits & StringFizz / Obsession: All we need.

Sach- und Fachbücher


Geschichtsträchtige Dramen

Hellmut Flashar: „Inszenierung der Antike. Das griechische Drama auf der Bühne. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart“. München: C. H. Beck Verlag 2009, 428 Seiten, 34,00 Euro
Der raffinierte Untertitel der Zeitschrift „Transatlantik“ lautete „Journal des Luxus und der Moden“. In Hellmut Flashars ganz ausgezeichnetem Buch „Die Inszenierung der Antike“ lese ich, dass es sich dabei um eine Weimarer Monatszeitschrift zu Goethes Zeiten handelt. Enzensberger hat die Formulierung also dort für die lesende Toscana-Fraktion gefunden. Auch dass Botho Strauss Bocksgesang eigentlich „Tragödie“ meint, habe ich bei Flashar gefunden. Die Lektüre über „Das griechische Drama auf der Bühne“ geht also weit über das Theaterwissenschaftliche hinaus, Altphilologe Hellmut Flashar schreibt, dass der Anteil antiker Dramen zwar nur ca. 2,5 Prozent am Spielplan deutschsprachiger Bühnen insgesamt ausmacht, aber deren Wirkung weitaus größer sei. Auch die Aufführungen von „Medea“, „Antigone“ oder „König Oedipus“ in Graz  zeigte ein überproportionales Echo. Flashar zieht einen Bogen von der ersten Aufführung des Oedipus 1585 in Vicenca bis zum modernen Regietheater und  der gegenwärtigen Aufführungspraxis. Dazwischen liegen frühe Opern wie Glucks „Orpheus und Eurydice“, die überraschend hemdsärmelige „Weimarer Klassik“ oder die Eingemeindung der Antike in den Nationalsozialismus. Immer wieder präpariert Flashar in seiner Rezeptionsgeschichte neben dem theaterhistorischen auch den politischen und geistesgeschichtlichen Aspekt heraus. Außerdem ist die Lektüre eines derart kenntnisreichen, glänzend geschriebenen Buches ein Vergnügen, das viele „aktuellere“, Bücher altmodisch erscheinen lässt. Nur warum der genaue Hellmut Flashar das Theaterprojekt „Mütter“ von Einar Schleef am Schauspiel Frankfurt ignoriert, ist ein Rätsel. Pflichtbuch für Theaterfans.     \ wh

Belletristik


Frauen und Technik abseits von Klischees

Ballauff/ Gartner/ Hofmann/ Nußbaumer (Hg.): FEMALE SCIENCE FACTION RELOADED. Ausgewählte Erzählungen. Wien: Promedia Verlag 2009, 208 Seiten, 15,90 Euro
Die österreichische Physikerin Lise Meitner stand Patin für den gleichnamigen, 1994 gegründeten Literaturpreis, der Autorinnen die Möglichkeit bietet, abseits der gängigen Klischees das Verhältnis von Frauen und Technik neu zu denken. Der nun vorliegende Sammelband beinhaltet die 2003, 2005 und 2007 ausgezeichneten Arbeiten sowie weitere elf Texte von österreichischen, deutschen und Schweizer Autorinnen. Sie bedienten sich der unterschiedlichsten Genres, unter anderem historischen Biografien, Science-Fiction, aber auch Geschichten, die Elemente aus Krimis oder Thrillern mit utopischen Ansätzen verweben, sprachexperimentelle Texte ebenso wie erfrischend humorvolle Erzählungen. Die Texte queren stereotype Eindimensionalität und fördern so den kritischen Diskurs über geschlechtsspezifische Zusammenhänge in den Naturwissenschaften und in der Technik.    \ pm

KORSO verlost in Kooperation mit dem Promedia-Verlag fünf Exemplare des Buches “FEMALE SCIENCE FACTION RELOADED“ beim Kulturquiz unter www.korso.at

Eine Enklave als Idylle

Peter Handke: Die Kuckucke von Velika Hoca. Eine Nachschrift. Frankfurt am Main: 2009, Suhrkamp Verlag, 99 Seiten, 15,80 Euro.
„Es drängte mich, den und jenen einzelnen im serbischen Kosovo ausführlich, sozusagen systematisch, zu befragen, und die Antworten dem entsprechend mitzuschreiben“: So begründet Peter Handke jene Reise, die ihn im Mai 2008 nach Velika Hoča, einer serbischen Enklave im Süden des Kosovo, führte. Dass Handke das selbst macht, dass er selbst berichtet, nachschreibt, hat mitunter mit seiner Aversion gegenüber „Journalisten und Korrespondenten“ zu tun, mit denen er seit der Kritik an seinen pro-serbischen Texten auf Kriegsfuß steht und sie schon mal als „Fernfuchtler“ bezeichnet. Handke hat oft betont, ihm ginge es um die Wahrheit, und wenn er selbst auch immer eingestand, diese nicht zu kennen, so verwehrte sich in der Vergangenheit auch nicht dagegen, anderen – etwa dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag – die Wahrheitssuche prinzipiell abzusprechen. Nun zeigt er selbst, wie man es besser macht und versucht sich „in der Rolle eines Reporters oder meinetwegen Journalisten“. Und wenngleich Handkes Sätze in gewohnter, verzückender Ästhetik konzipiert sind, so erinnert dieses Buchlein inhaltlich nicht an des Autors Anspruch in Richtung eines Journalismus inklusive sämtlicher Objektivitätsauflagen, sondern vielmehr an das Reisetagebuch eines/-er Studierenden im zweiten Studienabschnitt. Seine zu Papier gebrachten Eindrücke sind persönlich gefärbt, lassen mitunter Distanz vermissen und zeichnen vor allem das Bild einer Idylle samt „Myriaden kleiner lila Schmetterlinge“, „wunderschöner Weinberge“ und „Weizenfelder“. Handke möchte vom Leben jener erzählen, die zurückgeblieben und entrechtet sind, nachdem sie nach dem Ende des NATO-Bombardements von der eigenen Armee „völlig alleingelassen“ wurden. Diesem Anspruch wird er in gewohnt feinsinniger Herangehensweise gerecht. \ gis

