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Reality TV in Washington |
Mittwoch, 13. Mai 2009 | |
Beim Anblick der erstaunlich dünnen Rauschgifthunde am Washington Dulles International Airport begann ich zu ahnen, wie sehr hier das Alltagsleben von medialen Rollenangebote durchdrungen wurde – Willi Hengstler über elektronisches Networking, Sprachgeschwindigkeit und Robert Frank in der amerikanischen Hauptstadt. Blau Uniformierte mit ihren abgemagerten Hunden an der Leine tänzelten von einem Koffer zum anderen, als Teil einer Aufführung, von der alle wussten, dass sie sich auf einen imaginären Film – genauer auf ein Genre – bezieht. Falls „Stoff“ gefunden würde, war dann die Aufführung zu Ende? Oder würde nur der Stil der Inszenierung geändert werden? Auch bei uns fabrizieren die Medien Vorbilder, aber niemand ist so bescheuert und will aussehen wie Hansi Hinterseer. Das Imaginäre schien hier wichtiger als das Reale. Irgendwie imaginär auch das Einkaufen. In dem riesigen Schuppen in der F-Street, spezialisiert auf verbilligte Designermode, fand ich einen passenden Überzieher von Calvin Klein, dem allerdings ein Knopf fehlte. Als sich mein Begleiter für zusätzliche Prozente einsetzte, drehte uns die Kassiererin entnervt einen zweiten Preiszettel am Ärmel hin, demzufolge das Stück ein zweites Mal reduziert worden war. Es kostete schlussendlich fünf (!) Dollar, nicht ganz soviel wie die Rasierseife. War das noch real? Auf einer Geburtstagsparty traf ich hauptsächlich Weiße, Asiaten und Eurasier, die für Internationale Organisationen, NGOs, das Rote Kreuz oder Einrichtungen wie das „Cato-Institute“ arbeiteten. Vor allem die jungen Frauen sprachen so schnell, dass ihre heraus gesprudelten Worte die Schallwellen der zuvor geäußerten zu überholen schienen. Private Zwischenfälle, Meinungen, Wertungen wurden per Grimasse oder Geste, begleitet von einem Hochziehen der Schultern abgekürzt oder kommentiert. Die Sprecher schafften diese Geschwindigkeit nur, weil sie sich auf Episoden, standardisierte Gesten und Dialogfetzen aus Serien bezogen, die sie gewissermaßen als Ersatzteile in den eigenen Sprachduktus einfügten. Die augenblickliche Lieblingsserie mit einer jungen Witwe, die von einer schlichten Konsumentin zur Drogendealerin wird, heißt bezeichnenderweise „Weeds“. Eine andere „30 Rock“, wird von Tina Fey geschrieben und gespielt, die als Imitatorin Sara Palins (jene Frau die Vizepräsidentin werden wollte) eine nationale Berühmtheit wurde. Persönlichkeitsverlängerungen. Meine Sitcom-Informanten waren informierte Leute, aber in all den Wochen hörte ich sie kein Wort über die Krise verlieren. Ihre Lieblingsserien thematisierten häufig politische Inkorrektheit, was es ihnen erlaubte, sich trotz politischer Korrektheit überaus sophisticated zu geben. Robert Franks Gedenkausstellung in der National Gallery ausgerechnet während des Finanzcrash schien mir eine programmatische Alternative. Der Fotograf hatte Ende der Fünfzigerjahre mehrere Reisen mit seinem Auto durch die Staaten gemacht, und daraus war „The Americans“, eines der berühmtesten Fotobücher entstanden. Seine Schwarzweißbilder zeigen ein archaisches Amerika, das seine Zukunft noch vor sich zu haben scheint. Meine Gastgeber schienen mit Lesen wenig am Hut zu haben. „The Americans? Robert Frank?“ Schweigen. Mit der Einleitung von Jack Kerouac „Jack Kerouac?“ Noch mehr Schweigen. Mir wurde mir klar, dass der berühmte Fotograf für mich grade noch Gegenwart, für sie aber schon dunkle Vergangenheit war. Der Mac von Apple Mac – ein weißer Mac, nicht irgendein Laptop – galt als unabdingbares Statusmerkmal und zugleich Verlängerung der Persönlichkeit. Mit ihm wurde der I-Pod geladen, gemailt, gegoogelt und geskyped, DVDs und Fotos angesehen. Als „der Geburtstag“ seine zahlreichen, elektronischen Glückwünsche präsentierte, wurde ich mit „Facebook“ bekannt: einem kostenlosen, sozialen Netzwerk. Zwar bilden dessen Teilnehmer eine mehr oder weniger abgeschottete Gruppe, aber jeder dieser elektronischen Horden ist bei weitem größer, als die „kritische Gruppe“ (mehr geht nicht) von Yona Friedman. Der Architekt hat diese aus ca. hundert realen Personen bestehende Gruppe aus seinem Konzept der „kritischen Stadt“ heraus entwickelt. In gewissem Sinn wird durch Facebook die Vergangenheit eines Menschen in eine ständige, elektronische Gegenwart verwandelt. Es ist das zum Overkill perfektionierte System eines Networking, das tiefere Beziehungen immer weniger braucht oder immer schwerer ermöglicht. Vielleicht richten auch Männer eine „Happy Hour“ aus, eingeladen wurde ich aber nur von Damen. Unter Einsatz von Mails, Telefonaten und – ja richtig, Facebook – wurde man abends in ein Lokal geladen, das die Gastgeberin reserviert hatte. Eine Happy Hour gilt als Abwechslung in dem als öde verschrienem Washington, als Gelegenheit Gerüchte auszustreuen oder aufzufangen und als erotischer Markt. Sie ist gewissermaßen das handgreifliche Pendant zu all dem elektronischen Networking. Robert Frank kam dann noch zu einem Gespräch mit der Kuratorin der Ausstellung in die National Gallery. Das Auditorium in der Größe unseres „Royal Kinos“ war bei meinem Eintreffen gerammelt voll. In meiner Verzweiflung behauptete ich von der „Camera Austria“, der berühmten Grazer Fotozeitschrift, geschickt worden zu sein. Vermutlich war den Museumswächtern die Zeitschrift unbekannt, aber sie ließen mich rein. Robert Frank saß dort, ein 85jähriger in Cordhosen, der die superintellektuellen Fragen seiner Kuratorin mit ironischem Hausverstand konterte. Und ich war froh, dass da endlich einer langsam genug sprach, dass ich nicht nur verstand, was er sagte, sondern auch begriff. | Willi Hengstler
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