Versuchen Sie den folgenden Satz sinnerfassend zu lesen: „In den textuellen Allegorien des Kunstdiskurses, welche zugleich einen anekdotischen Schlüsselbegriff einzelner Rekonstruktionen von Wirklichkeit tabellieren, zitieren Worte die Bedeutungen eines Kunstwerks in illustrativer Manier. In den Mechanismen der versuchsweisen Annäherung an Begriffe und Definitionen manifestiert sich die Partizipation der Beteiligten über eine konative Ästhetik der Eigentlichkeit. “
Textuelle Beschreibung ist ein wichtiger Bestandteil moderner Kunst. Auch KORSO versorgt seine LeserInnen monatlich mit textlichen Auswucherungen zu all jenem, was Museen und Galerien an bildender Kunst gerade zu bieten haben. Vorab Gesehenes wird in eine Textebene gebracht. Oft gilt, je bedeutender die Ausstellung, desto mehr kunstspezifische Fachwörter sollen in den Text einfließen. Das textlichen Nach- bzw. Aufbereiten von Kunst wird so zur Pflichtübung, Mutmaßungen über Bedeutungen und mögliche Aussagen sind unumgänglich. Die Überschwemmung der Kunstwelt mit immer neuen Fachwörtern rückt damit das eigentliche Kunstwerk an den Rand einer textlichen Reizüberflutung. Tatsächlich kann ein Text das Kunstwerk auch mitformen, ein Konzept erst offen legen – aber nicht immer sind Worte wirklich nötig. Sich als Künstler der Textflut zu entziehen ist kaum möglich, ja provoziert sogar negative Effekte wie Spekulationen über die scheinbare Bedeutungslosigkeit eines Werks, das ganz ohne Text auskommen kann, oder die Zusage weit geringerer Fördergelder mangels textlicher Anhaltspunkte. Die ständige Konfrontation mit Worten in der Kunstwelt führte bei den beiden Künstlerinnen Eva Beierheimer und Miriam Laussegger zur näheren Beschäftigung mit den im Kunstbetrieb erwünschten Wörtern. Mit „worte“ entstand eine Sammlung, ja ein Archiv an kunstspezifischen Formulierungen, das seit 2004 aus dem Fundus von Kunstmagazinen, Katalogen, Vorträgen, Vorlesungen ständig erweitert wird. Es ist zu einem Verzeichnis von rund 2500 Begriffen angewachsen, das in verschiedenen Formen künstlerisch reflektiert wird: In installativen Arbeiten werden die „worte“ zu Tapeten, Fahnen, Absperrbändern und Postern kombiniert und damit als eigenständiges Kunstwerk abseits der ursprünglich rein beschreibenden Position in den Ausstellungsraum zurückgebracht. Nach grammatikalischem Geschlecht in cyan, magenta und yellow eingefärbt, spielen die „worte“-Tapeten auch mit gängigen Geschlechtszuordnungen.
Künstlerisches Artikulationsmanagement. Als mögliche Antwort auf die Wittenstein’sche Diagnose, dass die Grenzen der Sprache immer auch die Grenzen der persönlichen Welt seien, schufen die Künstlerinnen mit www.worte.at ein Tool, das die Inkompetenz sich in Kunstfragen adäquat zu artikulieren zumindest vordergründig zu kompensieren vermag. Sollten Ihnen in Zukunft in Zusammenhang mit moderner Kunst die richtigen Worte fehlen, können Sie sich also selbst helfen. Das Netzkunstwerk www.worte.at macht die Begriffssammlung an der Schnittstelle zwischen öffentlichem und privatem Raum zugänglich und nutzbar, ein Textgenerator ermöglicht nach Auswahl der gewünschten „worte“ das einfache Verfassen von Kunsttexten aus dem gesammelten Archiv. Der erste Absatz dieses Artikels versteht sich als Kostprobe.
Borderline – die Welt hinter dem White Cube. Eine „worte“- Tapete zeigte Eva Beierheimer auch bei der Wettbewerbsausstellung für den Förderpreis des Landes Steiermark für zeitgenössische bildende Kunst 2008 in der Neuen Galerie und wurde prompt mit dem Preis der Steiermärkischen Bank und Sparkassen AG ausgezeichnet. In ihrem aktuellen Projekt führt sie die Besucher viel lieber, wie im Stockholmer Royal University College of Fine Arts, an die weniger präsenten Seiten des Ausstellungsraumes heran. „Borderline Centre for Foreign Contemporary Art“ nennt sich ein Konzept, das sie dort gemeinsam mit Anngjerd Rustard entwickelt hat. Es stellt die Frage, wer die Wertigkeiten von Orten vorgibt und rückt einen Nichtort außerhalb des fixierten Wahrnehmungsfeldes ins Zentrum. Die schmalen Gänge hinter so genannten Vorsatzschalen, die für die Bilderaufhängung in alten Gebäuden gebräuchlich sind, treten aus ihrer Randsituation heraus und werden Raum des Geschehens. Mit meist nicht mehr als Menschenbreite und der Funktion alle hässlichen Versorgungsleitungen aufzunehmen und auf der anderen Seite einen makellosen White Cube zu schaffen, entstand hinter der getünchten Wand ein Forschungsraum über das Innen und Außen und darüber, was in einem so speziellen Raum künstlerisch möglich ist. Von den beiden Künstlerinnen initiiert und mit einem roten Teppich eingeweiht finden dort laufend Ausstellungen statt.