Zeitreise.

69. Wies: Edition kürbis 2009, 170 S., 14,90 Euro
Zufällig war das Jahr, in dem an einem unbekannten kleinen Ort in den USA 400.000 Menschen zusammenkamen, um ihre Idole aus der Nähe zu erleben, auch das Jahr der ersten Mondlandung. Und es trifft sich, dass jene, die damals jung bis jugendbewegt waren, heute endlich so alt sind, dass sie abgeklärte Blicke auf jene Epoche werfen können  (und zum anderen noch nicht so gaga sind, dass ihre Reflexionsfähigkeit getrübt wäre). Und dann gibt es auch noch jene Spätergeborenen, in denen der Mythos Sixty-Nine weiterwebt. Beide Spezies hat Wolfgang Pollanz für seine edition kürbis eingeladen und eine feine kleine Anthologie zusammengestellt. Die BeiträgerInnen: Peter Glaser, Franzobel, Wolfgang Pollanz, Willi Hengstler, Andrea Stift, Austrofred, Wolfgang Siegmund, Günther Freitag, Andrea Wolfmayr, Werner Schandor und Ernst Marianne Binder. Zum allergrößten Teil haben die AutorInnen übrigens der naheliegenden Versuchung widerstanden, sich ausschließlich auf die Suche nach der eigenen Jugend zu begeben; den Bogen zwischen damals und jetzt spannt am perfektesten Willi Hengstler, der uns auf seiner Suche nach den Covergirls von Hendrix’ Masterpiece „Electric Ladyland“ mit Sixty-Feeling in ein Roadmovie des 21. Jahrhunderts mitnimmt. Das wär’ ein Film!    \ cs

„Genug“ …

schreibkraft 18/2009, 84 Seiten, 6,00 Euro
sagten sich die Schreibkraft-Herausgeber nach einer heißen und ergebnislosen Diskussion über die Themen der nächsten Ausgabe – und riefen folgerichtig unter diesem vielseitig interpretierbaren Motto zur Teilnahme an der nun vorliegenden Ausgabe auf. Julian Blunk enttarnt die TV-Castingshows (die just dann boomen, wenn die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schnellen) als ideologische Waffe in den Händen der Herrschenden: Wer willensstark und ohne Zweifel ist, kriegt den besten Job, wird da vermittelt. Clemens Marschall liefert eine kundige Beschreibung der ur-amerikanischen Sportart „Wettessen“, die inzwischen auch in Japan Fuß gefasst hat. Bernhard Horwatitsch rät der Menschheit, die Bestleistungszwänge endgültig abzustreifen. In einem ausgezeichneten und informativen Beitrag erklärt Harald A. Friedl die Zusammenhänge zwischen der Entführung eines Salzburger Ehepaares in der Sahara und dem Kampf der lokalen Bevölkerung gegen internationale Konzerne wie die französische COGEMA, die das in der Region vorkommende Uran ohne Rücksicht auf deren Gesundheit und ökonomischen Interessen (und in Kooperation mit den lokalen Regierungen, v.a. des Niger) ausbeuten. Immer stärker engagieren sich v.a. die USA im „Kampf gegen den Terrorismus“ in der Sahara- und Sahelzone: Dort liegen die zentralen Erdölfelder Afrikas. Individualreisende geraten da in Gefahr, zur „Besetzung der Hauptrollen im medialen Spektakel einer Terrorinszenierung“ genutzt zu werden. Roland Steiner begibt sich auf die Spuren der immer mehr zunehmenden rechtsextremen Gewalt in Italien. Adelheid Dahimène beklagt das Ende eines österreichischen Nationalheiligtums, der Virginier-Zigarre. Günter Eichberger hat genug von der Arroganz von Eliten-Angehörigen, die Künstlern raten, sie sollten Brotberufe ergreifen, während sie selbst für Minderleistungen fürstlich bezahlt werden. Thomas Eder beklagt die Entpersonalisierung von Musik durch das digitale Überangebot. Stefanie Lehrner muss feststellen, dass es trotz aller aktuellen Bescheidenheits-Appelle „irgendwie fad“ ist, wenn man keine Bedürfnisse mehr hat. Thomas Laessing hat genug von seinen E-Mails. Die Schreibkraft-Lese- stipendiatin Beate Tröger gesteht: „Lesen ist wirklich nützlich, nur auf andere Weise, als ich früher geglaubt habe“ – und Anne Kramers begibt sich auf den Weg ins Innere von T. E. Lawrence. Genug da für einen vergnüglichen Leseabend.   \ cs

Unter der Haut.

