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Grazer Grüngürtel: Spießrutenlauf im Thujentunnel
Mittwoch, 10. Juni 2009
Graz bleibt grün – aber nur für die, die sich’s leisten können. Das ist einer der Schlüsse, die sich aus einem Projekt an der Architekturfakultät der TU Graz ziehen lassen. Vielleicht sind die Grazer ja betriebsblind“, fragt sich die aus Deutschland stammende TU-Professorin am Institut für Stadt- und Baugeschichte, Simone Hain, „aber wenn man hier zuzieht, schockiert der Wahnsinn am Stadtrand. Gibt es keine Stadtplanung? Sogar auf den Hügeln von San Francisco existiert eine klare Grenze zwischen Bauland und Natur.“
Seit Hain selbst in einem Haus am Ruckerlberg wohnt, erlebt sie hautnah, wie sich private Interessen gegenüber den öffentlichen durchsetzen: Rundherum wird auf den Parzellen „nachverdichtet“ – was seit der letzten Raumordnungsnovelle erleichtert wurde –, kleine Wälder werden für Bauvorhaben gerodet („innerhalb der städtischen Grenzen genießt Wald keinen Schutz“) und im Zuge des Wildwuchses wurden inzwischen nahezu alle alten Fußwege, die den Übergang zwischen den Tälern des Grazer Ostens ermöglichten, von Privateigentümern blockiert. In der unmittelbaren Umgebung ist es nicht besser: „In der Ortschaft Rastbühel stand bis vor kurzem ein triumphales Schild mit der Ankündigung: ,Baubeginn im Naturschutzgebiet‘.

Private Gründe. Der Ärger und die Enttäuschung darüber, wie Graz mit seinen natürlichen Schätzen umgeht („Die traumhafte landschaftliche Lage hat Graz in der Vergangenheit viel Ruhm eingetragen“), veranlasste Hain, im Rahmen ihrer Lehrtätigkeit gemeinsam mit den Lehrbeauftragten Marion Starzacher und Franziska Schruth ein Projekt unter dem aussagekräftigen Titel „Private Gründe“ zu starten. In einer ersten Phase durchkämmten Studierende die drei Gebiete Ruckerlberg inklusive Ries und Ragnitz, Andritz und Wetzelsdorf und versuchten herauszufinden, wie öffentliches und privates Interesse sich in der Bebauung, in der Landschaftsgestaltung und in den Wegbeziehungen wiederfinden.

„Null Aussicht. Riesenhecken.“ So machten sich Studierende auf eine Fact Finding Mission vom Landhaus Jöbstl in der Rudolfstraße über Schloß Lustbühel zum Rastbühel und die Ragnitz zurück. Ihre Aufzeichnungen lesen sich wie das Tagebuch einer Expedition in eine Gefängniskolonie und passen so gar nicht zum idyllisierten Bild, das gerne vom Grazer Grüngürtel gezeichnet wird: „Weg am Ruckerlberg: Alles ist umzäunt. Tausende Privatwege und Sackgassen. Keine Fußgänger auf der Straße, nur kleine Reste von Kulturlandschaft … Waltendorfer Hauptstraße: Sehr laute Straße. Versuchen Weg abseits der Hauptstraße zu finden – alles endet in Sackgasse und privaten Grund. Null Aussicht. Riesenhecken. Sind gezwungen auf der Straße zu gehen. Viele Privatwege zweigen ab. Befinden uns im Thujentunnel.“ Mehrfach werden die ExpeditionsteilnehmerInnen beinahe überfahren, weil sie auf gehsteiglosen Straßen gehen müssen, alle (früher in großer Zahl vorhandenen) Durchgänge sind nun Privatwege und gesperrt. Immer wieder heißt es: „Kein Durchgang, abgesperrte Wege, Sackgassen“. Beim Versuch, den einstmals offenen Weg über den Birkenhang zwischen der Rudolfstraße und dem Bezirkssportplatz am Ragnitzbach zu nehmen, wurden die StudentInnen von einer Eigentümerin mit dem Hund bedroht.

Wetzelsdorf: Gut gelaunte Menschen.
Ganz anders, berichtet Hain, sei die Situation in Wetzelsdorf: Dort existiert noch eine Vielzahl alter Wege den Ölberg hinauf und quer zum Schloss St. Martin hinüber. „Das Gebiet ist für Fußgänger sehr gut erschlossen, ohne deprimierende Sackgassen, alles durchgängige Wege mit vielen Variationen und gut gelaunten Menschen“, notieren die Studierenden. Woran das liegt, kann Hain nur vermuten; dass die soziale Zusammensetzung der Wohnbevölkerung – in Waltendorf und Ries klein- bis großbürgerlich mit vor allem im Bezirk Ries einem starken bäuerlichen Substrat, in Wetzelsdorf eher proletarisch – damit zu tun haben könnte, dürfte nicht ganz von der Hand zu weisen sein. Und: Auch der Grazer Osten bleibt grün – aber nur für die, die sich Haus und Grundstück im Grüngürtel leisten können. Die anderen – Spaziergänger, Freizeitsportler, spielende Kinder – werden zunehmend ausgesperrt.
Hinnehmen will Hain diese Entwicklung nicht: „Graz hat ja schon einmal, mit dem Altstadterhaltungsgesetz, eine wichtige Vorreiterrolle in der Raumplanung gespielt. Noch hat die Stadtpolitik die Chance, auch in den Außenbezirken Lebensqualität zu sichern.“
Vielleicht können Politik und Stadtplanung dabei auch Anleihe bei Hains Studierenden nehmen – denn die werden am 23. Juni um 17 Uhr in der Alten Technik, Rechbauerstraße 12, ihre „Utopien für ein grünvernetztes und barrierefreies Graz “ vorstellen.

|Christian Stenner
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