Radetzkymarsch, Die Liebe zu den drei Orangen |
Mittwoch, 13. Mai 2009 | |
Fußfrei – Theatertrips und -tipps - von Willi Hengstler Dass die Vereinigten Bühnen zu Beginn der Radsaison dieses fabelhafte Finish ihrer Spielsaison 08/09 hinlegen, hat auch seine Nachteile. Radetzkymarsch Gute Kritiken machen immer mehr Arbeit, als Verrisse. Aber Ingo Berks Bühnenadaptierung von Josefs Roths berühmten Abgesang auf die Donaumonarchie „Der Radetzkymarsch“ ist gegen Glamour und Aufwand („Baumeister Solness“, „König Lear“) Überraschungssieger geworden. Dabei verzichtet Berk auf all die faden Überwältigungseffekte mit denen sich das Theater so gerne beim Kino anbiedert. Statt dessen schafft er Intensität, Transparenz und setzt auf hervorragendes Spiel. Berk kondensiert den Roman, in dem Roth Zerfall des Habsburgerreiches mit der langen Regentschaft Kaiser Franz Josefs und der Geschichte der Familie Trotta synchronisiert, in eine pure Theatermetapher vom Verrinnen der Zeit und K&K-Melancholie. Wobei das magisch abstrakte Bühnenbild von Damian Hitz viele Bedeutungen atmosphärisch in Schwebe hält. Eine einzige lange Welle nach oben hin zum Bühnenhintergrund, in der Mitte Gleise mit einem Wagen für den Abtransport der Toten, darüber ein parallel geschwungener Plafond aus matten Lichtflächen. Bahnhof? Weite des Horizontes? Verlorenheit? Der Held von Solferino, Großvater des Protagonisten, rettet Franz Josef in der gleichnamigen Schlacht das Leben. Generationen später bringt es sein traumverlorener Enkel zu einer unspektakulären Leutnantskarriere. Er fällt im WK I; und auch sein steifer Vater, ein Bezirkshauptmann, stirbt fast im gleichen letzten Atemzug, wie der greise Kaiser. Gerhard Balluch, stets am besten, wenn er nicht den schönen Mann spielen muss, bietet die beklemmende Studie eines Mannes, dem mit seinen Prinzipien die ganze Welt zerfällt. Und „der Trotta“ von Claudius Körber wird, ganz präsent in seiner halben Anwesenheit, mit seinem verlegenen Lächeln zum Drehpunkt des Abends. Wobei diesem Verlorenen, der das Unspektakuläre zum Genialen macht, ein vorzügliches Ensemble gegenüber steht. Ob Bettina Lohmeyer in den großen Frauenrollen, Dominik Warta als Graf Chojnicki oder Otto David als überzeugender Diener bzw. Kaiser. Weniger gelungen sind die militärischen Rituale Momente dieser ansonsten großartigen Aufführung. Franz Solar, Alexander Knaipp, Julian Greis performieren „das Zivile“, als Militärs walzen sie, anders als die stimmungsvolle Blasmusik das Komische platt. Aber wie heißt es? Großes Theater braucht die kleinen Fehler. Die Liebe zu den drei OrangenEin Kinderbuch, eine Comic-Oper, ein höherer Unsinn, eine Lektion in raffinierter Einfachheit, in der das Märchen auf die Postmoderne trifft – das und noch viel mehr bietet Sergei Prokofjews „Die Liebe zu den drei Orangen“, im Gastspiel der Komischen Oper Berlin in Graz gibt.Dem Publikum bietet sich ein Triumph des Visuellen und ein kluges Vergnügen, heiter und rein wie die Farben der Kostüme von Mechthild Seipel. 1921 baute Prokofjew in Chicago das Comedia dell´arte Stück des Venezianers Carlo Gozzi aus dem 18. Jahrhundert 1921 für seine dritte Oper zu einem klassischen Werk der Moderne voll Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung aus. Im Vorspiel der vieraktigen, überaus unterhaltsamen Oper halten die Tragischen, die Romantischen, die Komiker und die Hohlköpfe, als „unsichtbare Ideen“ ganz in Weiß einander zwei Meter hohen Folianten entgegen, ehe die Geschichte um den an Melancholie erkrankten Prinzen beginnt. Der liegt dann als sein eigenes Bärenfell schlapp auf einem Riesenpolster und will von der Welt nichts wissen. Wird der Prinz nicht geheilt, ist das Königreich gefährdet. Auf Zauber folgt Gegenzauber, auf Lachen ein (vorübergehender) Schrecken, auf Kasperl das Krokodil. So schwer sich die Handlung nacherzählen lässt, so einleuchtend das Regiekonzept von Andreas Homoki: Die Ideen sind weiß, die „natürlichen Personen“ Prinz, König, die Ränkeschmiede Leander und Clarice tragen Primärfarben und die Zauberer sind in Schwarz gehüllt. Das „Aufgehen“ dieses in drei Bühnenrahmen gefassten Konzeptes verschafft einen geradezu sinnlichen Genuss. Wobei sich die szenische Einstudierung von Werner Sauer temperamentvoll von den oft matten Massenchoreografien in Graz abhebt. Dirk Kaftan setzt Prokofjews anspielungsreiche Partitur mehr kraftvoll als ironisch um. Die Sänger bieten in dieser modern-zeitlosen Zauberoper, in der die Nebenrollen eigentlich die Hauptsache sind, opulente Darbietungen: Der König von Philipe Rouillion und der (gute) Zauberer Celio von David McShane singen sich den Grat zwischen Macht und Inkompetenz entlang; Aira Rurane als Fata Morgana und Konstantin Sfiris als Köchin orgeln das Böse hinaus in die Welt; der Truffaldino von Manuel von Senden und Ivan Oreščanins Pantalone geben den heiteren Widerpart zu den überzeugend gesungenen Intrigen von Clarice (Ketevan Kemoklidze) und Leander (Wilfried Zelinka), Lucia Kim als Smeraldina ist eine dummdreiste „Blaue“, Götz Zemann ein unwiderstehlicher, roter Wirbelsturm. Und Martin Miller als Prinz entwickelt sich überzeugend vom Träumer zum aktiven Verliebten, der schließlich seine Ninetta (reizend Hyon Lee als Prinzessin) „bekommt“. Mein Superstar war allerdings die große, schwarze Ratte, die stumm über die Bühne trippelt. Ein bezaubernder Blick über den eigenen Grazer Zaun und starker Abgang für den Grazer Hausherren Jörg Koßdorff. Unbedingt hingehen und die Kinder mitnehmen! Weitere Vorstellungen am 13. und 15. Mai sowie am 6. Juni. (Beginn, jeweils 19:30 Uhr)
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