Helmut Schranz: Birnall. Klagenfurt: Ritter. 132 Seiten, 13,90 Euro
Helmut Schranz, der Mann, der ganz zentral fürs Zustandekommen der vielen umfangreichen Ausgaben der Grazer Literaturzeitschrift „perspektive“ verantwortlich ist, hat nach zehn Jahren wieder ein größeres eigenes Opus herausgebracht: „Birnall“, versichert er uns, hat er im Tempo von fünf Seiten pro Jahr vorangebracht; der erste Satz wurde 1987 geschrieben. Und so geriet „Birnall. Es ist unter der Haut“ zu einer geschichte-freien, aber beileibe nicht geschichtslosen
furiosen Bestandsaufnahme vom Leben um die Jahrtausendwende, in dem sich Reflexion und Darstellung im Sprachspiel mischen: „Nichts ist in mir, das nicht durch die Sinne hineingekommen wäre“, behauptet der Protagonist Paolo. Erinnerungsfetzen aus dem Leben des Autors (darin spielen das im Zuge des Abrisses des Grazer kommod-Hauses mit vernichtete Szenelokal „triangel“ und dessen Kellnerinnen eine wichtige Rolle) wechseln mit aktuellen Szenen, etwa der Beschreibung elektronisch vermittelten Liebesglücks – „Hingebungsvoll und echtortsimultan, Pommes-majo / im Chatroom, Gefährt/innen/geviert / Avatarium, Screenings“. Und mitten im Staccato der Wahrnehmungen finden sich so wunderbare Sätze wie: „Der Intellekt bietet eine der Möglichkeiten, mit allem Möglichen nicht fertig zu werden.“ Schranz’ Birnall schöpft sein Tempo aus dem Futurismus, seine Lust am Sprachspiel aus Dada, seinen Rhythmus und seine Riffs aus der Beatlyrik und seinen Hang zum Aphorismus direkt von Georg Christoph Lichtenberg. Kein Lesestoff für Liebhaber postmoderner G’schichterldruckerei und steriler Kopfgeburten!   \ cs


Musik


Nice Work.

Tini Kainrath & Wilhelm Resetarits &StringFizz: „I got rhythm – wos brauch I mea“.
Fast hat man den Eindruck, dass Willi Resetarits es als Befreiung empfindet, dass er den Ostbahn-Kurti-Anzug endlich in den Schrank hängen konnte: Nahezu staccatoartig kommen neue Produktionen auf den Markt, und sie haben eines gemeinsam: Sie sind swingend, rhythmusbetont, melodisch … und entfernen sich zunehmend vom Rock. Nach dem „Stub’nblues“ hat Willi nun einen tiefen Griff in die (amerikanische) Musikgeschichte getan und interpretiert nun – gemeinsam mit Tini Kainrath und dem StringFizz-Streichquartett in „I got rhythm – wos brauch I mea“  niemand Geringeren als George Gershwin. Und weil er es für sinnlos hält, dass „ein Wiener und eine Wienerin … Opernarien in einer von Weißen erfundenen amerikanisch-englischen Mundart der schwarzen Slumbewohner von Charlotte, N.C. der 1920er Jahre singen“,  verlegt er die Szenerie in die Wiener Vorstadt und singt im Wiener Dialekt! Resetarits: „Damit dienen wir den Intentionen der Gershwins besser und auch das Publikum versteht besser, worum es geht.“ Genau, ned schlecht wauns afoch so geht – Nice Work If You Can Get It!   \ cs


Obsessive Perfektion.

Obsession: All we need.
Kommerz zwischen Pop und Mainstream-Jazz? Wenn Musik so perfekt und dennoch mit der nötigen Emotionalität daherkommt wie auf dem ersten „echten“ Album der multinational besetzten, aber in Graz verwurzelten Band „Obsession“, vergessen wir gerne Schubladisierungen. Die Crew rund um den Old-Stoariegler-Dixieland-Band-Gründer Johannes Hödl bietet Hörgenuss von Track One bis Track Nine – darunter immerhin zwei Eigenkompositionen („All we need“ – auch als Single erhältlich – und „Obsession“). Tipp: Die zwei Manhattan-Transfer-Stücke „Route 66“ und „Trickle, Trickle“ swingen teuflisch – die müsste man auch mal live hören. Und dazu gibt’s immer wieder Gelegenheiten: „Obsession“ sind ja, sagt man, die meistgebuchte Gala-Band Österreichs.    \ cs
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