Projektionen und passive Formen. Räume und Umgebungen beobachtet die Künstlerin akribisch, auch um ephemere Erscheinungen sichtbar zu machen. So definieren sich räumlich vorgefundene Konstellationen zuallererst über Licht – ihre Versuche dieses Licht zu materialisieren, im Tagesablauf vorüberziehende Formen für den Betrachter festzuhalten, mit einfacher Kreide und Klebeband oder diffizilen Kartonmodellen, nennt Eva Beierheimer „projections“. Sichtbar gemacht werden in diesem Duktus auch Medienstrukturen: in Reiß- und Schneidecollagen wird der Inhalt von Plakaten, Foldern oder Flyern entfernt, zurück bleiben passive Formen, die Eva Beierheimer ihrer bloßen Rahmen- und Hintergrundfunktion ent- und zu eigenständigen Kompositionen erhebt.
Gefüge, Infrastrukturen und immer wieder Karton. Der menschliche Körper als Ganzes wird in den Arbeiten zu untitled/torso parts 1-6 als Bezugssystem eingesetzt – basierend auf der Entwicklung immer neuer Sicherheitstechnologien zur Identifizierung von Menschen. Mit einem dichten Liniennetz überzogen, sind Muttermale die individuellen Knotenpunkten, einem Malen nach Zahlen gleich miteinander verbunden. Aus dem entstehenden Raster entwickelt Eva Beierheimer Kartonmodelle, streng geometrisch und doch fragil, der Körper immer noch spürbar. Auch im öffentlichen Raum ist die Künstlerin reflektierend unterwegs – sei es, dass sie mit ihren „begehungen“ die Pflastersteinsysteme verschiedener Städte erwandert und dabei in paranoider Manier alle Fugen meidet. Oder sie schafft überhaupt neue Kommunikationslinien, indem sie das den meisten Menschen geläufige Suchen von möglichen Abkürzungen aufgreift und eine brachliegende Wiese einfach mit einer schmalen, gepflasterten Spur durchzieht. Als Reaktion auf einen Mangel versteht sich auch die 2006 gemeinsam mit anderen KünstlerInnen ins Leben gerufene Fernsehsendung kit, die auf dem Wiener Sender Okto tv monatlich als Plattform für junge, noch nicht etablierte Kunst funktioniert und diese abseits vom Mainstream ins Bild rückt. Eine Infrastruktur der anderen Art. Gängige Strukturen hinterfragen und nutzbar machen, künstlerische Statements als Kommentar auf herrschende Klischees, Worten nachspüren und ihrer habhaft werden und zu guter Letzt der Computer als Versöhnungsinstrument zwischen Text und Kunstwerk. Ein Hoch auf die fein verwobenen Fäden der Ironie.
www.worte.at www.worte.at/evabeierheimer www.borderline-art.net | Eva Pichler Eva Beierheimer ……wurde 1979 in Graz geboren; 1994–1999 Ortweinschule, Graz; 1999–2001 Philosophie und Kunstgeschichte, Universität Wien; 2000–2006 Akademie der Bildenden Künste, Klasse Heimo Zobernig, Textuelle Bildhauerei; 2004 Erasmusstipendium Reykjavik/Island; 2006 Diplom mit Auszeichnung an der Akademie der Bildenden Künste Wien; 2007–2008 „project-studies“, Stockholm; 2008 Artist in Residence, Atelier Ricklundsgarden, Saxnes/Schweden; 2009 Auslandsstipendium, Land Steiermark, Stockholm; Ausstellungen (Auswahl): 2005 „s/w steiermark/wien“, Forum Stadtpark; 2006 „Architektur in Wörtern“, Kunsthaus Mürz; 2006 Vekks „paraflows“, Netzkunstfestival; 2006 „Vista Point“, Kunstverein Medienturm, Graz ; 2008 Gallery Mejan, Stockholm; 2008 Skulpturenpark, Ängelsberg/Schweden; 2008 DIE Lagebesprechung, ESC Graz; 2008 Eröffnung des „Borderline Center for Foreign Contemporary Art“, Stockholm; 2009 “worte”, kro art gallery, Wien; lebt und arbeitet zur Zeit in Stockholm.
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